Interview : "Wir müssen unsere Abhängigkeit von China reduzieren"
Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen vermisst in der China-Strategie der Bundesregierung konkrete Politik und fordert Kurskorrekturen.
Norbert Röttgen (CDU) ist Bundestagsabgeordneter und Mitglied im Auswärtigen Ausschuss.
Herr Röttgen, im Sommer haben Sie anlässlich der deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen die Vermutung geäußert, in der angekündigten China-Strategie der Bundesregierung werden sich nur Allgemeinplätze finden. Fühlen Sie sich darin bestätigt?
Ja. Die sogenannte China-Strategie ist im Wesentlichen eine Beschreibung des Status quo. Es fehlt die konkrete Politik, es fehlen die Konsequenzen, die man aus dieser Beschreibung ableiten möchte und dass, obwohl so lange um diese Strategie gerungen wurde. Ich fürchte, daran wird sich auch nichts ändern.
Weil die Bundesregierung uneins ist?
Auch in dieser zentralen Frage der deutschen Außenpolitik ist die Ampel gespalten. Dem, was die Außenministerin und der Wirtschaftsminister zu dem Thema sagen, kann ich oft zustimmen. Die beiden kämpfen aber nicht für eine Kurskorrektur. Darum bleibt es bei dem vom Bundeskanzler vertretenen 'Weiter so'.
Sie haben Olaf Scholz für seine Bittsteller-Haltung bei den Regierungskonsultationen kritisiert. Aber welche Hebel haben wir denn, um China mehr als nur zu bitten, Umweltschutz und Menschenrechte zu beachten?
Der entscheidende Hebel ist unsere eigene wirtschaftliche Stärke, in die wir auch investieren müssen. Ich bin für eine umfassende Politik gegenüber China, die Beziehungen unterschiedlichster Art zu dem Land pflegt - auch wirtschaftliche Beziehungen. Ich plädiere aber dafür, dass wir uns aus der Position der Abhängigkeit, in der wir uns vor allen Dingen im wirtschaftlich-industriellen sowie im Bereich von Rohstoffen befinden, befreien. China hat kein großes Nachsehen mit Ländern, die von ihnen abhängig sind. Wir müssen also auf unsere Stärke als Land, in der EU und im transatlantischen Kontext setzen.
Anders als der Bundeskanzler tritt die Außenministerin China gegenüber recht forsch auf. Zuletzt nannte Annalena Baerbock den chinesischen Präsidenten Xi Jinping einen Diktator. Was halten Sie davon?
Inhaltlich ist die Aussage auf jeden Fall richtig. Sie war zugleich aber auch unklug und unprofessionell. Ich denke, ihr ist das Wort rausgerutscht im Rahmen eines Interviews auf Englisch. Aber auch das darf der deutschen Chefdiplomatin nicht passieren. China ist sehr am eigenen Image, an seiner Reputation interessiert. Das war ein Lapsus, der unnötige Kosten mit sich bringt, ohne dass man damit etwas bewirkt.
Sie sagen, China legt viel Wert auf sein Image: Aber offenbar ist es der Führung egal, dass das Land mit Abstand der weltweit größte CO2-Emittent ist und ihm von Amnesty International eine stetige Verschlechterung der Menschenrechtslage attestiert wird.
Das ist China überhaupt nicht egal. Daher reagiert das Land auch äußerst allergisch gegenüber Kritik in diesen Bereichen. Bei den Menschenrechten ist dann ihr Argumentationspanzer: Es gebe ein unterschiedliches Verständnis von Menschenrechten, ihres und das des Westens. Kritik verbittet sich China daher als Einmischung in innere Angelegenheiten. Dabei ist klar, dass ein wesentlicher Sinn international anerkannter Menschenrechte gerade auch im Schutz von Menschen gegen ihre eigene Staatsgewalt liegt.
Die Bewertung Chinas in den deutschen Medien ist alles andere als eindeutig: Mal ist von der kommenden Supermacht die Rede und davon, dass der Yuan den Dollar als Leitwährung ablösen wird. Dann heißt es wieder, die aktuelle Immobilienkrise werde zu einer formidablen Finanzkrise und reiße das Land in den Abgrund. Wie sieht es wirklich aus?
