elektroautos : Voll unter Strom
Die deutschen Hersteller investieren Milliarden in die Elektrifizierung ihrer Flotten
So wie Bernhard Liesenkötter aus dem oberbayerischen Rosenheim dürfte es vielen potenziellen Käufern von Elektroautos gehen. Der emeritierte Professor für Elektrotechnik möchte gerne mit anderen Eigentümern die Tiefgarage seiner Wohnanlage für die Elektromobilität tauglich machen. Doch weil noch immer alle Miteigentümer einer solchen Installation zustimmen müssen, ist Liesenkötter mit seinem Versuch gescheitert. Was seinen Frust vergrößert: Die überfällige Anpassung des Wohnungseigentumsgesetzes wird durch die Bundesregierung weiter ausgebremst. Derzeit ist unklar, ob eine Anspruch auf eine Lademöglichkeit wenigstens 2020 kommt.
Seine Probleme sind typisch für den Zustand der Elektromobilität in Deutschland. Dabei haben Union und SPD gleich mehrfach in den Koalitionsvertrag geschrieben, dass sie die Elektromobilität fördern wollen. Sogar konkret durch eine Reform des Wohnungseigentumsrechts. Doch passiert ist bisher wenig. Bei vielen Autofahrern ist der Wille da, sich ein emissionsfreies und leises Fahrzeug mit Elektromotor anzuschaffen. Nicht nur durch Versäumnisse der Politik sind die Hürden noch immer hoch: Welche Lademöglichkeiten gibt es? Wie groß ist die Reichweite des Elektroautos? Wie teuer ist es? Und wann ist es lieferbar? An einer dieser Fragen scheitert häufig eine Anschaffung.
Die massenhafte Verbreitung von Elektroautos soll eigentlich dabei helfen, die Klimaziele zu erreichen, die Luftqualität in den Städten zu verbessern und den Lärmpegel zu verringern. Gerade für Hersteller von schweren Oberklassewagen bieten Elektroautos die Möglichkeit, die immer strenger werdenden Flottengrenzwerte einzuhalten und hohe Strafzahlungen zu verhindern. Zudem können Elektroautos die Energiewende unterstützen, indem sie direkt vom Solarstrom des heimischen Dachs geladen werden oder als Energiepuffer dienen, um Belastungsspitzen abzufangen. Fahrspaß bieten die Autos allemal. Dazu braucht es nicht einmal den "Von Sinnen"-Modus von Teslas Model S, mit dem in 2,6 Sekunden von null auf 100 km/h beschleunigt werden kann. Selbst der kleinen BMW i3s zieht erstaunlich an, wenn man beherzt auf das Fahrpedal tritt.
Reichweitenangst Doch trotz aller Fortschritte: Die Elektroautos sind noch weit davon entfernt, bei Reichweiten und Preis mit einem Verbrennermodell mithalten zu können. Selbst das Model 3 von Elektroautopionier Tesla kommt im Winter bei 120 km/h auf der Autobahn kaum weiter als 300 Kilometer. Und das bei einem Einstiegspreis von mehr als 50.000 Euro. Kaum länger dürfte der neue Audi E-Tron durchhalten, für 80.000 Euro.
Zudem ist wegen der schlechten Ladeinfrastruktur eine Fahrt von mehr als 200 Kilometern oft ein Abenteuer, manchmal sogar eine Katastrophe. Zwar gibt es inzwischen etliche Schnellladesäulen mit Gleichstrom an Autobahnraststätten. Diese laden aber meist nur mit 50 Kilowatt, so dass ein Ladevorgang bei einem Audi E-Tron mehr als eine Stunde dauern würde. Da es in der Regel pro Raststätte nur eine Ladesäule gibt, kann es vorkommen, dass diese von einem anderen Elektroauto belegt ist, von einem Verbrenner zugeparkt wurde, defekt ist oder zerstört wurde. Ganz groß ist der Frust, wenn die Säule keinen Strom rausrückt, weil sie die Ladekarte nicht akzeptiert oder das Auto nicht erkennt. Die Reichweitenangst fährt auf längeren Strecken immer noch mit.
