gesundheit : Es stinkt nicht mehr am Himmel
Müllverbrennungsanlagen sind deutlich sauberer geworden. Experten sehen jedoch Forschungsbedarf
Es war das Aufregerthema in den 1980er-Jahren schlechthin, Symbol für die Ignoranz von Wirtschaft und Politik gegenüber den Belangen von Mensch und Umwelt: Das ungehemmte Verbrennen von steigenden Müllaufkommen in Anlagen, die scheinbar unkontrolliert giftige Dämpfe in die Luft pusten durften. Diese Zeiten sind vorbei; inzwischen ist die Politik nicht nur sensibilisiert, sondern hat die Grenzwerte für Emissionen aus Müllverbrennungsanlagen drastisch verschärft. "Diese Anlagen unterliegen mit den strengsten Werten gemäß dem Bundesimmissionsschutzgesetz", sagt die Wissenschaftlerin Julia Vogel vom Umweltbundesamt. "Die Vorbehalte und Vorwürfe gegenüber Abfallverbrennung stimmen so nicht mehr."
Auch vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) heißt es die Schadstoffemissionen lägen heute deutlich unter denen von 1990. Allerdings weist der Verband darauf hin, dass die Grenzwerte nur für den Normalbetrieb gelten würden, nicht etwa beim Anfahren der Anlagen oder bei Betriebsstörungen.
Dem Lobbyverband Interessengemeinschaft der Thermischen Abfallbehandlungsanlagen in Deutschland e.V. (ITAD) zufolge wurden in ITAD-Mitgliedsanlagen im Jahr 2019 mehr als 24 Millionen Tonnen Abfall verbrannt. Die zulässigen Grenzwerte für Emissionen, bei der Verbrennung, allen voran Quecksilber und Dioxine, würden in nahezu allen Bereichen unterschritten, erklärt der Verband und sieht seine Anlagen als Vorbild in Sachen Technik Abfälle müssen "Emissionen aus den Thermischen Abfallbehandlungsanlagen bleiben weiterhin auf einem so niedrigen Niveau, dass die Relevanz-Schwellen für den Umwelt- und Gesundheitsschutz nicht erreicht werden", heißt es im Jahresbericht 2019. Darin sieht sich die Müllverbrennungslobby gar als Garantin für den Umweltschutz. "Aus der thermischen Abfallbehandlung gibt es keine Freisetzung in die Umwelt etwa von Mikroplastik, ganz im Gegensatz zu vielen Deponien und wilden Ablagerungen."
Letztere standen zu den Hochzeiten der Umweltbewegung mindestens ebenso im Fokus. Doch auch der Vorwurf, achtlos auf Deponien gelagerter Müll gefährde die Gesundheit von Mensch, Tier und Pflanzen, lasse sich nicht mehr halten, sagt UBA-Expertin Vogel. "Unbehandelter Abfall wird nicht mehr abgelagert." Mit den dadurch reduzierten Schadstoffgehalten der Abfälle und den anspruchsvollen Abdichtungssystemen der Deponien seien sie in Deutschland als sicher zu bewerten. Dabei gibt es viele der stinkenden Deponien, gegen die Umweltschützern in den 1980er-Jahren und danach sowohl in West- als auch Ostdeutschland protestiert haben, bis heute - allerdings sind sie inzwischen saniert. Seit 2005 darf auf den mehr als 1.050 solcher Anlagen in Deutschland kein unverbehandelter Müll mehr abgelagert werden.
Gleichwohl ziehen nicht alle Wissenschaftler ein ähnlich klares Fazit wie UBA-Expertin Vogel. So gab es beispielsweise vor fünf Jahren Berichte über eine wissenschaftliche Untersuchung, die einen Zusammenhang zwischen der Häufigkeit von Atemwegserkrankungen und der Wohnortnähe zu Deponien feststellte - mit dem Hinweis, dass dies tiefer erforscht werden müsste. Und der BUND fordert auch beim Thema Verbrennung mit Blick auf die Feinstaubbelastung ein genaueres Hinsehen - diese Belastung nämlich werde nur unzureichend messtechnisch erfasst, obwohl nachwiesen werden konnte, dass Feinstaub aus Müllverbrennungsanlagen gesundheitliche Folgen für die Anwohner nach sich zieht.
Überwachung Das Bundesumweltministerium erklärt dazu, die "Emissionsanforderungen für Gesamtstaub aus Abfallverbrennungsanlagen" gingen deutlich über die für vergleichbare Anlagen hinaus, die keine Abfälle verbrennen. Die Emissionen würden kontinuierlich überwacht. Zudem weist ein Ministeriumssprecher darauf hin, dass die Grenzwerte für Feinstaub in Deutschland flächendeckend eingehalten werden. Er kündigt auch eine neue Verordnung an, mit der EU-Vorgaben umgesetzt und es "punktuell nochmals zu Verschärfungen bei den Emissionsanforderungen für Abfallverbrennungsanlagen kommen" werde. Ein erster Entwurf solle im ersten Quartal 2022 vorliegen.