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Skandinavien : Paarlauf in Richtung Nato

Nach Russlands Angriff auf die Ukraine streben Finnland und Schweden in die westliche Militärallianz.

16.05.2022
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2 Min

Die Regierungen in Finnland und Schweden treiben den Nato-Beitritt ihrer Länder in immer rasanterem Tempo voran und werden dazu auch durch die Allianz kräftig ermuntert."Finnland muss ohne Verzögerung die Mitgliedschaft beantragen", verkündeten Ende vergangener Woche in Helsinki Präsident Sauli Niinistö und Regierungschefin Sanna Marin. Die notwendigen Entscheidungen von Regierung und Parlament kündigten sie "innerhalb der kommenden Tage" an.

Im Fall von Schwedens Ministerpräsidentin Magdalena Andersson hat die innenpolitische Klärung etwas länger gedauert - wobei der Ausgang immer klar war. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg versichert, beide nordeuropäischen Nachbarn Russlands seien "herzlich willkommen".

Die Antragsprüfung sei eine Formsache von vielleicht zwei Wochen. Normalerweise dauert die Ratifizierung des Beitrittsprotokolls durch die Parlamente der bisher 30 Mitgliedsländer ein Jahr. In diesem Fall könne man auch das beschleunigen, versichert Brüssel. In Deutschland wären nur zwei statt drei Beratungen des Ratifikationsgesetzes im Bundestag nötig.

Moskau droht mit militärischen Maßnahmen

Begleitet wird der Beitrittsprozess von Drohungen aus dem Kreml mit "militärtechnischen Maßnahmen" gegen die beiden künftigen Nato-Länder. Doch niemand erwartet ernsthaft, dass russisches Militär zusätzlich zum Angriffskrieg gegen die Ukraine auch noch die 1.340 km lange Landgrenze zu Finnland überschreitet oder die strategisch zentral in der Ostsee platzierte schwedische Insel Gotland angreift. Als wahrscheinlich gelten verstärkte Cyberattacken.

Finnlands Außenminister Pekka Haavisto, bis zum Überfall auf die Ukraine eiserner Verfechter von Neutralität und Allianzfreiheit, begründete die finnische Wende damit, dass der große Nachbar jetzt als "unberechenbar" einzustufen sei: "Man ist zur Durchführung von Operationen bereit, die auch für Russland hohe Risiken bergen und für uns zu hohen Verlusten führen würden."


„Schwedens Nato-Beitritt wäre destabilisierend.“
Magdalena Andersson, Ministerpräsidentin Schwedens

Genauso hat sich auch für die 5,5 Millionen Finnen das Bild geändert. Zeigten Umfragen vor dem russischen Überfall auf die Ukraine stets klare Mehrheiten gegen einen Nato-Beitritt, sind die Zustimmungswerte jetzt auf mehr als 75 Prozent geklettert.

Klare Mehrheiten für Nato-Beitritt

Wohl noch tiefgreifendere Umwälzungen der politischen Kultur hat der Überfall auf die Ukraine in Schweden ausgelöst. Das Land konnte sich über 200 Jahre aus allen Kriegen in Europa heraushalten. Das Selbstbild als Stimme der "Kleinen" gegen das Wettrüsten der Großmächte und für die atomwaffenfreie Zone Skandinavien gilt eigentlich als Teil der DNA unter den gut zehn Millionen Bürgern.

Dass dieser Teil jetzt im Eilverfahren, ohne Volksabstimmung, zugunsten der Unterordnung unter eine von der Atomsupermacht USA geführte Nato einfach gestrichen werden soll, kritisieren vor allem Veteranen aus der Ära des 1986 ermordeten Premiers Olof Palme. Auch die aktuelle Regierungschefin sagte noch kurz nach dem 24. Februar: "Schwedens Nato-Beitritt wäre destabilisierend." Zehn Wochen später gilt das Gegenteil, Andersson kann sich beim schwedisch-finnischen Paarlauf Richtung Allianz nun in der Debatte, bei Umfragen wie auch im Reichstag auf klare Mehrheiten stützen. 

Der Autor ist Skandinavien-Korrespondent der Frankfurter Rundschau.