MiliTÄrische Nutzung : Infos von ganz oben
Ohne die Satelliten im All wären die Armeen auf die Kriegsführung der 1950er Jahre zurückgeworfen
Auf der Tagesordnung ihrer Routinesitzung, zu der die Verteidigungsminister der Nato-Staaten Ende Juni in Brüssel zusammenkamen, fand sich diesmal auch ein eher exotisch anmutendes Thema. Man wollte Einigkeit über die Grundzüge einer Weltraumpolitik erzielen, die im Rahmen des Bündnisses zu verfolgen wäre. Bislang hatte man dieses Thema jenen Mitgliedern überlassen, die über die nötigen Ressourcen dafür verfügen. Allen voran sind es die USA, die den Weltraum in erheblichem Maße militärisch nutzen. Aber auch einige Verbündete wie Frankreich, Deutschland und Großbritannien verfügen hier über nennenswerte Fähigkeiten.
Ganz aus heiterem Himmel ist das Thema nicht auf die Agenda der Nato gelangt. Bereits Ende 2018 hatte der amerikanische Präsident Donald Trump beschlossen, das US Space Command wieder aufzustellen. In der Öffentlichkeit wurde dies vielfach als Signal für eine weitere Militarisierung des Weltraums verstanden. Man kann die Entscheidung allerdings auch als einen eher symbolischen Akt auffassen. Es wird eine Organisation wiederbelebt, die in der Spätzeit des Kalten Krieges entstand und 2002 aufgelöst wurde, weil man nach den Anschlägen des 11. September 2001 glaubte, die Streitkräfte im Kampf gegen den internationalen Terrorismus vor allem auf Szenarien der asymmetrischen Kriegführung hin optimieren zu müssen. In diesen hätte man es mit zwar gefährlichen, aber doch technologisch unterlegenen Gegnern zu tun, die insbesondere die amerikanische weltraumgestützte militärische Infrastruktur nicht bedrohen könnten. In ihrer heutigen Beurteilung der internationalen Sicherheitslage sehen sich die Vereinigten Staaten jedoch wieder wie im 20. Jahrhundert durch rivalisierende Großmächte, nämlich Russland und vor allem China, herausgefordert, die technologisch nahezu ebenbürtig sind und den Weltraum ebenfalls militärisch nutzen.
Die Hürden werden kleiner Szenarien, in denen sich Flotten von Raumschiffen Schlachten liefern oder aus dem All heraus angreifen, sind allerdings weiter Science-Fiction-Filmen vorbehalten. Die Wirklichkeit militärischer Weltraumoperationen ist weit unspektakulärer und das Equipment unterscheidet sich nicht wesentlich von jenem, das zivil genutzt wird. Im Kern handelt es sich um Satelliten oder Satellitenverbünde für Erdbeobachtung, Kommunikation oder Navigation sowie Trägerraketen, mit denen sie in eine Umlaufbahn im All geschossen werden können.
Die technologischen und finanziellen Hürden, die Staaten (und unterdessen auch Unternehmen) überwinden müssen, um im Weltraum aktiv zu werden, sind immer niedriger geworden. Daher betreiben heute bereits fast 40 Nationen weit über 650 Satelliten zur Aufklärung des Geschehens auf unserem Planeten. Etwa 45 Länder haben zusammen gerechnet nahezu 800 Kommunikationssatelliten ins All geschossen. Weit über die Hälfte der Systeme sind dabei jeweils den USA zuzurechnen. Als Nummer Zwei hat sich mit einigem Abstand China vor Russland etabliert, das nach Jahren der Investitionspause nun wieder Anschluss zu gewinnen versucht. Sechs Satellitennavigationssysteme sind heute in Betrieb. Weltweite Abdeckung erzielen das amerikanische GPS, das russische GLONASS, das chinesische BeiDou und das europäische Galileo. Regional fokussiert sind das indische NavIC und das japanische QZSS.
Ausschließlich militärisch genutzte Satelliten sind in der Minderzahl. Allerdings ist das Gros der zivilen Systeme für einen "Dual Use" geeignet. Streitkräfte buchen Kapazitäten bei den Betreibern kommerzieller Kommunikationssatelliten. Sie sind an meteorologischen und topographischen Daten interessiert, die zivile Anbieter ebenso für wissenschaftliche Zwecke oder die Wirtschaft bereitstellen. Navigationssysteme sind heute Bestandteil des zivilen Alltags. Ihr Anstoß kam jedoch zumeist aus dem Militär, GPS, GLONASS und BeiDou werden auch von diesem kontrolliert.
In den Golfkriegen setzten sich die USA und ihre Alliierten in kürzester Zeit gegen einen zahlenmäßig weitaus stärkeren Gegner durch, weil sie über eine überlegene Waffentechnologie verfügten. Diese Überlegenheit beruhte zu einem großen Teil auf Fähigkeiten, die ihre im Weltraum stationierte Infrastruktur bereitstellte. Sie ist für die militärische Operationsführung von Land-, See- und Luftstreitkräften heutzutage unverzichtbar.
