Gastkommentare : Pro und Contra: Entwicklungshilfen für Palästina streichen?
Soll Deutschland nach dem Angriff der Hamas auf Israel die Entwicklungshilfen für Palästina kippen? Richard Herzinger und Timot Szent-Iványi im Pro und Contra.
Pro
Nicht zu vertreten
Die massenhafte Abschlachtung israelischer Zivilisten durch die Hamas muss einschneidende Konsequenzen vonseiten des Westens haben. Für Brüssel und Berlin bedeutet dies, das Scheitern ihrer seit etlichen Jahrzehnten betriebenen Palästina-Politik einzugestehen.
Die üppigen Finanzhilfen der EU an die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) sollten deren institutionelle Strukturen im Blick auf einen künftigen Palästinenserstaat stärken. Doch die PA ist bis ins Mark korrupt und seit Langem dysfunktional. Der greise Dauerpräsident Abbas hat seit 18 Jahren keine Wahlen mehr zugelassen und gibt seinem wüsten Antisemitismus nebst dreister Holocaustrelativierung immer ungehemmter Ausdruck. Die jüngsten Untaten der Hamas hat die PA explizit gerechtfertigt. Wer sie weiter finanzieren will, um ihren Kollaps und damit die Machtübernahme der Hamas auch im Westjordanland zu verhindern, verkennt, dass sich das vermeintlich "gemäßigte" Fatah-Regime in Ramallah in Wahrheit nicht wesentlich von dem in Gaza unterscheidet.
Bezüglich der zu humanitären Zwecken geleisteten Zahlungen beteuert die Bundesregierung, sie kämen in keiner Weise der Hamas zugute. Doch da die UN-Hilfsorganisation UNRWA, die einen Großteil der Mittel verteilt, enge Beziehungen zu den Radikalislamisten pflegt, ist das zu bezweifeln. In jedem Fall aber bedeuten die Hilfen eine Unterstützung für die Hamas. Entlasten sie diese doch von der Pflicht, sich um das Wohl der von ihr beherrschten Bevölkerung Gazas zu kümmern. So kann sie ihre Ressourcen ungemindert in die Aufrüstung zu weiterem Terror stecken. Hilfsleistungen sind erst wieder vertretbar, wenn die verbrecherische Macht der Hamas in toto gebrochen ist.
Contra
Pauschal wäre falsch
Um das klarzustellen: Es gibt keinerlei Rechtfertigung für den brutalen Terror der Hamas. Israel hat das völkerrechtlich verbriefte Recht, sich gegen den Angriffskrieg zu Wehr zu setzen. Richtig ist ebenso, die Entwicklungshilfe für die Palästinensischen Gebiete auszusetzen und noch einmal sehr genau hinzuschauen, ob die Mittel nicht doch in die Kassen der Hamas fließen könnten.
Und natürlich muss der Sinn und Zweck einer jeden Maßnahme daraufhin überprüft werden, ob sie noch zu neuen Lage passt. Schließlich bestand immer die Hoffnung, dass auch die Hamas zur Vernunft kommt und einen Frieden mit Israel anstrebt; in den vergangenen Jahren gab es immer wieder erfolgreiche Verhandlungen mit der israelischen Seite über eine Deeskalation. Doch nun hat die Hamas endgültig gezeigt, dass sie an einem dauerhaften Frieden keinerlei Interesse hat.
Die Einstellung aller Entwicklungshilfe für Palästina wäre indes ein Fehler. Zumindest muss unterschieden werden zwischen dem von der Hamas kontrollierten Gaza-Streifen und dem Westjordanland, wo die verfeindete Fatah das Sagen hat. Sie hat im Rahmen des Osloer Friedensprozesses 1993 das Existenzrecht Israels anerkannt. Damit hier gemäßigte Kräfte die Oberhand behalten und eine Radikalisierung der Menschen verhindert wird, muss es weiter darum gehen, deren Lebensbedingungen zu verbessern, etwa durch den Bau von Bewässerungsanlagen. Und selbst im Gaza-Streifen, wo die Messlatte für Hilfen schon hoch lag und nun notgedrungen noch höher liegt, gibt es Projekte, an denen auch Israel ein vitales Interesse hat - etwa Kläranlagen, die die massive Verschmutzung des Mittelmeers senken.