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NORDKOREA : Ein fast unmögliches Tauwetter

Mitte Juni treffen sich US-Präsident Donald Trump und Machthaber Kim Jong Un in Singapur zu Gesprächen über atomare Abrüstung auf der Halbinsel

22.05.2018
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4 Min

Noch im letzten Jahr hätte es wohl kein Beobachter für möglich gehalten, dass sich das Blatt auf der koreanischen Halbinsel derart rasant wenden würde: Damals testete Nordkoreas Diktator Kim Jong Un sein Raketen- und Atomarsenal in einem bisher ungeahnten Tempo, während US-Präsident Donald Trump mit militärischen Drohgebärden die Eskalationsspirale weiter befeuerte. Wie knapp die Region an einem kriegerischen Konflikt vorbeischrammte, wissen wir erst im Rückblick: Am 16. Mai vermeldete CNN, dass Trump im Vorfeld der Olympischen Winterspiele in Pyeongchang seine nationalen Sicherheitsberater anwies, die Evakuierung von US-Militärangehörigen in Südkorea vorzubereiten.

Dann jedoch sendete Kim Jong Un in seiner Neujahrsrede erstmals friedliche Signale an die Außenwelt. Während der Olympischen Spiele stellten beide Koreas ein gemeinsames Frauen-Eishockeyteam, südkoreanische Popbands traten in Pjöngjang auf, Kommunikationskanäle wurden eröffnet. Schließlich traf Südkoreas linksgerichteter Präsident Moon Jae-in entlang der entmilitarisierten Zone auf Kim Jong Un - ein historisches Treffen, bei dem sich beide Seiten zur nuklearen Abrüstung bekannt haben. Konkrete Maßnahmen jedoch sparte die gemeinsame Stellungnahme aus.

Am 12. Juni liegt es nun beim US-nordkoreanischen Gipfel in Singapur an Trump und Kim, diese Mammutaufgabe zu stemmen: In einem ersten Schritt müssen sich beide Seiten zunächst darauf einigen, wie sie das Denuklearisierungsziel festlegen. Die USA bestehen bislang auf einer "permanenten, überprüfbaren und irreversiblen" Abrüstung. Gerade der letzte Punkt ist jedoch im Fall Nordkorea praktisch unmöglich, allein schon weil das Regime bereits über rund 50 Atomwaffen und Tausende Atomexperten verfügen soll. Im Prinzip wäre es also mit dem bestehenden Know How für Pjöngjang jederzeit denkbar, sein Atomprogramm wieder aufzunehmen.

Kim Jong Un dürfte im Gegenzug einen nachhaltigen Nichtangriffspakt der US-Amerikaner einfordern. Auch dies ist eine überaus komplexe Forderung, schließlich misstrauen sich beide Seiten zutiefst. Trump hat zudem seine Glaubwürdigkeit nicht gerade erhöht, als er das Abkommen zur Verhinderung der atomaren Aufrüstung des Irans aufgekündigt hat. Und selbst wenn der US-Präsident beim persönlichen Treffen mit Kim in Singapur dessen Vertrauen gewinnen kann: Spätestens in zwei Legislaturperioden ist in Washington eine andere Regierung an der Macht, die ihre Nordkorea-Politik diametral ändern könnte.

In diesem Zusammenhang scheint es makaber, dass Trumps Nationaler Sicherheitsberater John Bolton das "libysche Modell" für Nordkoreas Abrüstung vorgeschlagen hat. Der libysche "Revolutionsführer" Gaddafi hatte nach der Jahrtausendwende seine nuklearen Ambitionen vollständig aufgegeben, und wurde Jahre später - unterstützt durch westliche Luftschläge - gestürzt. Der Fall Libyen ist einer jener Gründe, warum die Hardliner innerhalb der Parteikader in Pjöngjang um jeden Preis an der Atombombe festhalten wollen. Nur diese würde laut ihrer Argumentation ein Überleben des Regimes gewährleisten.

Außenstehende mag es daher überraschen, dass Nordkorea scheinbar plötzlich an den Verhandlungstisch zurückkehrt. Dabei lassen sich die jüngsten Entwicklungen vor allem durch drei Faktoren erklären: Zum einen hat Nordkorea sein Atomprogramm in den letzten Jahren nahezu vollständig ausgebaut, es kann also mit hohem Einsatz und Selbstbewusstsein in die Verhandlungen gehen. Gleichzeitig zeigt auch die von Trump angeführte Sanktions- und Isolationspolitik gegen Nordkorea erste Erfolge: Mittelfristig würden die Sanktionen die fragile nordkoreanische Wirtschaft in die Knie zwingen. Kim Jong Un hingegen hat - im Gegensatz zu seinem Vater oder Großvater - seiner Bevölkerung bereits zu Beginn seiner Amtsübernahme versprochen, für vermehrten Wohlstand zu sorgen. Sollte eine weitere Hungersnot - wie Ende der neunziger Jahre - eintreten, würde dies womöglich großen Unmut innerhalb der Bevölkerung auslösen.

Gesprächsbereitschaft Vor allem aber, und das ist der vielleicht entscheidendste Faktor: Mit Moon Jae-in sitzt in Seoul mittlerweile ein Präsident an der Macht, der aufrichtig um eine Verbesserung der innerkoreanischen Beziehungen interessiert ist. Auch während der Eskalation im letzten Jahr hat er dem Norden beständig Gesprächsbereitschaft signalisiert - ohne jedoch die Beibehaltung der Sanktionspolitik anzuzweifeln. Es war ein schmaler Grat für Moon Jae-in, einerseits die Annäherung zu Kim Jong Un zu suchen und gleichzeitig die jahrzehntealte Allianz mit Washington nicht zu gefährden.

Vor allem China kommt eine Schlüsselrolle zu. Das Reich der Mitte ist an Stabilität in der Region interessiert, durch das Atomprogramm Nordkoreas fühlt es sich ebenfalls bedroht. Einen Regime-Sturz in Pjöngjang jedoch wertet Peking als größeres Übel, denn dieses Szenario könnte unvorhersehbare Folgen für die chinesischen Grenzregionen haben, die vorwiegend von einer koreanischstämmigen Minderheit bewohnt wird.

Derzeit lässt sich bereits erahnen, welchen Weg China vorschlagen wird: Mitte Mai hat die Regierung in Peking eine hochrangige nordkoreanische Delegation empfangen. Die Parteikader aus Pjöngjang werden nach Angaben des Pekinger Außenministeriums über die wirtschaftlichen Reformbemühungen Chinas unterrichtet. Die Botschaft ist klar: China möchte dem Kim-Regime aufzeigen, dass eine marktwirtschaftliche Öffnung bei gleichzeitiger politischer Kontrolle das Überleben sichern kann.

Der Autor ist freier Korrespondent für Süd- und Nordkorea mit Sitz in Seoul.