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EDITORIAL : Von Druck und Trotz

14.09.2020
True 2023-08-30T12:38:22.7200Z
2 Min

Der Vorwurf wiegt schwer: Der russische Oppositionspolitiker Alexej Nawalny ist in seiner Heimat mit einem chemischen Kampfstoff vergiftet worden. Die Bundesregierung hat Russland mit klaren Worten aufgefordert, die Hintergründe dieses Verbrechens aufzuklären. Das ist legitim, ja eigentlich selbstverständlich. Aber: Der Kreml tut das Gegenteil. Abstruse Thesen bis hin zu der Behauptung, Nawalny habe wohl etwas Unverträgliches gefrühstückt, hat Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) zu Recht als das Zünden von Nebelkerzen bezeichnet.

Und dennoch ist es befremdlich, wenn in Teilen der deutschen Politik behauptet wird, Nawalny sei zweifelsfrei auf Anordnung des russischen Präsidenten Wladimir Putin vergiftet worden. Gewiss, zahlreiche ähnlich gelagerte Fälle in der Vergangenheit und der Umstand, dass Nawalny dem Kreml ein schmerzender Dorn im Auge der Macht ist, lassen solche Vermutungen nicht abwegig erscheinen. Sie mögen sogar wahrscheinlich sein. Trotzdem bleiben sie bis zu einer Aufklärung des Verbrechens genau das: Vermutungen.

Auch deshalb ist die Diskussion über der Frage, wie Russland am effektivsten unter Druck gesetzt werden kann, so schwierig. Würden Wirtschaftssanktionen, das Einfrieren von Bankkonten, gar ein Stopp des Pipeline-Projektes Nord Stream 2 den Kreml wirklich zum Einlenken zwingen? Oder hätte das eher den Effekt, dass aus Trotz und Selbstgefälligkeit erst recht nichts geschieht?

Wie auch immer diese Fragen beantwortet werden: Keinesfalls darf der Eindruck entstehen, der Fall Nawalny sei ausschließlich ein deutsch-russisches Problem. Es bedarf einer international abgestimmten Strategie, die verdeutlicht, dass es nicht hinnehmbar ist, wenn unliebsame Politiker Opfer von Mordanschlägen werden. Das muss das Anliegen all jener sein, für die Menschenrechte, Parlamentarismus und Demokratie unverzichtbare Bestandteile eines Lebens in Freiheit, eines Lebens mit Würde sind.

In Russland wie auch in Belarus und anderswo ist zu besichtigen, dass das sowjetische Erbe noch immer präsent ist. Gewalt, Mord und Totschlag gehören zum grausamen Repertoire der Machthaber. Deshalb verdienen die Menschen, die sich dem unter Gefahr für Leib und Leben mutig entgegenstellen, Unterstützung, Respekt, ja Bewunderung.