Recht : Fahnden mit Hilfe der Gene
Koalition schlägt Einführung der erweiterten DNA-Analyse für strafrechtliche Ermittlungen vor
Der Mord an Maria L. gab den Anstoß: Die Freiburger Studentin war in den frühen Morgenstunden des 16. Oktober 2016 auf dem Rückweg von einer Party vergewaltigt und umgebracht worden. DNA-Spuren des später zu lebenslanger Haft mit anschließender Sicherheitsverwahrung verurteilten Täters konnten gefunden werden, die zunächst allerdings nicht weiterhalfen. Auf rechts- und kriminalpolitischer Ebene entbrannte eine Debatte über den Umgang mit solchen Tatortspuren und erweiterte Möglichkeiten der DNA-Analyse. Der damalige Freiburger Polizeipräsident Bernhard Rotzinger forderte, DNA-Spuren auch auf Augen-, Haut- und Haarfarbe des Tatverdächtigen zu untersuchen, um genauer fahnden zu können. Das aber gab und gibt die Rechtslage bislang nicht her. Den Täter hatte man da schon mit klassischen Methoden gefasst, insbesondere mit der Auswertung von Kameraaufnahmen in Straßenbahnen.
Die Diskussion um die erweiterte DNA-Analyse war aber nicht mehr zu stoppen. Das Land Baden-Württemberg brachte 2017 einen Gesetzentwurf in den Bundesrat ein und setzte das Thema damit auf die Agenda der Bundespolitik. Der damalige Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) zögerte zunächst und verschleppte das Thema. Doch 2018 drückten CDU und CSU die erweiterte DNA-Analyse im neuen Koalitionsvertrag durch. Das Vorhaben soll nun als Teil des Gesetzentwurfes der Koalitionsfraktionen zur "Modernisierung des Strafverfahrens" (19/14747), der vergangenen Donnerstag in erster Lesung im Bundestag diskutiert wurde, umgesetzt werden.
Tatortspuren Künftig soll die Polizei nach dem Willen der Koalition Tatortspuren - etwa Blut, Sperma oder Hautteilchen - auf äußere Merkmale prüfen können: "Ist unbekannt, von welcher Person das Spurenmaterial stammt, dürfen zusätzlich Feststellungen über das Geschlecht, die Augen-, Haar- und Hautfarbe sowie das biologische Alter der Person getroffen werden." Dieser Satz soll in Paragraph 81e der Strafprozessordnung (StPO) eingefügt werden.
Die genetische Untersuchung von Tatortspuren ist seit den 1990er Jahren üblich. Bisher wurde am Tatort gefundenes Erbmaterial fast ausschließlich für den "genetischen Fingerabdruck" benutzt. Aus Spuren des mutmaßlichen Täters wird dabei ein eindeutiges Identifizierungs-Muster erstellt. Dieses wird dann mit den Mustern von konkret Verdächtigen oder mit den 1,2 Millionen Datensätzen in der DNA-Datenbank des Bundeskriminalamts (BKA) verglichen. Ein Treffer führt in der Regel direkt zum Täter, die Methode gilt als sehr präzise. Die Gefahr einer Falsch-Verdächtigung liegt bei etwa eins zu zehn Milliarden - vorausgesetzt die Proben wurden im Labor nicht vertauscht und die benutzten Geräte waren nicht verunreinigt.
Die erweiterte DNA-Analyse soll dagegen bei Fällen helfen, bei denen der Abgleich mit Verdächtigen und der DNA-Datenbank keinen Treffer ergab. Hier soll die Tatortspur künftig Informationen über das Aussehen des Täters liefern, die die Ermittlungen unterstützen. Bisher war nur die Feststellung des Geschlechts erlaubt, um Täter- und Opferspuren bei Sexualstraftaten unterscheiden zu können.
