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Interview mit Thomas Kielinger : "Elisabeth II war immer da"

Für den Queen-Biografen Thomas Kielinger ist die britische Monarchie eine Säule der Kontinuität - und die Königin eine Oase der Unumstößlichkeit.

03.01.2022
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5 Min

Herr Kielinger, in Ihrer Biografie über die britische Königin schreiben Sie: "Es gibt viele Königinnen, aber nur eine Queen." Was macht Elisabeth II. so besonders?

Thomas Kielinger: Sie ist die einzige globale Monarchin auf der Welt, Staatsoberhaupt in ihrem eigenen Land und in 14 weiteren Ländern innerhalb der Commonwealth-Gemeinschaft, die aus 54 Staaten besteht. Man stelle sich mal vor, der deutsche Bundespräsident würde nach Kanada oder Jamaika fahren, um zu sehen, wie es seinen Untertanen geht! Dazu ist die Queen eine einzigartige Frau der Pflichterfüllung und Kontinuität. Sie hat schon als 21-Jährige, als sie mit ihren Eltern in Kapstadt war, die berühmten Worte gesprochen: "Ich werde immer im Dienste an der großen Familie, zu der wir gehören, meine Erfüllung finden." Dieses Versprechen hat sie bis heute, ihrem 96. Lebensjahr, eingehalten.

Mit ihrer Familie hat es die Queen nicht immer leicht. Warum genießt die Royal Family trotz unzähliger Skandale so viel Respekt bei den Briten?

Thomas Kielinger: Die Königsfamilie ist für die Boulevardpresse schon seit den 1950er Jahren ein Magnet. Dabei wird oft übersehen, dass es um mehr geht als um eine "Soap Opera", in der ein Skandal den nächsten jagt. Wir haben es mit einer mehr als tausend Jahre alten Institution zu tun. Die Monarchie war immer da, bis auf die sieben Jahre im 17. Jahrhundert, in der Oliver Cromwell eine Diktatur aufbaute. Gerade in der heutigen Zeit, in der viele Säulen der Gesellschaft bröckeln, die Politik, die Finanzen, die Medien, die Kirchen, ragt die Institution Königtum als Säule der Kontinuität und Stabilität hervor. Die Menschen in Großbritannien wissen um ihr Glück, ein Staatsoberhaupt zu haben, das über dem alltäglichen politischen Gerangel steht. Die Queen ist eine Oase der Unumstößlichkeit.

Foto: Martin U. K. Lengemann/WELT
Thomas Kielinger
ist Autor viel beachteter Bücher zur britischen Historie sowie von Biografien über Elisabeth II. und Winston Churchill.
Foto: Martin U. K. Lengemann/WELT

Der Sohn der Queen ist in den USA wegen sexuellen Missbrauchs angeklagt, ihr Enkel Prinz Harry und seine Frau haben den Royals den Rücken gekehrt und der Familie Rufmord und Rassismus vorgeworfen. Das alles schadet dem Ansehen der Krone gar nicht?

Thomas Kielinger: Nein, das Königshaus hat schon viele Krisen überstanden und wird es weiter. Natürlich ist der Fall Andrew ein ganz dunkler Fleck in der Familiengeschichte. Was aber den Rassismusvorwurf angeht, haben sich Harry und Meghan vollkommen vergaloppiert. Die Queen hat unter anderem durch ihre häufigen Besuche in den ehemaligen afrikanischen Kolonien und ihre vorbildliche, durch und durch antirassistische Haltung mit dafür gesorgt, dass Großbritannien eine multikulturelle Gesellschaft geworden ist. Sie war die weiße Häuptlingsfrau inmitten der neuen unabhängigen Staaten Afrikas - und die Menschen liebten sie, weil sie ihnen sagte: Ihr gehört zu unserer großen Familie. Nein, die Vorwürfe haben nicht das Königshaus, sondern eher das Ansehen von Harry und Meghan beschädigt. Gleichwohl muss sich die Monarchie der modernen Kultur und den veränderten Befindlichkeiten der jüngeren Generationen öffnen, um nicht als altmodisch und überholt dazustehen.

Welche Rolle spielt das wohltätige Engagement des Königshauses im Vereinigten Königreich?

