Reform der Europawahlen : Dringend notwendig oder undemokratisch?
Mehrere Reformvorschläge zur Europawahl stoßen im Bundestag auf Skepsis. Vor allem die Einführung einer Sperrklausel ist unter den Fraktionen umstritten.
Der Bundestag hat sich vergangene Woche mit zwei Initiativen zur Reform der Europawahlen befasst. Dabei handelte es sich zum einem um den Beschluss des Rates der Europäischen Union von 2018 zur Wiedereinführung einer Sperrklausel. Zum anderen ging es um eine Entschließung des Europäischen Parlaments (EP) aus dem vergangenen Jahr, dem "Direktwahlakt 2022", der noch viel umfangreichere Änderungen am europäischen Wahlakt vorsieht. Dem Ratsbeschluss von 2018 zufolge soll eine Partei künftig mindestens zwei bis fünf Prozent der Stimmen bekommen müssen, um ins Europaparlament einziehen zu können. Den dazu von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurf überwies der Bundestag am vergangenen Donnerstag zur weiteren Beratung an die Ausschüsse
Ratifikation durch Bundestag wahrscheinlich
Da eine Sperrklausel bei Europawahlen verschiedenen Urteilen des Bundesverfassungsgerichts zufolge geltenden Vorgaben des Grundgesetzes widerspricht, ist für die Ratifizierung die Zustimmung einer verfassungsändernden Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und des Bundesrats notwendig. Die ist aber wahrscheinlich, weil neben SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP auch die Unionsfraktion das Vorhaben unterstützt.
Catarina dos Santos-Wintz (CDU) bezeichnete die Sperrklausel als "dringende Notwendigkeit", da sie die Funktionsfähigkeit des Parlaments fördere und dessen Zersplitterung vorbeuge. Der FDP-Abgeordnete Valentin Abel sagte, eine Zersplitterung des EP sei "der Demokratie nicht förderlich". Wie viele andere Redner betonte Jörg Nürnberger (SPD) aber auch, dass die Hürde nicht höher als zwei Prozent sein dürfe, um kleinere Parteien nicht zu benachteiligen.
Sperrklausel nur als Zwischenschritt?
Genau das befürchten jedoch AfD und Linke. So bezeichnete es der Linken-Abgeordnete Alexander Ulrich als "undemokratisch, die Tür zum europäischen Parlament für Kleinstparteien schließen zu wollen". Jochen Haug (AfD) warf der Bundesregierung vor, sie wolle mit ihrem Gesetzentwurf "die Pfründe der großen Parteien auf Kosten der kleinen Parteien schützen".Grüne sehen Sperrklausel als Zwischenschritt
Auch die Grünen fremdeln mit der Sperrklausel, wie Chantal Kopf einräumte. Doch sehe ihre Fraktion die Einführung als "Zwischenschritt" auf dem Weg zu einem völlig neuen Europawahlrecht, wie es das EP 2022 vorgeschlagen habe, erklärte sie. Diese Reform, so zeigte sich Kopf überzeugt, werde die Demokratie stärken und die Europawahl "sichtbarer, lebendiger und europäischer" machen.
Dem Antrag der Ampelfraktionen, die Bundesregierung möge die Vorschläge bei den Verhandlungen im Rat unterstützen, stimmten am Ende aber nur die Antragsteller zu - die Opposition kritisierte die Vorlage zum Teil heftig. Hauptkritikpunkt: die geplante Geschlechterparität auf den Wahllisten.
Catarina dos Santos-Wintz nannte sie "verfassungsrechtlich angreifbar" und verwies auf Urteile der Verfassungsgerichte in Brandenburg und Thüringen, mit denen ähnliche Regelungen in Deutschland gekippt wurden. Auch AfD-Politiker Haug nannte zwingende Geschlechterquoten "offensichtlich verfassungswidrig". Der Linken-Abgeordnete Ulrich befand, es liege in der Hand der Parteien, ihre Listen so aufzustellen, dass Männer und Frauen gleichermaßen berücksichtigt werden. Sogar in den eigenen Reihen hat die Parität nicht nur Fans: So nannte es Valentin Abel (FDP) nicht sinnvoll, "den Wählerwillen durch Quoten einzuschränken".
Kontroverse über transnationale Listen
Kontrovers fielen auch die Ansichten über die transnationalen Listen aus. Während Abel sie als "entscheidenden Schritt zum Zusammenwachsen der europäischen Familie" bezeichnete, und Kopf urteilte, die Menschen würden sich dadurch mehr mit europäischen Themen auseinandersetzen, bedeuten sie für Jochen Haug, weitgehend unbekannte Personen und Positionen zu wählen. Andrej Hunko sagte, das Spitzenkandidatenprinzip sei schon bei der letzten Wahl ad absudrum geführt worden. Ursula von der Leyen sei zur Kommissionspräsidentin gewählt worden, "obwohl sie nie zur Wahl stand".
Neue Regeln für Europawahlen
🗳 Der sogenannte Direktwahlakt 2018 legt für den Einzug in das Europäische Parlament ab 2029 eine Hürde zwischen zwei und fünf Prozent fest. Wie hoch sie letztlich ausfällt, können die EU-Mitgliedstaaten selbst entscheiden.
📝 Am 3. Mai 2022 hat das Europäische Parlament außerdem den Direktwahlakt 2022 beschlossen. Die Sperrklausel soll danach in größeren Staaten bei 3,5 Prozent liegen. Geplant ist außerdem eine gesamteuropäische Wahlliste und eine Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre. Auch soll es geschlechterparitätische Wahllisten geben.
✍🏻 Der Direktwahlakt muss allerdings erst von allen Mitgliedstaaten ratifiziert werden.