FALL AMRI : Weiße Flecken
Ausschuss hört Zeugin mit Gedächtnislücken
Wissen Sie, was mich so irritiert?" Die Abgeordnete Martina Renner (Linke) machte nach dreieinhalb Stunden ihrer Enttäuschung als erste am deutlichsten Luft: "Sie haben gesagt, Sie seien diejenige, die den Überblick hat."
Nur noch um Fassung rang zu diesem Zeitpunkt auch ihre Kollegin Irene Mihalic (Grüne). "Es fällt mir wirklich schwer", wandte sie sich an die Zeugin. "Ich sage Ihnen auch, warum: Weil Sie sich nicht an grobe Sachverhalte erinnern können, aber Sie erinnern sich sehr genau daran, welche E-Mails Sie nicht bekommen haben."
Es war ja, hätte man denken können, eine hochkarätige Informationsträgerin, die da in der vorigen Woche vor dem Amri-Untersuchungsausschuss saß. Verbindungsbeamtin des Bundesamtes (BfV) für Verfassungsschutz seit 2011 im "Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum" (GTAZ) aller Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder. Teilnehmerin an allen oder doch den allermeisten Sitzungen, in denen auf dieser "Kommunikations- und Kooperationsplattform", wie sich die Zeugin ausdrückte, der Name Anis Amris fiel, des späteren Attentäters vom Berliner Breitscheidplatz.
Dürre Protokolle Da liegt manches noch im Dunkeln. Mit welcher Begründung wurde Amri in einer GTAZ-Runde am 17. Februar 2016 auf einer acht Stufen umfassenden Gefährderskala vom siebten in den fünften Rang heruntergesetzt? War die seither wie ein Mantra geäußerte Einschätzung unumstritten, von dem Mann sei kein "unmittelbarer Gefährdungssachverhalt" zu befürchten? Was wurde aus der Zusage des Verfassungsschutzes in der Sitzung am 2. November 2016, die Aktualität einer Amri betreffenden Terrorwarnung des marokkanischen Geheimdienstes zu überprüfen?
Bei den Unterlagen des Ausschusses finden sich zu all dem nur dürre Protokolle. Sie referieren Ergebnisse, nicht Entscheidungsprozesse. Die fehlenden Details, die weißen Flecken im Bild, wer sonst könnte sie füllen als die Frau, die fast immer zugegen war, sogar Gesprächsverläufe, wie sie dem Ausschuss verriet, regelmäßig in eigenen Notizen festgehalten hat? Doch was die Zeugin Petra M. den Abgeordneten zu berichten wusste, war derart, dass einer ihrer Zuhörer den Eindruck gewann, sie habe in den GTAZ-Sitzungen die Rolle einer "Zimmerpflanze" gespielt.
Nicht, dass der Ausschuss gänzlich erkenntnisfrei aus der Vernehmung hervorgegangen wäre. Zu erfahren war etwa, dass der radikalislamische Terrorismus im Sprachgebrauch der zuständigen Abteilung 6 des Verfassungsschutzes ein "Phänomenbereich" ist. Die Abgeordneten wissen jetzt, dass eine Sitzung im GTAZ eine halbe Stunde, aber auch bis zu zwei Stunden dauern kann und dass die Zeugin in zwei der insgesamt acht Arbeitsgruppen regelmäßig zugegen ist, nämlich in der AG "Tägliche Lage" sowie in der AG "Operativer Informationsaustausch".
Dabei spiele sie freilich selbst, betonte Petra M., kaum eine nennenswerte Rolle. Mehr als die Funktion einer "Informationsüberbringerin" würde sie sich keinesfalls zuschreiben wollen, geschweige denn, dass von ihr jemals ein "inhaltlicher Beitrag" zu erwarten wäre. Ihre Anwesenheit in der "Täglichen Lage" und beim "Operativen Informationsaustausch" diene einzig dem Zweck, den "Überblick über die aktuelle Lage" zu behalten "für meine administrative Tätigkeit".
Nur Zuhörerin Diese beschrieb die Zeugin dahingehend, dass sie als Verbindungsbeamtin die Einladungen etwa zu Sitzungen der AG "Operativer Informationsaustausch", in denen es jeweils anlassbezogen immer nur um einen konkreten Fall gehe, vom federführenden Bundeskriminalamt an die zuständige Fachabteilung des Verfassungsschutzes weiterzuleiten und dafür zu sorgen habe, dass ein Sachkundiger pünktlich zum Termin erscheine, und ihn, wenn nötig, am Eingang abzuholen und in den Sitzungsraum zu geleiten habe. Ihre Verantwortung sei es auch, anschließend den Protokollentwurf zu übermitteln und gegebenenfalls Änderungswünsche anzumelden. Ansonsten habe sie in den Besprechungen "keine aktive Rolle gespielt - ich war rein als Zuhörerin da".
Notizen vernichtet Nun ist vorstellbar, und manche Ausschussmitglieder waren erkennbar dieser Meinung, dass auch eine Zuhörerin vom Verlauf einer Sitzung noch das eine oder andere zu berichten weiß. Immerhin bescheinigte sich die Zeugin ein "gutes Namensgedächtnis", weswegen sie sofort im Bilde gewesen sei, als nach dem Anschlag auf dem Breitscheidplatz von einem Anis Amri die Rede war. Im Übrigen indes hat sie mit den Notizzetteln, die sie nach jeder Sitzung "zeitnah vernichtet" habe, offenbar auch jegliche immaterielle Erinnerung aus ihrem Gedächtnis getilgt.
So erfuhr der Ausschuss nicht mehr als dass Amri 2016 in mindestens 13 GTAZ-Runden zur Sprache gekommen, dort aber als ein "Fall wie jeder andere" behandelt worden sei, was die Abgeordneten so oder ähnlich noch von jedem Zeugen aus dem Verfassungsschutz gehört haben. Nichts also, woran man sich zwingend erinnern müsste: "Ich habe an so vielen Sitzungen teilgenommen, irgendwo überlagert sich das alles."