Beides ist ein Teil der Wirklichkeit. China hat in den letzten 15 Jahren einen enormen wirtschaftlichen Fortschritt erreicht und ist zur zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt aufgestiegen. In manchen Bereichen ist China Technologieführer. Aber China steht gleichzeitig vor enormen strukturellen Herausforderungen. Das Wirtschaftswachstum ist aktuell weit hinter dem, was alle Experten immer für notwendig gehalten haben. Es gibt in dem Land zudem inzwischen eine große Jugendarbeitslosigkeit. Das größte Problem Chinas ist aber die Demografie, die alternde Gesellschaft als eine Folge der Ein-Kind-Politik. Das wird die unbedingt nötige Innovationsfähigkeit des Landes stark hemmen und ist ein starker Nachteil gegenüber der viel jüngeren amerikanischen Gesellschaft. Akut ist im Moment die Immobilienkrise. Wegen der großen binnenwirtschaftlichen Bedeutung des Immobilienmarktes macht das den Chinesen große Sorgen.
Probleme haben wir ja auch. Die wirtschaftliche Stärke Deutschlands ist gerade im Sinken. Haben wir denn wirtschaftlich gesehen für China noch eine große Bedeutung?
Deutschland ist für China ein ganz wichtiges Land - wirtschaftlich, industriell, aber auch politisch. Aber es stimmt: Wir haben in Deutschland inzwischen strukturelle wirtschaftliche Schwächen, gegen die wenig bis nichts getan wird. Damit erodiert am Ende auch die Basis unserer Außenpolitik, denn wirtschaftliche Stärke verleiht Außenpolitik Nachdruck auf der internationalen Bühne. Nicht nur die Wirtschaft schwächelt, auch die Abhängigkeit ganzer industrieller Branchen von China als Wachstumsmarkt besteht fort oder intensiviert sich weiter. Das ist eine Situation, die uns schwer verwundbar macht, wenn es mal zu einem heftigen Konflikt mit China kommen sollte - etwa in der Taiwanfrage.
Wird es dazu kommen?
Das ist zumindest nicht auszuschließen. Die Wiedervereinigung Festland-Chinas mit Taiwan ist nationales und kommunistisches Pflichtprogramm und soll mit allen Mitteln durchgesetzt werden. Also auch mit Zwang, weil sich Taiwan nicht freiwillig anschließen wird. Wenn es zu einem militärischen Konflikt kommt, wird das einen globalen ökonomischen Kollaps zur Folge haben. Wir werden uns Sanktionen gegen China anschließen, was zu Vergeltungssanktionen Chinas gegen Deutschland und die deutsche Wirtschaft führen wird. Die Folgen der Abhängigkeit von russischem Öl und Gas sind nur ein Bruchteil der wirtschaftlichen Dimension unserer Abhängigkeit von China.
Vom De-Risking ist ja in der China-Strategie die Rede.
Das ist auch das richtige Wort. Es geht eben nicht um eine Abschottung. Risikoabbau ist das richtige Leitmotiv. Aber dann muss auch das Risiko benannt und etwas getan werden. Bei Rohstoffen und der industriellen Wachstumsfähigkeit - da sehe ich überhaupt nichts. Positiv sehe ich den Bereich 5G. Hier zeichnet sich erfreulicherweise eine Kurskorrektur ab: Die Bundesregierung will, dass in den Regionen der beiden Regierungssitze Berlin und Bonn chinesische Bestandteile aus dem 5G-Netz entfernt werden. Im Übrigen soll der Anteil chinesischer Bestandteile auf 25 Prozent begrenzt werden. Das ist eine Veränderung, die ich begrüße.
Wären Sie heute in der politischen Verantwortung: Wie würde Ihre China-Strategie aussehen?
Viele der benötigten Kurskorrekturen sind nicht von jetzt auf heute zu verwirklichen. Am wichtigsten ist aber eine gemeinsame, von der Bundesregierung und der deutschen Wirtschaft getragene Außenwirtschaftsstrategie und eine heimische Wachstumsstrategie. Man muss mit der Industrie eine Übereinkunft erzielen, die Abhängigkeit zu reduzieren. Das geht nur gemeinsam. Gleichzeitig müssen wir eigene Stärken entwickeln. Auch wir in Deutschland können Rohstoffe abbauen, wir müssen stärker diversifizieren. Wir brauchen alternatives Wachstum, das nicht mit geopolitischer Abhängigkeit verbunden ist. Der Kern einer China-Strategie muss also eigentlich eine deutsche Wachstumsstrategie sein. Eine solche Strategie braucht Zeit. Je früher wir damit anfangen, umso besser.
Norbert Röttgen (CDU) sitzt seit 1994 im Bundestag und ist Mitglied im Auswärtigen Ausschuss, dessen Vorsitzender er von Januar 2014 bis Oktober 2021 war.