Ländlicher Raum : Warten auf den Anschluss
Von der Feuerwehr bis zum Glasfaserausbau - der Bundestag debattiert über gleichwertige Lebensverhältnisse
Malerische Stille vor blühenden Landschaften, selige Kinder im trauten Familienkreis - solche Blüten treiben die Utopien mancher Städter bei der Vorstellung vom Leben auf dem Lande. Wer hier wohnt, kennt freilich die wenig idyllischen Realitäten: Ohne Auto(s) funktioniert nichts, weil kein Bus mehr kommt, kein Laden und kein Amt mehr da sind und die Arbeitsstelle kilometerweit entfernt liegt. Die Bundesregierung, allen voran Heimatminister Horst Seehofer (CSU), hatte sich gleiche Voraussetzungen und Möglichkeiten für Bürger unabhängig vom Lebensort auf die Fahnen geschrieben; wie weit sie damit vor allem im Bereich Mobilität gekommen ist, debattierte der Bundestag kurz vor Ende der Legislaturperiode noch einmal ausgiebig im Plenum.
Anlass zu der Aussprache am Freitagnachmittag hatten mehrere Oppositionsfraktionen mit Anträgen geliefert (19/27875, 19/10288, 19/26297, 19/20576, 19/14387, 19/18674, 19/22553, 19/25007, 19/17772, 19/10639, 19/10640, 19/11108). Bis auf einen Grünen-Antrag, der im Verkehrsausschuss weiter beraten wird, wies der Bundestag die Vorstöße zurück.
"Die Lebenswelten von Menschen driften auseinander, abhängig davon, wo sie leben" sagte Markus Tressel (Bündnis 90/Die Grünen). Insofern sei die Gleichwertigkeit von Lebensverhältnissen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt essenziell. Er warb für die Grünen-Anträge als "zeitgemäße Antwort auf die Mobilitätsmisere." Die Grünen wollten eine Strategie für den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) - so müsse das Nahverkehrssystem so umgebaut werden, dass ein starkes Bussystem zwischen den Zentren mit kleinteiligen Lösungen für die letzten Meilen ergänzt wird. Außerdem will die Fraktion mehr Radwege auf dem Land und den Ausbau von Elektromobilitätsinfrastruktur. .Die Corona-Krise habe den Trend zum Landleben angeschoben, sagte Tressel. Verstetigen werde sich der aber nur, wenn sich Lebensbedingungen langfristig verbessern.
Der ländliche Raum könne helfen, Probleme der Ballungsräume zu lösen, bekräftigte Torsten Schweiger für die Fraktion CDU/CSU und erinnerte an die Herausforderungen auf den Wohnungsmärkten und bei der städtischen Infrastruktur. Die Bundesregierung habe darauf mit einem "Plan für Deutschland" reagiert, der in einer Zwischenbilanz die Komplexität der Herausforderungen verdeutlicht: Die Umsetzung von Projekten dauere an, und nicht überall seien Erfolge zu verzeichnen: Der CDU-Abgeordnete nannte als Beispiel das Vorhaben, Behörden im ländlichen Raum anzusiedeln. Überwiegend sei das jedoch im Bereich von Großstädten passiert. "Wir brauchen mehr Konsequenz", mahnte Schweiger an die Entscheidungsträger auf Bundes-, Länder und kommunaler Ebene gleichermaßen gerichtet. Die Oppositionsanträge lieferten teils gute Solitäransätze, eine erfolgreiche Umsetzung sei allerdings nur in einer Gesamtstrategie möglich.
Bela Bach vom Koalitionspartner SPD verwies auf die Anstrengungen zum Stärken des ÖPNV, sowohl finanziell als auch strukturell. So würden bei der Mittelvergabe auch Nachhaltigkeitskriterien eine Rolle spielen. Bach rechnete vor, dass sich die Vorschläge der Grünen zur Spritpreiserhöhung minimal auf das Budget von Autofahrern auswirken würden und somit keinen Anreiz zum Überdenken der persönlichen Mobilität böten. Auch die Diskussion darüber sei deswegen aufgebauscht. Nachfolgende Redner der SPD-Fraktion hoben die millionenschweren Investitionen in Schienen- und Radwege hervor.
Dirk Spaniel (AfD) erklärte das Konzept seiner Fraktion für eine bessere Mobilität auf dem Land. Autofahren müsse billiger werden genauso wie Taxifahren. Die Spritpreise müssten gesenkt, Straßen für den Individualverkehr ausgebaut werden, so der AfD-Abgeordnete. Außerdem warb er für einen Antrag, der sich gegen Beschränkungen für Motorradfahrer ausspricht. Nachfolgende AfD-Redner hoben die Bedeutung von freiwilligen Feuerwehren auf dem Land hervor.
Auch die FDP möchte die Mobilität von Menschen auf dem Land verbessern und setzt dabei auf die Möglichkeiten der Digitalisierung. Digitale Angebote könnten vor allem dem Service auf den letzten Meilen dienen, zum Beispiel bei Carsharing-Optionen und Taxiangeboten, sagte der Abgeordnete Bernd Reuther. Um Reformen durchsetzen zu können, müsse allerdings das Personenbeförderungsgesetz geändert werden, sagte Reuther. Die Vorschläge der Grünen sind für ihn realitätsfern - es sei nicht zumutbar, bis zu 30 Kilometer lange Arbeitswege mit dem Fahrrad zurückzulegen.
Heidrun Bluhm-Förster (Die Linke) schließlich warb für das Ziel ihrer Fraktion, Anbieter im Bereich der Daseinsvorsorge zu "vergesellschaften". Wohnen, Gesundheit und Sport beispielsweise sei besser in der Kommune verankert als in die Hände Privater gelegt. So könnten Bundes- und Landesmittel zum Herstellen gleichwertiger Lebensbedingungen auch effizienter wirken. Auskömmliche Kommunalfinanzen sind nach Ansicht von Bluhm-Förster grundsätzlich die Bedingung dafür, Landleben für alle und besonders für Familien attraktiv zu machen - weit über die Pandemiezeit hinaus.