Amri-ausschuss : Ermittlern steckt Anschlag noch »in den Knochen«
Probleme mit tunesischen Behörden
Ausgestanden ist die Sache für Julia Pohlmeier noch lange nicht. "Amri steckt uns in den Knochen. Das ist nichts, was man einfach zur Seite legt. Das sitzt. Zwölf Tote sitzen." Seit gut anderthalb Jahrzehnten ist die Kriminaldirektorin Pohlmeier im Bundeskriminalamt (BKA) tätig, war seit 2012 als Leiterin des Ermittlungsreferats an mehreren großen Operationen im radikalislamischen Milieu beteiligt. Nach dem Terroranschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz im Dezember 2016 war sie Stellvertretende Polizeiführerin in der Besonderen Aufbau-Organisation (BAO) "City", die sich mit der Vorgeschichte der Tat befasste. Dass der Anschlag ihren Kollegen und ihr noch immer "in den Knochen" stecke, sagte sie vergangene Woche als Zeugin im Untersuchungsausschuss "Breitscheidplatz" gleich drei Mal.
Lückenlos dokumentiert Mit der Einschätzung des Sozialdemokraten Fritz Felgentreu, der Anschlag sei als Misserfolg auf das Konto der Sicherheitsbehörden zu schreiben, mochte sie sich dennoch nicht anfreunden. Wie andere BKA-Zeugen vor ihr verteidigte sie statt dessen die nachträglichen polizeilichen Ermittlungsbefunde gegen seither immer wieder aufkeimende Zweifel und Kritik. Der "Sachverhalt" sei "relativ gut aufgeklärt". Nach wie vor im Dunkeln liege lediglich die Herkunft der Waffe, die der Täter bei sich hatte, sowie dessen Fluchtweg in Deutschland.
Dass Amris Reise erst seit Überquerung der niederländischen Grenze lückenlos dokumentiert ist, habe einen simplen Grund: "Die europäischen Nachbarstaaten haben, was ihre Videoauswertung von öffentlichen Plätzen und Bahnhöfen angeht, einen anderen Standard als wir." Auch dass Amri die Tat allein, ohne Unterstützung weiterer Komplizen, verübt hat, was ebenfalls gelegentlich in Zweifel gezogen wird, ist nach Pohlmeiers Überzeugung ein gesicherter Befund. Nicht einmal seinem engsten Weggefährten Bilel ben Ammar sei eine direkte Mittäterschaft nachzuweisen gewesen. Mit der medial gestreuten Darstellung, Amri sei Teil eines radikalislamischen "Netzwerks", gar eines "Terrornetzwerks" gewesen, kann sie aus fachlicher Sicht nichts anfangen: "Das klingt mir zu gesteuert. Das ist mir zu viel. In jeder etwas größeren Stadt finde ich die Moschee, die etwas weniger liberal ist." Solche Moscheen seien Sammelpunkte eines islamistischen "Milieus", doch der "überwiegende Teil" der Gläubigen, die dort verkehrten, sei nicht kriminell.
Schwierige Kooperation Der Ausschuss hörte auch einen BKA-Zeugen, der sich im Unterschied zu Pohlmeier nur mit seinen Initialen vorstellte. Kriminalhauptkommissar St. S. vertritt seit Mitte 2016 seine Behörde als Verbindungsbeamter in Tunesien, und was er von dort zu berichten wusste, hörte sich ernüchternd an: "Die Zusammenarbeit ist langwierig und schwierig, nur durch permanentes Nachsetzen kommt man zu Ergebnissen." So habe das BKA 2016 mehr als acht Monate lang auf eine Auskunft der tunesischen Sicherheitsbehörden über Amris Staatsangehörigkeit warten müssen. Am 16. Februar ging die Anfrage heraus, am 21. Oktober lag die Bestätigung vor, dass der Mann Tunesier war. Genau einen Tag zuvor hatte allerdings das tunesische Generalkonsulat in Bonn dem Kölner Ausländeramt mitgeteilt, Amri sei in seiner nordafrikanischen Heimat völlig unbekannt.
In fast drei maghrebinischen Dienstjahren hat sich Zeuge S. mit Fatalismus gepanzert: "Welche Antwort bekommt man wann und wie, ist offen. Es erschließt sich oft nicht, warum letztlich einfache Anfragen so lange braucht." Von einer "konstanten Verbesserung" des tunesischen Kooperationswillen seit dem Attentat könne jedenfalls keine Rede sein.