EUROPARAT : Ein Schritt in Richtung Normalität
Die Abgeordneten in Straßburg ringen um den neuen Menschenrechtskommissar. Komplizierte Annäherungsversuche zwischen Straßburger und russischen Parlamentariern
Beim SPD-Abgeordneten Frank Schwabe ist Erleichterung zu spüren, dass mit der Wahl des Menschenrechtskommissars des Europarats wieder ein Stück weit "normale" Politik in die Parlamentarische Versammlung des Staatenbunds einkehrt: "Das ist angesichts der Turbulenzen in unserer Versammlung nicht selbstverständlich". Für Schlagzeilen sorgte lange Zeit vor allem ein saftiger Korruptionsskandal. Nun aber ringen in dieser Woche "drei hoch respektable Persönlichkeiten" (Schwabe) um das Amt des Kommissars: Ein politischer Kampf, wie man dies kennt - und das ist im Palais de l'Europe eben nicht selbstverständlich.
Als Favorit beim Rennen um die Nachfolge des Letten Nils Muiznieks, der nach sechs Jahren turnusgemäß ausscheidet, gilt Pierre-Yves Le Borgn. Der Franzose steht auf Platz eins einer Präferenzliste, die der Menschenrechtsausschuss des Parlaments dem Plenum übermittelt hat. Auf Rang zwei folgt die Bosnierin Dunja Mijatovic, ehemalige OSZE-Beauftragte für Medienfreiheit, vor dem slowenischen Justizminister Goran Klemencic. Anders als die prominenten Konkurrenten ist Le Borgn öffentlich kaum bekannt, aber seine bis Sommer 2017 währende Zeit als Europaratsabgeordneter bot die Chance, ein Netzwerk zu knüpfen. Als Kommissar will sich Le Borgn auf dem Kontinent verstärkt vor Ort auf Verletzungen von Grundrechten hinweisen.
Seit langem ist im Palais de l'Europe indes Unbehagen über die Intransparenz bei der Besetzung dieses Topjobs zu spüren. Unbekannt ist etwa die Zahl der Bewerbungen, die ursprünglich beim Ministerkomitee, dem Organ der Straßburger Botschafter der 47 Außenminister, eingegangen sind. Man weiß auch nichts über die Motive der Interessenten. Das Ministerkomitee erkor aus dem Kreis aller Kandidaten eine Dreierliste für das Parlament, doch die Gründe für die Selektion dieses Trios blieben geheim. Vor der Erstellung seiner Präferenzliste hörte der Menschenrechtsausschuss des Parlaments die drei Interessenten an - freilich nicht öffentlich. Gerade der Europarat müsse das Prinzip der Transparenz beachten, mahnt Schwabe: "Bei den Modalitäten von Kandidaturen kann einiges verbessert werden."
Der Kommissar hat keine Machtbefugnisse gegenüber den Regierungen. Aber er kann mit Länderberichten und mit öffentlicher Kritik die Europaratsnationen unter Druck zu setzen, Verstöße gegen Freiheitsrechte abzustellen.
Boykott Anders als bei der Wahl des Kommissars kann von "Normalität" im Konflikt zwischen Straßburg und Moskau keine Rede sein. 2014 hat das Parlament des Staatenbunds den russischen Abgeordneten wegen der Annexion der Krim das Stimmrecht entzogen. Seither boykottiert Moskau das Europaratsparlament und zog 2017 mit einer Kürzung der russischen Beitragszahlungen um rund 20 Millionen Euro die Daumenschrauben weiter an. Hinzu kommt, dass Ankara aus Verärgerung über massive Straßburger Kritik an rechtsstaatlichen Verstößen in der Türkei 2018 die Überweisungen ebenfalls reduzieren will.
Nach Gesprächen zwischen Vertretern Russlands und des Staatenbunds über Auswege aus der Sackgasse sprach die Zypriotin Stella Kyriakides als Straßburger Interims-Parlamentspräsidentin, die bei der Wintersession vom Italiener Michele Nicoletti abgelöst werden soll, von einem "offenen und ehrlichen Dialog" sowie einem "Schritt in eine gute Richtung". Doch Kyriakides sieht andererseits auch noch "Abgründe" zwischen den Positionen beider Seiten. Wenig konstruktiv mutet der Vorwurf von Valentina Matwijenko als Vorsitzender des russischen Föderationsrats an, im Europaratsparlament verfolge eine Minderheit "russophober Schreihälse" eine "prinzipienlose Politik".
Im Fall einer Rückkehr der Moskauer Abgeordneten ins Palais de l'Europe ohne Bedingungen bei den Themen Krim und Ostukraine droht die ukrainische Delegation ihrerseits mit einem Boykott. Der ukrainische Außenminister Pawlo Klimkin warnt vor "Appeasement" gegenüber Russland: Der Europarat werde "sich selbst diskreditieren", wenn er nicht an seinen Prinzipien festhalte. Frank Schwabe plädiert für eine Überwindung der Blockade zwischen dem Staatenbund und Moskau. Jedoch dürfe nicht der Eindruck entstehen, "das Vorgehen Moskaus auf der Krim werde nachträglich belohnt".
Nicht ausgestanden ist der Korruptionsskandal rund um Aserbaidschan. Baku soll versucht haben, mit Geld, Reisen in den Kaukasus und teuren Geschenken Europaratsabgeordnete von Kritik an den autokratischen Zuständen im Land abzubringen. Prominente Figuren dieser Affäre sind bislang der Straßburger Parlamentspräsident Pedro Agramunt (Spanien), der zurücktreten musste, sowie mit Luca Volonté der italienische Ex-Chef der EVP-Fraktion, den Staatsanwälte in die Mangel nehmen.
In Berlin hat die Unionsfraktion ohne viel Aufhebens dafür gesorgt, dass die CDU-Abgeordneten Karin Strenz und Axel Fischer der neuen Bundestagsdelegation beim Europarat nicht mehr angehören. An Strenz, so der Verdacht, sollen über ein von Baku finanziertes Firmennetzwerk des Aserbaidschan-Lobbyisten Eduard Lintner Gelder geflossen sein. Fischer, bisher Leiter der Delegation, wird keinerlei Mitwirkung an der "Kaviardiplomatie" unterstellt, doch wird ihm vorgehalten, die Aufklärung dieses Skandals gebremst zu haben.
Wahlvorschläge Mit der einstimmigen Annahme der Wahlvorschläge aller Fraktionen am vergangenen Donnerstag (19/443) stellt in der neuen Delegation die Unionsfraktion mit Peter Beyer, Matern von Marschall, Elisabeth Motschmann, Andreas Nick, Volker Ullrich und Volkmar Vogel sechs Abgeordnete, die SPD-Fraktion entsendet mit Doris Barnett, Gabriela Heinrich, Axel Schäfer und Frank Schwabe vier Vertreter. Jeweils zwei Mitglieder kommen von den Fraktionen der AfD (Marc Bernhard und Norbert Kleinwächter), der FDP (Gyde Jensen und Konstantin Kuhle), der Linken (Andrej Hunko und Katrin Werner) sowie der Grünen (Luise Amtsberg und Frithjof Schmidt). Leiter der Delegation ist der Unionsabgeordnete Nick, Stellvertreter der Sozialdemokrat Schwabe.