Erst Mitte Februar musste das Bundesverkehrsministerium einräumen, dass von knapp 16.000 seit Anfang 2017 bewilligten Ladepunkten bislang nur etwas mehr als 1.000 errichtet wurden. Gerade einmal 6,5 Prozent. Auch der Ladenetzbetreiber Ionity, ein Konsortium der Autohersteller um BMW, Daimler, Ford und Volkswagen, hängt mit seinem Zeitplan weit hinterher. Von den 100 in Deutschland geplanten Schnellladern mit 150 Kilowatt Leistung sind derzeit erst 16 fertiggestellt. Dabei wissen die deutschen Hersteller, dass sie Teslas Ladenetz mit den sogenannten Superchargern schnell etwas entgegen setzen müssen. Auch hier sind die Probleme teilweise hausgemacht. Denn das strenge deutsche Eichrecht hat dazu geführt, dass es bislang gar keine Gleichstromschnelllader gibt, die eichrechtskonform abrechnen können. Eine Übergangsfrist läuft Ende dieses Monats ab. Dann hätten Bußgelder oder gar die Stilllegung der Säulen gedroht. Die Frist wird nun noch einmal verlängert, wenn die Anbieter den Eichbehörden konkrete Nachrüstpläne vorlegen. In anderen europäischen Ländern macht man es sich in dieser Hinsicht nicht so schwer.
Neuer Schub Dennoch könnte das Jahr 2019 der Elektromobilität in Deutschland neuen Schub geben. Zwar liegt das frühere Ziel der Bundesregierung, bis 2020 eine Million Elektroautos auf die Straße zu bringen, in weiter Ferne. Die Verkaufszahlen legen aber auf niedrigem Niveau stark zu, weil es mehr Modelle und mehr Hersteller gibt (siehe Grafik). Neben Tesla sind es vor allem asiatische Anbieter wie Hyundai, Kia oder Nissan, die günstige Elektroautos mit akzeptabler Reichweite auf den Markt bringen. Der Renault Zoe war im Januar mit gut 800 Exemplaren immer noch das meistverkaufte Elektroauto hierzulande. Diesen Platz hat der Franzose im Februar an Teslas Model 3 mit fast 1.000 verkauften Exemplaren verloren.
Und die deutschen Hersteller? Sie versuchen mit Investitionen in Milliardenhöhe, den verlorenen Boden gegenüber ausländischen Herstellern gut zu machen. Konkurrenz bekommen sie dabei auch von heimischen Neueinsteigern wie den Unternehmen Streetscooter und E.go aus Aachen, die mit günstigen Elektrotransportern und Kleinwagen die Elektromobilität voranbringen wollen. Denn wie das Beispiel Tesla zeigt: Das nötige Know-how liegt bei Elektroautos nicht mehr beim Antrieb und der komplizierten Motortechnik. Das US-Unternehmen ist vor allem beim Bau und der Entwicklung von Batterien der deutschen Konkurrenz weit voraus.
Autobosse provoziert Selbst Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) treibt um, dass die deutschen Autohersteller zwar die Batterien selbst zusammenbauen, doch die dafür erforderlichen Zellen bei asiatischen Herstellern einkaufen müssen. Kein Zufall, dass Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) im vergangenen November zusammen mit EU-Wirtschaftskommissar Maros Sefcovic ankündigte, den Aufbau einer Batteriezellproduktion in Deutschland mit einer Milliarde Euro zu unterstützen. Mögliche Standorte sollen noch in diesem Frühjahr feststehen. Immerhin hat BMW den chinesischen Hersteller CATL dazu gebracht, im thüringischen Erfurt eine Zellproduktion aufzubauen.
Altmaier provozierte die Bosse von VW, Daimler und BMW damals mit der Aufforderung, "ein Elektroauto zu bauen, das nur halb so sexy ist wie ein Tesla". Damit meinte er ein Fahrzeug, das "mindestens die Reichweite dieses Herstellers hat und das preislich in etwa dort liegt, wo man dieses andere Modell auch kaufen kann". Davon sind die deutschen Autokonzerne noch weit entfernt. Gemessen an den Verkaufsanteilen, die sie sich bis 2025 erhoffen, können ihre Ziele derzeit eher als überambitioniert bezeichnet werden.