Bedingung für Präzisionswaffen Aufklärungssatelliten liefern Informationen, aus denen sich sehr schnell ein zuverlässiges Lagebild gewinnen lässt. Dieses erlaubt es, feindliche Kräfte und ihre Bewegungen sowie stationäre Einrichtungen zu identifizieren und punktgenau zu bekämpfen. Die Bundeswehr betreibt hierzu das aus fünf Satelliten sowie einer Bodenstation bestehende System SAR-Lupe, das mit seinen Radarsensoren wetterunabhängig Bilder liefert. In näherer Zukunft soll es durch das leistungsstärkere Systems SARah abgelöst werden. Zudem kann die Bundeswehr auf das französische optische Aufklärungssystem Helios II zurückgreifen.
Mit Hilfe von Kommunikationssatelliten ist es möglich, entlegen operierende Truppen über weite Distanzen zu führen. Die Bundeswehr verfügt derzeit über die beiden Satelliten COMSATBw-1 und COMSATBw-2 in einer geostationären Umlaufbahn. Im März 2018 wurden die Weichen für deren Modernisierung gestellt.
Navigationssysteme versetzen die eigenen Truppen in die Lage, sich zuverlässig und verzugslos zu orientieren. Zugleich sind sie die Voraussetzung für den Einsatz von Präzisionswaffen, die diesen Namen verdienen. Könnten Streitkräfte diese Weltraumsysteme nicht mehr nutzen, wären sie auf die Kriegführung der 1950er Jahre zurückgeworfen. All jene Technologien, die dafür sorgen, dass quantitative Unterlegenheit durch qualitative Überlegenheit mehr als nur aufgewogen wird, stünden nicht mehr oder nur noch eingeschränkt zur Verfügung. Im Wissen um diese Achillesferse moderner Streitkräfte betreiben sowohl die USA auf der einen als auch Russland und China auf der anderen Seite aufwändige Entwicklungen, um die eigenen Systeme zu schützen und jene der Kontrahenten stören oder ausschalten zu können. China hat seine Fähigkeiten auf diesem Gebiet bereits 2007 durch den Abschuss eines defekten Satelliten in einer niedrigen Umlaufbahn auf spektakuläre Weise demonstriert. Indien gelang dies im März 2019. Es ist davon auszugehen, dass heute mehr als ein Dutzend Staaten dazu imstande wären. Die Raketentechnologie hat sich rasant fortentwickelt und immer weiter verbreitet. Selbst den Abschuss von Satelliten in höheren Orbits von nicht mehr nur 2.000, sondern bis zu 36.000 Kilometern beherrscht heute weit mehr als nur eine Handvoll von Staaten. Über diese sogenannten "kinetischen" Waffen hinaus gibt es noch zahlreiche andere Möglichkeiten, feindliche Satelliten zu vernichten oder wenigstens zu stören. Durch Bodenstationen oder von Flugzeugen aus betriebene Laser, die Weltraumsysteme vielleicht (noch) nicht zerstören, aber doch blenden können, sind beispielsweise im Bereich des Möglichen.
Grenzen des Völkerrechts Das Völkerrecht setzt der militärischen Nutzung des Weltraums nur wenige Schranken, obwohl bereits seit den 1950er Jahren versucht wird, ihn in die Rüstungskontrolle einzubeziehen. Der 1967 geschlossene Weltraumvertrag untersagt immerhin die Stationierung von Massenvernichtungswaffen im All sowie militärische Tests und Einrichtungen auf Himmelskörpern wie etwa dem Mond. Zulässig wäre es aber beispielsweise, eine ballistische Interkontinentalrakete durch eine Nuklearexplosion außerhalb der Atmosphäre abzufangen oder konventionelle Waffen, die gegen Ziele auf dem Erdboden oder im Weltraum gerichtet sind, im All zu stationieren. Zwar haben Russland und China bereits 2008 einen Vertrag vorgeschlagen, der den Betrieb jeglicher aktiven Waffensysteme im Weltraum unterbindet (ohne allerdings ihre Entwicklung derartiger Systeme zu drosseln). Die Obama-Administration hat sich darauf nicht eingelassen, weil sie ihre Spielräume in der Raketenabwehr nicht eingeengt sehen wollte.
Handlungsbedarf ist aber nicht nur gegeben, um einem Wettrüsten im All Einhalt zu gebieten. Bereits Abschussexperimente wie das chinesische von 2007 und das indische von 2019 richten erheblichen Schaden an. Insbesondere die niedrigeren Erdumlaufbahnen sind nicht allein durch eine beständig zunehmende Zahl von Satelliten immer mehr ausgelastet. In ihnen bewegt sich eine wachsende Zahl von Weltraumschrott, von dem ein großer Teil auf Satellitenabschüsse zurückzuführen ist. Um dieser Gefahr auch für deutsche zivile und militärische Satelliten Herr zu werden, betreibt die Luftwaffe in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Uedem bei Bonn seit zehn Jahren das Weltraumlagezentrum. Experten warnen vor einem Kaskadeneffekt. Werden Satelliten durch Weltraumschrott zerstört, entsteht neuer Weltraumschrott, der wiederum andere Satelliten gefährdet. Militärische und zivile Infrastrukturen sind gleichermaßen bedroht. Ihre Beeinträchtigung oder gar Zerstörung hätte fatale Auswirkungen auf unseren Alltag und unser Wirtschaftsleben.
Der Autor arbeitet als freier Journalist in Berlin.