Thomas Kielinger: Eine sehr wichtige Rolle, in England wird nicht umsonst von einer "Wohlfahrtsmonarchie" gesprochen. Das Königshaus unterstützt hunderte gemeinnützige Organisationen, das Engagement aller Mitglieder der royalen Familie ist elementarer Teil ihrer Aufgaben. Das Königshaus steht so für einen großen Teil der sozialen Aufgaben ein, die der britische Staat allein gar nicht leisten könnte. Dieser Aspekt wird in der öffentlichen Wahrnehmung oft übersehen, und er ist ein Grund, warum die Institution auch in Zukunft einen festen Platz in der britischen Gesellschaft haben wird.

Öffentlich darf sich die Queen nicht zu politischen Themen äußern oder gar in die Politik eingreifen. Hat sie überhaupt politischen Einfluss?

Thomas Kielinger: Der englische Verfassungsexperte Walter Bagehot sprach im 19. Jahrhundert von den drei Rechten des Monarchen: konsultieren, ermuntern und warnen. Genau das macht die Queen. Einmal in der Woche nutzt sie ihr Recht auf Konsultation und lässt sich vom Premierminister über die politischen Entwicklungen und Vorhaben informieren. Sie ermuntert, indem sie zum Beispiel häufig den Zusammenhalt der Gesellschaft in Zeiten der Krise betont. Vor dem Brexit und dem ersten schottischen Unabhängigkeitsreferendum warnte sie zwischen den Zeilen immer wieder vor einer Zerstrittenheit auf der Insel. Ich sage immer: Die Königin hat keine Macht, aber Einfluss.


„Es ist der Vorzug der Erbmonarchie, dass sie dem politischen Gezänk entzogen bleibt.“
Thomas Kielinger

Nun ist der Brexit vollzogen, die Schotten planen ein zweites Unabhängigkeitsreferendum. Und die Queen muss zusehen?

Thomas Kielinger: Ja, denn sie ist gewissermaßen die "Gefangene von Her Majesty's Government". Ihre Machtlosigkeit ist in letzter Zeit sogar noch deutlicher geworden, etwa als Premier Boris Johnson vor zwei Jahren den Brexit durchboxen und dabei das Parlament außer Acht lassen wollte. Seinen Vorschlag, das Parlament in die Ferien zu schicken, hat die Königin unterschrieben. Es musste erst der oberste Gerichtshof angerufen werden, um festzustellen, dass dieses Vorgehen illegal war.

Kann die Queen überhaupt Königin von Schottland bleiben, wenn das wirklich einmal unabhängig werden sollte?

Thomas Kielinger: Das hängt von den Schotten ab. Sie haben immer wieder gesagt, sie würden sie als Königin anerkennen, aber nur als Elisabeth. Denn in den Zeiten von Elisabeth I. hatte Schottland bereits ein eigenes Königtum.

Der Commonwealth-Staat Barbados hat kürzlich die Monarchie abgeschafft. Werden weitere Staaten diesem Beispiel folgen?

Thomas Kielinger: Diesen Weg könnten natürlich auch andere Staaten gehen - wenn sie wüssten, wer dann Staatsoberhaupt werden soll. Die Australier haben 1999 ein Referendum abgehalten über die Abkehr von der Krone. Es ist gescheitert, weil die Politiker sich über diese Personalie nicht einigen konnten. Es ist der Vorzug der Erbmonarchie, dass sie dem politischen Gezänk entzogen bleibt.

Welche Zukunft hat die britische Monarchie in der Zeit nach Queen Elisabeth II.?

Thomas Kielinger: Mit Prinz Charles als König wird sich ganz sicher vieles ändern. Das geht beim Krönungszeremoniell los, das ohne die vielen religiösen Rituale der anglikanischen Kirche ablaufen wird. Charles will Verteidiger der verschiedenen Glaubensrichtungen sein, die es in Großbritannien gibt. Er wird sicherlich auch die Zahl der königlichen Figuren verschlanken, die auf der öffentlichen Bühne stehen, damit es weniger Skandale gibt. Und er wird starken Anklang finden wegen seines ökologischen Engagements. Sein Einsatz für die Umwelt und für Nachhaltigkeit wird im Vereinigten Königreich sehr gerühmt. Insgesamt wird Charles ein modernerer Monarch sein, als viele glauben. Er ist keine Elisabeth, aber mein Gott, diese Monarchie hat jahrhundertelang alle Wechsel im Personalstab überstanden. Die Institution ist stärker, als die Person, die sie führt.