Bundeswehreinsatz in Mali : Krisenstaat am Scheideweg
Weil die Übergangsregierung die Nähe zu Russland sucht, stehen die Bundeswehreinsätze auf dem Prüfstand.
Djibril Maïga ist von seinem Schreibtisch aufgestanden, er will von der Kommode zwei Bilderrahmen im DIN A4-Format holen. Der malische Mediziner betreibt mit Kolleginnen und Kollegen eine Gemeinschaftspraxis in der Hauptstadt Bamako. Maïga ist Mitte 50, er hat noch zu Zeiten der Sowjetunion in Russland studiert, seither ist er Mitglied einer Gruppe ehemaliger Studierender.
Laut Maïga hat diese die russische Regierung schon im vergangenen Jahr gebeten, Mali zur Hilfe zu kommen - das westafrikanische Land befindet sich seit 2012 in einer schweren politischen und Sicherheitskrise. Maïga zeigt auf eines der Schriftstücke im Rahmen und erklärt: "Wir hatten acht Millionen Unterschriften gesammelt, ich habe sie der russischen Botschaft übergeben, das hier ist die Empfangsbestätigung." Sich an Russland zu wenden, sei für ihn ein ganz natürlicher Schritt gewesen. "Die Russen sind schon sehr lange in Mali. Wir empfinden sie und die Chinesen als Teil der Familie."
Mehrere westliche Regierungen sind inzwischen davon überzeugt, dass die militärische Übergangsregierung Malis mit Söldnern der berüchtigten russischen Wagner-Gruppe kooperiert, der schwere Verstöße gegen die Menschenrechte vorgeworfen werden. Weil die Übergangsregierung demokratische Wahlen außerdem auf unbestimmte Zeit verschoben hat, stehen die internationalen Einsätze von EU und Vereinten Nationen, EUTM Mali und Minusma (siehe Zweispalter rechts) jetzt auf dem Prüfstand. Auch die Bundeswehr beteiligt sich daran mit bis zu 1.700 Soldatinnen Ende Mai laufen die Bundestagsmandate dafür aus.
Historische Verbindungen zwischen Mali und Russland
Das westafrikanische Land hatte sich nach der Unabhängigkeit von Frankreich 1960 zunächst dem Ostblock angeschlossen. Die Verbindung zwischen Mali und Russland reiche bis in diese Zeit zurück, erklärt Maïga. "Die Russen haben hier Fabriken, Schulen und Universitäten gebaut. Sie haben die Grundlagen dafür gelegt, dass wir in Mali überhaupt Schulen haben." Maïga ist davon überzeugt, dass es sich bei den Sicherheitskräften im Land nur um reguläre Soldaten handelt, nicht um Söldner der Wagner-Gruppe.
Der letzten zivilen Regierung trauert Maïga nicht nach, ohnehin ist in Bamako kaum ein gutes Wort über die bis 2020 formal demokratische Staatsführung zu hören. In den vergangenen Jahren hatten immer wieder Tausende gegen die damals noch zivile Regierung und deren mächtigsten Partner Frankreich demonstriert. Die Bevölkerung fühlte sich von der korrupten Elite ausgebeutet. Vor allem aber verschlechterte sich die Sicherheitslage zunehmend. Islamistische Gruppen weiteten ihren Einfluss aus, ethnische Konflikte kamen hinzu.
Ganze Dörfer wurden abgebrannt, hunderte Menschen grausam getötet. Die Armee und die Regierung waren offenbar nicht willens oder nicht in der Lage, die Bevölkerung zu schützen. Auch Frankreich nicht, das die von UN und EU unabhängige Anti-Terroroperation Barkhane unterhielt. Die Wut der Malierinnen und Malier wuchs, bis die Armee im August 2020 putschte, und dann noch einmal wenige Monate später. Die Bevölkerung steht mehrheitlich hinter dem Putsch, begrüßte auch das Ende der französischen Operation.
In Mali kämpfen islamistische Gruppen gegen den Staat und die Armee, die Sicherheitslage ist extrem instabil.
Das gilt ebenso für Adama Ben Diarra. Der 36-Jährige ist Mitglied des Übergangsparlaments und Präsident der Frankreich-kritischen Bewegung "Yerewolo Debout sur les remparts" und einer der derzeit einflussreichsten Aktivisten in Mali. An diesem Nachmittag treffen sich etliche Mitglieder der Bewegung in einem geräumigen Hinterhof in Bamako. Diarra ist deutlich zu früh gekommen, er nutzt die Zeit, um mit einigen Mitstreitern noch etwas zu essen.
Die Männer schieben ihre Stühle rund um einen weiteren Stuhl, der als Tisch dient. Sie teilen sich ein Baguette, tunken ihre Brotstücke in eine große Schüssel mit Fleisch und Soße. Diarra nennt sich gerne das "Gehirn der Revolution". Die EU und die westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS haben ihn mit gezielten Sanktionen belegt. Die EU wirft ihm vor, das Abhalten von freien Wahlen zu behindern.