Die Genauigkeit der erweiterten DNA-Analyse ist sehr viel geringer als die des genetischen Fingerabdrucks. Der Gesetzentwurf verweist auf eine Stellungnahme der "Spurenkommission" der rechtsmedizinischen und kriminaltechnischen Institute. Danach liegt die "Vorhersagewahrscheinlichkeiten" für weiße Hautfarbe bei 98 Prozent und bei 95 Prozent für schwarze sowie 84 Prozent für eine dazwischen liegende Hautfarbe. Wenn es um die Haarfarbe geht, liegt die Genauigkeit bei schwarzen Haaren bei 87 Prozent, bei blonden Haaren nur bei 70 Prozent. Beim Alter ist eine Genauigkeit von vier bis fünf Jahren zu erwarten.
Kritiker wie der Kriminologe Christian Pfeiffer befürchten, dass die neue Befugnis falsche Erwartungen weckt. Da man vom genetischen Fingerabdruck extrem hohe Genauigkeit gewohnt ist, könnte dieses Image auf die erweiterte DNA-Analyse abfärben, obwohl deren Exaktheit unvergleichlich schlechter ist. Aussagen der Befürworter liefern solchen Befürchtungen immer wieder Nahrung. Oft heißt es, die neue Technik sei geeignet, den Täterkreis "einzuschränken", und erlaube es der Polizei, die Ermittlungen in bestimmte Richtungen zu "konzentrieren". Bei einer Genauigkeit von teilweise nur 70 Prozent wäre es jedoch fatal, wenn sich die Polizei vorschnell auf ein bestimmtes äußerliches Merkmal festlegt.
Unterschiedliche Methoden Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) macht sich insofern keine Sorgen: "Die Ermittler sind es gewohnt, unterschiedlichste Beweismethoden anzuwenden, und alle haben sie unterschiedliche Genauigkeiten", sagte sie jüngst in einem Interview. Die Polizisten könnten die Genauigkeit der neuen Technik schon richtig einschätzen. Zeugenaussagen dürften bei Ermittlungen ebenfalls berücksichtigt werden, trotz deren bekannter Ungenauigkeit.
Der Bundesrat hat sich vergangenen Freitag für eine Ergänzung des nicht zustimmungsbedürftigen Gesetzentwurfs ausgesprochen (532/19). Keinen Eingang fand darin aber der Vorschlag des Rechtsausschusses der Länderkammer, Tatortspuren auch auf die mutmaßliche kontinentale "Herkunft" des Täters (oder seiner Vorfahren) untersuchen zu lassen
Justizministerin Lambrecht hatte dieses Ansinnen ohnehin abgelehnt. "Das hilft ermittlungstaktisch nicht weiter", sagte sie. "Es kann aber dazu führen, dass größere Gruppen an den Pranger gestellt werden, etwa alle Afrikaner oder alle Asiaten."
Die Bedenken der Ministerin überraschen. Denn die geplante Untersuchung der Hautfarbe könnte ebenfalls zu Ressentiments führen, insbesondere wenn das Ergebnis öffentlich mitgeteilt oder sogar für eine DNA-Reihenuntersuchung genutzt wird. Schließlich ist für Fahndungsmaßnahmen ein seltenes Merkmal (zum Beispiel dunkle Hautfarbe) hilfreicher als ein häufiges Merkmal (zum Beispiel helle Hautfarbe), so dass die erweiterte DNA-Analyse typischerweise benutzt werden wird, die Dunkelhäutigkeit von Tätern zu prognostizieren oder tendenziell auszuschließen.
Sichtbares Merkmal Für Ministerin Lambrecht ist dies aber unproblematisch. Denn bei der Hautfarbe gehe es - anders als bei der kontinentalen Herkunft - um ein äußerlich sichtbares Merkmal. "Wenn ein Zeuge sagt, der Täter war dunkelhäutig, dann fahndet die Polizei selbstverständlich auch heute schon nach einem dunkelhäutigen Täter." Ähnlich wäre es auch, wenn es entsprechende Aufnahmen einer Kamera gäbe.
Ein Richtervorbehalt ist für die erweiterte DNA-Analyse nicht vorgesehen. Es gibt auch keine Eingrenzung auf bestimmte (schwere) Straftaten. Zumindest die Kosten werden aber dafür sorgen, dass die erweiterte DNA-Analyse nicht ständig angewandt wird. Ein Test-Kit für 20 gleichzeitige Proben kostet rund 3.500 Euro. Christian Rath
Der Autor ist freier rechtspolitischer Korrespondent.