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Versäumnisse zu Beginn des Afghanistaneinsatzes : Die Taliban fehlten auf dem Petersberg

Experten haben in einer Anhörung betont, man hätte die Taliban als Konfliktpartei am Neuaufbau ihres Landes beteiligen und die Zivilgesellschaft einbeziehen müssen.

19.12.2022
True 2024-06-17T15:29:19.7200Z
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Grundlegende Fehler des zwei Jahrzehnte dauernden internationalen Afghanistan-Engagements, das im Sommer vergangenen Jahres im Chaos endete, sind bereits ganz am Anfang gemacht worden: So lautete in der vergangenen Woche die Einschätzung der Sachverständigen in der zweiten öffentlichen Anhörung der Enquete-Kommission "Lehren aus Afghanistan für das künftige vernetzte Engagement Deutschlands".

Es wäre besser gewesen, man hätte die Taliban als Konfliktpartei an dem Neuaufbau ihres Landes beteiligt und zu der Petersberger Konferenz in Deutschland Ende November 2001 eingeladen, alle Konfliktparteien konsequent entwaffnet, echte demokratische Strukturen zugelassen und die Zivilgesellschaft stärker einbezogen, darin waren sich die Expertinnen und Experten einig. Die Bedingungen und Versäumnisse zu Beginn der Afghanistan-Mission, rund um die Petersberger Konferenz (vom 27. November bis 5. Dezember 2001), sowie die Wahrnehmung des internationalen Eingreifens seitens der afghanischen Bevölkerung und Zivilgesellschaft standen im Mittelpunkt der Anhörung.

Frauenrechtlerin sieht in Ausschluss der Taliban den "größten Fehler"

Die afghanische Politikerin und Frauenrechtlerin Habiba Sarabi bezeichnete den Ausschluss der Taliban als "größten Fehler". Damit sei die Grundlage für deren militanten Wiederaufstieg gelegt worden. Hätte man sie einbezogen, wären sie nicht in den bewaffneten Widerstand gegen die Nato-Koalition gegangen. Wäre eine Modernisierung des Landes das Ziel gewesen, hätte man zudem größeres Gewicht auf Recht und Gesetze legen müssen. Stattdessen sei der Loja Dschirga, als einendes Organ, das die Verfassung hervorbringe, "zu viel Aufmerksamkeit" geschenkt worden.

Thomas Ruttig (Afghanistan Analysts Network) bezeichnete es neben dem "Geburtsfehler" des Afghanistan-Engagements, die Taliban auszuschließen, als einen "strategischen Fehler", Repräsentanten der Zivilgesellschaft einen "Platz am runden Tisch des Hauptforums auf dem Petersberg verweigert" und sie "nicht von Anfang an als selbständige Akteure in die Umsetzung der Bonner Vereinbarungen und die entstehende Interimsregierung eingebunden" zu haben.

Staatsaufbau: Vielfalt der provinziellen Machtzentren nicht gerecht geworden

Susanne Schmeidl von der Schweizerischen Friedensstiftung Swisspeace erinnerte daran, dass es im Herbst 2001 nur wenige Tage Zeit gegeben habe, ein breites und repräsentatives Spektrum an Vertretern und Organisationen aus Afghanistan einzuladen. In dieser knappen Zeit hätte man längst nicht alle erreichen, geschweige denn nach Bonn bringen können. Schmeidl kam auch auf den Versuch des Demokratieexports zu sprechen: Statt die Petersberger Konferenz als Startschuss für einen "von unten" inspirierten Staatsaufbau zu nutzen, sei später ein "Staat von oben nach unten" aufgebaut worden, ein zentralistisches System, das der Vielfalt der provinziellen Machtzentren Afghanistans nicht gerecht geworden sei.