Nach dem Essen ist Diarra zu einem Interview bereit. Von den vielen Vorwürfen gegen die malische Armee und gegen russische Sicherheitskräfte hat er gehört. Seine leicht schleppende Stimme klingt gelangweilt. "Die Vorwürfe sind aus der Luft gegriffen", ist er sich sicher. Frankreich versuche, die malische Armee zu diskreditieren, weil es seinen Einfluss in Mali verloren habe.
Berichte über mutmaßliche Massaker
In den verschiedenen Berichten der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch wirken sie dagegen gut belegt. Corinne Dufka ist die Westafrika-Direktorin der Organisation. Bevor sie Anfang April den Bericht über ein mutmaßliches Massaker in dem Ort Moura veröffentlichte, habe Human Rights Watch mit etwa 20 Augenzeugen gesprochen. Sie hätten die Militäroperation beschrieben, die Ende März stattfand. Daran seien malische Soldaten und weiße Bewaffnete beteiligt gewesen, "die von den Zeugen als Russen identifiziert wurden".
Moura liegt in einem Gebiet, das schon länger von den bewaffneten Islamisten kontrolliert wird. "Die Sicherheitskräfte lieferten sich einen Schusswechsel mit einigen bewaffneten Islamisten, die sich an diesem Tag auf dem Markt aufhielten. Anschließend umstellten die Soldaten den Markt und nahmen fast alle männlichen Personen fest."
Den Männern wurde offenbar befohlen, Massengräber auszuheben
Unter den Verhafteten befanden sich laut Dufka sowohl Dorfbewohner als auch Hunderte von Händlern, die an diesem Sonntag auf den Markt gekommen waren. Die Festgenommenen seien zu einem Platz etwas östlich des Ortes gebracht und dort ohne Schutz vor der Sonne vier Tage lang festgehalten worden. Während dieser vier Tage sollen die Soldaten immer wieder kleinere Gruppen von Menschen mitgenommen haben - mal zwei, mal vier, bis zu zehn. Den Männern sei befohlen worden, Massengräber auszuheben. Anschließend wurden sie den Zeugen zufolge exekutiert. Insgesamt wurden laut Human Rights Watch etwa 300 Menschen getötet.
Es sind nicht die ersten Vorwürfe dieser Art. Doch in Mali werden sie von vielen für "Fake News" gehalten und kaum ernst genommen. Es scheint, als ersehne die Bevölkerung derzeit vor allem eins: Stabilität, womöglich um jeden Preis. Von den internationalen Missionen, EUTM und Minusma sind viele Malierinnen und Malier enttäuscht, weil sich die Sicherheitslage in den vergangenen Jahren sogar verschlechtert hat - trotz der Tausenden von Soldaten im Land. "Das stimmt", räumt Boubacar Bar, der Leiter des "Zentrums für die Analyse von Regierungsführung und Sicherheitsfragen" in Bamako, ein. "Aber ganz ohne Ergebnis waren die Missionen auch nicht."
Der Jurist forscht seit vielen Jahren zu den Konflikten im Zentrum des Landes. Dass die ausländischen Missionen Mali nicht stabilisieren konnten, liegt ihm zufolge auch an der Komplexität der Probleme. "Ich glaube, dass man Mali nicht aufgeben darf", stellt er fest. "Es geht darum, diesem Land zu helfen. Es geht ja nicht um die Regierung - die Bevölkerung ist in Schwierigkeiten."
Auch Anna Schmauder vom Thinktank Clingendael-Institut hat in Mali viel Enttäuschung über die internationalen Truppen gehört. Zu den Gründen gehöre auch, dass der Bevölkerung kaum richtig erklärt worden sei, welche Aufgaben die internationalen Militärmissionen jeweils hätten. Dieses Problem habe nun auch die UN-Mission Minusma, "weil es natürlich trotz deren Präsenz viele Angriffe auf Zivilisten gibt". Oft werde dann der Vorwurf laut: "Warum habt ihr uns nicht beschützt?" oder "Warum vor allen Dingen habt ihr nicht gegen die gekämpft, die uns angegriffen haben?" Das sei aber so konkret nicht unbedingt die Rolle von Minusma.
Beim deutschen Engagement in Mali sind derzeit viele Fragen offen.
Die Ampel müht sich, CDU/CSU für das Sondervermögen für die Bundeswehr zu gewinnen. Die Union hat aber noch Bedenken und Forderungen.
In den vergangenen Jahren wurde das Mandat der UN-Mission allerdings erweitert, 2019 wurde der Schutz von Zivilisten als strategische Priorität mit aufgenommen. "Konkret ist Minusma aber trotzdem kein Kampfeinsatz und wird deswegen auch nicht aktiv gegen extremistische Gruppierungen vorgehen können", betont Schmauder. Sie fordert eine stärkere Auseinandersetzung mit der Frage, wie der Schutz der Bevölkerung in einem neuen Mandat gestärkt werden könnte. Das hieße für Deutschland, die EU und die Vereinten Nationen: Kein blindes "Weiter So" im Umgang mit Mali, aber auch kein abrupter Abbruch der Missionen. Und es hieße vor allem, die eigene Rolle und die eigenen Fehler in den vergangenen Jahren gründlich zu hinterfragen.