Ost und West : »You are leaving the American sector«
Spuren der deutschen Teilung 30 Jahre nach dem Mauerfall
Was? West-Berlin war von einer knapp vier Meter hohen, rund 160 Kilometer langen Doppel-Mauer umzingelt? Jugendliche und Touristen aus aller Welt können es manchmal nicht fassen. Berlin - eine geteilte Stadt. Gut, dass man 1989/1990 besonnen genug war, beim Abriss Teile der Mauer zu erhalten. Und so bleibt die einstige Teilung an ein paar Stellen präsent. Zusätzlich markieren zwei Reihen mit Pflastersteinen im Boden den einstigen Mauerverlauf quer durch die Stadt. Auf dass er niemals vergessen werde.
Die verbliebenen Mauerteile und Reste von Grenzanlagen sind zu Pilgerstätten geworden. Allen voran der Checkpoint-Charlie als einer von acht Grenzübergängen. Ein bisschen gruselig ist er immer noch. Die Kopie des kleinen Wachhäuschens mit den gestapelten Sandsäcken mitten auf der Friedrichstraße und das Schild "You are leaving the American sector" erinnern an den Ernst der Lage und brenzlige Situationen. 1961 standen sich hier amerikanische und sowjetische Panzer gegenüber und hielten für 16 Stunden die Welt in Atem. Der Checkpoint war der Mikrokosmos des Kalten Krieges. Ein paar Kilometer weiter östlich erstreckt sich die Eastside-Gallery, das mit 1,3 Kilometern längste erhaltene Mauerstück. So benannt, weil nach der Öffnung rund 100 Künstler aus 25 verschiedenen Nationen die Mauer von Osten aus bemalten. Es entstanden Bilder voller Doppeldeutigkeiten, Ironien, Kritiken und Anspielungen - wie der legendäre Bruderkuss zwischen Breschnew und Honecker. Und zwischen Mitte und Wedding präsentiert die Gedenkstätte Bernauer Straße schließlich das letzte Stück Mauer einschließlich Grenzstreifen.
Die Architektur des Kalten Krieges ist ein sicherer Hinweis, wo Ost und West war. Die Bauten im Zuckerbäckerstil an der Karl-Marx-Allee nach Vorbild sowjetischer Prospekte, Anfang der 1950er bis in die 1960er Jahre errichtet, wären im Westen undenkbar gewesen. Dort orientierte man sich eher an den USA. Die setzten 1957 ein Denkmal - die "Schwangere Auster" als Beitrag zur Internationalen Bauausstellung.
Plattenbauten Die Plattenbauten, von DDR-Bürgern geliebt, sollten die Wohnungsnot im Eiltempo beseitigen. Trabantenstädte schossen in Friedrichshain, Lichtenberg, Marzahn. Hohenschönhausen in die Höhe. In West-Berlin entstanden zu ähnlicher Zeit Großbausiedlungen wie das Märkische Viertel in Reinickendorf, die Gropiusstadt in Neukölln und das Falkenhagener Feld in Spandau. Viele Menschen auf wenig Platz. Bis heute ist das so.
Baulich hat sich das Zentrum Berlins nach der Wende enorm verändert. Im einstigen Ostteil mit den Bezirken Mitte, Prenzlauer Berg und Friedrichshain sind neben die weitgehend renovierten Gründerzeitbauten etliche Neubauten gerückt und auch im einstigen Westteil sind besonders in Tiergarten und Charlottenburg viele Neubauten entstanden - insgesamt ein Sammelsurium aus Zeiten vor dem Zweiten Weltkrieg, während des Kalten Krieges und nach der Wende.
Straßennamen Die Namen einiger Straßen und Plätze geben immer noch Aufschluss über die geteilte Stadt. Etwa die Karl-Liebknecht-Straße, benannt nach dem Marxisten, der 1918 vom 1950 gesprengten Stadtschloss die "sozialistische Republik" ausrief. Nebenan im einstigen Westteil erinnert der Straßenname an den Sozialdemokraten Philipp Scheidemann, der 1918 vom Balkon des Reichstags die "Republik" ausrief. Im östlichen Marzahn findet sich die "Straße der Kosmonauten", im westlichen Kreuzberg die Rudi-Dutschke-Straße.
Stadtführer werden von ehemaligen DDR-Bürgern häufig bange nach "ihren" Bauten gefragt. Dazu gehört die Weltzeituhr auf dem Alexanderplatz, zum 20. Jahrestag der DDR-Gründung eingeweiht: "Gibt's die noch?" Ja! Sie wurde nach der Wende restauriert. Der Fernsehturm mit seinen 368 Metern Höhe, Walter Ulbrichts Hätschelkind, ist ohnehin nicht zu übersehen.
Selbst am öffentlichen Nahverkehr lässt sich die einstige Teilung mitunter noch ablesen. Die U5 Richtung Hönow startet am Alexanderplatz als einem zentralen Ort der 1989er Demonstrationen, fährt unter der Karl-Marx-Allee entlang, dem Brennpunkt des Arbeiteraufstands von 1953, die Station Magdalenenstraße unterhalb der Frankfurter Allee liegt unmittelbar am einstigem Ministerium für Staatssicherheit. Demnächst wird die U5 Richtung westwärts verlängert und auf dem Weg zum Hauptbahnhof unter dem Brandenburger Tor halten, dem Symbol der Deutschen Einheit schlechthin. Der Bus M29 von Grunewald nach Neukölln bedient hingegen weiterhin Klischees über West-Berlin. Der gelbe Doppeldecker startet nobel und endet prekär, vom Villenvorort zum sozialen Brennpunkt Hermannplatz.
Riechen lässt sich der Unterschied zwischen Ost und West hingegen nicht mehr. Es gibt zwar in der gesamten Stadt noch ein paar Kohlehandlungen. Zieht man aber durch die Straßen Ost-Berlins, sticht der Geruch des Brennstoffs nicht mehr wie einst in der Nase. Lediglich die Trabis sind nach wie vor zu riechen. Ein paar wenige sind für touristische Ostalgiefahrten unterwegs. Man hört sie auch von weit her - wie vor 30 Jahren.
Die Autorin arbeitet als freie Journalistin in Berlin.