Aus Sicht der deutschen Hersteller ist es daher gar nicht so schlecht, dass Elektroautofans wie Bernhard Liesenkötter nicht so schnell vorankommen. Denn wer sich in diesem Jahr schon ein Model 3 angeschafft hat, wird sich wohl so schnell keinen elektrischen BMW oder Mercedes kaufen. Würde die deutsche Autoindustrie wie beim automatisierten Fahren richtig Druck machen, wäre die Bundesregierung sicherlich schon weiter.
So richtig losgehen dürfte die deutsche Elektroautoproduktion, wenn Volkswagen im kommenden Jahr seine sogenannte ID-Familie an den Start bringt. Das im sächsischen Zwickau gebaute Elektroauto soll angeblich für den Preis von 27.500 Euro erhältlich sein und damit also noch deutlich günstiger als ein Tesla Model 3. Erst in der vergangenen Woche kündigte der vom Dieselskandal gebeutelte Wolfsburger Konzern an, mit dem ersten Modell der ID-Familie werde "das Elektroauto auch für breite Bevölkerungsschichten erreichbar". Allerdings soll die Reichweite beim Einstiegsmodell nur 330 Kilometer nach dem sogenannten WLTP-Zyklus betragen. Ein ohnehin theoretischer Wert, der im Winter auf der Autobahn schnell wieder zur altbekannten Reichweitenangst führen kann.
Ehrgeizige Ziele Allein Volkswagen will in den kommenden zehn Jahren weltweit mit seinen Marken 22 Millionen Elektroautos produzieren. Eine gewaltige Steigerung, um den Anteil der Stromer an der Gesamtflotte bis 2030 auf mindestens 40 Prozent zu bringen. Schon bis 2025 soll der sogenannte CO2-Fußabdruck der Fahrzeugflotte über den gesamten Produktions- und Gebrauchszyklus hinweg um 30 Prozent gegenüber 2015 reduziert werden.
Um die Produktion abzusichern, hat VW die südkoreanischen Firmen LG Chem, Samsung und SK Innovations sowie CATL als "strategische Batteriezellen-Lieferanten" ausgewählt. Mit Blick auf den weiter steigenden Akkubedarf prüft Volkswagen zudem "intensiv die Beteiligung an einer eigenen Batteriezellenfertigung in Europa". Experten gehen davon aus, dass die Preise für Batteriepakete von derzeit 176 US-Dollar pro Kilowattstunde auf unter 100 US-Dollar in den kommenden fünf Jahren fallen könnten. Dann wären auch Einsteigermodelle mit einer akzeptablen Reichweite von 500 Kilometern (WLTP) für unter 30.000 Euro zu produzieren.
Es ist daher alles andere als ausgemacht, dass die Elektroauto-Strategie auf Basis der aktuellen Technik und Preise schon zum durchschlagenden Erfolg wird. Doch ein Ersatz für die Lithium-Ionen-Akkus ist noch lange nicht marktreif. So hat der Autozulieferer Bosch eine Zeitlang auf sogenannte Festkörper-Akkus gesetzt, sich vor einem Jahr jedoch entschieden, aufgrund der hohen Kosten nicht in die Batteriezellfertigung einzusteigen. VW will hingegen weiterhin zusammen mit dem US-Unternehmen Quantumscape die Feststoffbatterie zur Serienreife bringen.
Sollte es tatsächlich einmal möglich sein, solche Akkus zu bauen, dürften selbst die größten Skeptiker der Elektromobilität von der Technik überzeugt sein. Mit einer doppelten Reichweite der heutigen Autos und einer minutenschnellen Ladung wären entscheidende Hürden beseitigt. Dann wäre es nicht einmal mehr erforderlich, eine Lademöglichkeit in der eigenen Tiefgarage zu haben. Dieses Problem von Bernhard Liesenkötter hätte sich dann von selbst erledigt.
Der Autor schreibt für das Computermagazin Golem.de über Verkehrspolitik und testet autonome, vernetzte und elektrische Autos.