EDITORIAL : Prinzip Hoffnung
Der Konflikt schwelt zwölf Jahre. 2008 trug das Bundesverfassungsgericht dem Bundestag auf, die Zuteilung der Sitze im Parlament neu zu regeln. Seitdem wird in den Fraktionen und darüber hinaus konzeptioniert und diskutiert, gestritten und verworfen.
Ziel: Der Bundestag soll personell auf keinen Fall weiter wachsen. Maßstab: Die jeweils eigene Fraktion darf durch eine Reform nicht geschwächt werden. Ergebnis: Keines, jedenfalls keines, das mit dem Begriff Reform auch nur annähernd treffend beschrieben wäre.
Immerhin hat der Bundestag in der vergangenen Woche einen vom Koalitionsausschuss entwickelten Fahrplan beschlossen. Der setzt zur Bundestagswahl 2021 auf das Prinzip Hoffnung; mit wenigen Maßnahmen soll erreicht werden, dass nach der Wahl nicht mehr als die aktuell 709 Abgeordneten einen Platz im Plenarsaal beanspruchen. Ob das gelingt, bleibt abzuwarten.
Erst zur übernächsten Wahl 2025 sollen die Dinge dann definitiv geregelt sein. Eine Kommission wird beauftragt herauszufinden, wie das gehen könnte. Und damit endlich ein großer Wurf gelingt, wird die Debatte um die Sitzverteilung im Bundestag mit verwandten Fragen angereichert: Brauchen wir ein Wahlrecht ab 16 Jahren auch auf Bundesebene? Ist eine längere Legislaturperiode von fünf Jahren hilfreich? Sollte festgeschrieben werden, dass Frauen und Männer zu gleichen Teilen im Parlament sitzen?
Gewiss sind diese Themen relevant und spannend. Angesichts des bisherigen Trauerspiels um das Wahlrecht wäre es jedoch sinnvoll, die Bemühungen um eine Reform nicht zu überfrachten. Beispiel Parität in Parlamenten: Hier entwickelt sich gerade eine Rechtsprechung, die das Thema möglicherweise in neuem Licht erscheinen lässt.
Seit vielen Jahren werben Parlamentspräsident Wolfgang Schäuble und sein Vorgänger Norbert Lammert (beide CDU) um einen Kompromiss bei der Wahlrechtsreform. Neben dem jetzt beschlossenen Koalitionsentwurf gibt es auch diskussionswürdige Ideen aus den Reihen der Opposition. Es wäre hilfreich, wenn der Öffentlichkeit endlich der Eindruck vermittelt würde, dass es den Fraktionen nicht nur um politische Macht, sondern auch um gemeinsame Verantwortung für die Demokratie geht. Dazu müsste freilich deutlich konstruktiver miteinander gesprochen werden.