Moldau : Protest für 20 Euro
Die prorussische Opposition schürt den Frust in dem bitterarmen Staat. Die Demonstrationen schwächen das ambitionierte Reformprogramm der Regierung.
Seit Wochen gehen Menschen, in der moldauischen Hauptstadt Chisinau aus Ärger über die steigenden Preise für Gas und Strom auf die Straße.
"Nieder mit Sandu!" und "Stoppt die Inflation!" heißt es auf Transparenten. Seit acht Wochen kampieren Demonstranten in Chisinau vor dem Parlamentsgebäude und dem Präsidentenpalast. Jedes Wochenende versammeln sie sich verstärkt von Hunderten vor allem älteren Bürgern auch auf dem Hauptplatz der moldauischen Hauptstadt und ziehen durch die Nobelmeile Stefan Cel Mare. Die Demonstranten kommen mit Bussen aus der Provinz, aus Kleinstädten im Norden und Süden, in denen die pro-westliche Anti-Korruptionspartei von Staatspräsidentin Maia Sandu, "Aktion und Solidarität" (PAS), bei den Wahlen vom Juli 2021 keine Mehrheit erlangt hatte.
Die Demonstranten sollen bezahlt sein
Noch ist die Zahl der Demonstranten überschaubar. Die Polizei spricht von wenigen Tausend Bürgern. Den Organisatoren zufolge sollen jedoch alleine am vorletzten Sonntag 50.000 Menschen auf die Straße gegangen sein. Bis zu 20 Euro pro Tag sollen die Demonstranten laut Medienberichten erhalten. Organisiert wird die Fahrt in die Hauptstadt von der pro-russischen populistischen Schor-Partei, der dritten und kleinsten Kraft im Parlament.
Die Inflation liegt bei 34 Prozent
Der vor Ermittlungen im Zusammenhang mit Bankenskandalen 2014 ins israelische Exil geflohene Unternehmer und Parteigründer Ilan Schor hatte im September angekündigt, solange zu protestieren, bis die Regierung von Natalia Gavrilita abgesetzt sei und es zu vorgezogenen Neuwahlen komme. Seine Partei wirft dem pro-westlichen Kabinett Versagen bei der Bekämpfung der Wirtschaftskrise und der Inflation vor. 34 Prozent beträgt diese im Moment, doch zum Ende Jahr rechnet die Nationalbank des Landes mit einem weiteren kräftigen Preisschub. Schuld daran sind vor allem die gestiegenen Energiepreise. Allein der Gaspreis hat sich seit Oktober 2021 verfünffacht.
Dies trifft die 2,6 Millionen Moldauer hart: Die Arbeitslosigkeit ist groß, das kleine Land gehört zu den ärmsten in Europa. Dazu ist die Gesellschaft seit Jahren gespalten zwischen einem pro-russischen und einem pro-westlichen Lager. Verkompliziert wird die Situation zudem durch das pro-russische Transnistrien, ein rund 500 Kilometer langer, schmaler Landstrich östlich des Flusses Dniestr mit knapp 400.000 Einwohnern, der sich von Moskau unterstützt schon 1990 abgespalten hat. Rund 1.500 russische Soldaten sind seither dort stationiert, um sowjetische Munitionsdepots zu bewachen, sowie rund 500 Mann der so genannten Friedenstruppen.
Auch Moldau wurde ein Opfer des Ukraine-Kriegs
Noch im Frühling träumte Russlands Führung von einer Landverbindung über Cherson und Odessa nach Transnistrien. Doch die Probleme der russischen Armee in der Ukraine haben diese Pläne vereitelt. Dennoch ist auch Moldau ein Opfer des Ukrainekrieges geworden. Anfang November schlug eine abgeschossene russische Rakete im Grenzdorf Naslavcea, rund 40 Kilometer von der ukrainischen Stadt Tschernowitz, ein. Chisinau verwies daraufhin einen russischen Diplomaten des Landes, Moskau tat dasselbe. Bedeutender indes sind die russischen Einmischungen.
Ähnlich wie bei den Protesten hat der Kreml auch beim Gaspreis die Hände im Spiel. Bis zur russischen Invasion in die Ukraine bezog Moldau das Erdgas vom russischen Monopolisten Gazprom, bei dem es laut Moskauer Berechnungen mit rund 700 Millionen Dollar in der Kreide stehen soll. Doch nachdem die pro-westliche Regierung von Staatspräsidentin Maia Sandu (PAS) die russische Invasion verurteilt hat, ist Moldau ebenso wie die EU vom russischen Gaslieferstopp betroffen. Im Oktober reduzierte Gazprom die Liefermenge um 30 Prozent, im November soll sie um weitere 40 Prozent gedrosselt werden. Chisinau hat für diesen Fall im Sommer vorgesorgt und Gasspeicher im Nachbarland Rumänien sowie in der östlich gelegenen Ukraine gemietet. So sollen die größten Engpässe überbrückt werden. Doch die Moskauer Drohung eines vollständigen Lieferstopps schwebt wie ein Damoklesschwert über dem Land.
Probleme mit der Stromversorgung
Nicht viel besser steht es um die Stromversorgung. Zwar kann Moldau rund 20 Prozent seines Bedarfs mit eigenen Kraftwerken decken, doch der Löwenanteil der benötigten Elektrizität wurde bisher in einem Gaskraftwerk in Transnistrien produziert. Dieses hat nun auf Moskaus Geheiß seine Produktion halbiert. Inzwischen importiert Moldau Strom aus Rumänien; der ist aber doppelt so teuer wie der aus dem Separatistengebiet.
Im politischen Poker-Spiel setzt Moskau vor allem auf die Schor-Partei, die gute Beziehungen zum 2020 abgewählten und wegen Korruption angeklagten pro-russischen Staatspräsidenten Igor Dodon und dessen Bündnis aus Sozialisten und Kommunisten (PCMR) pflegt. Auch die "Nationale Alternative Bewegung" von Ion Ceban, früher einmal sozialistischer Spitzenpolitiker, heute Bürgermeister von Chisinau, schürt die Proteste .
Brüssel verspricht Hilfe
Politische Beobachter in Chisinau sehen die Regierung von Gavrilita trotz massiver Verluste bei den Meinungsumfragen zwar nicht direkt in Gefahr, da die PAS im Parlament über eine große Mehrheit verfügt. Dennoch setzen die Proteste das ambitionierte Reformprogramm der Parteikollegen von Staatspräsidentin Sandu unter Druck.
Die ehemalige Anti-Korruptionsaktivistin hatte sich Ende 2020 gegen Dodon durchgesetzt und das Land zurück auf einen pro-westlichen Kurs geführt. Um Sandu und ihre Regierung im Streit mit Russland zu unterstützen, reiste EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Donnerstag nach Chisinau. Brüssel hat versprochen, Moldau in der Energiekrise zu unterstützen. Auch aus Berlin soll es weitere Unterstützung geben. Die Koalitionsfraktionen von SPD, Grünen und FDP haben einen Antrag zur Unterstützung des EU-Beitritts Moldaus vorgelegt, angesprochen werden darin direkte Budgethilfen, die Mobilisierung von Investitionen und die Verringerung der Energieabhängigkeit von Russland. Paul Flückiger
Der Autor ist freier Osteuropa-Korrespondent und lebt in Warschau.