Katastrophen in Libyen und Marokko : Sorge um Stabilität in Nordafrika
Die Flut in Libyen hat ein ohnehin fragiles Land getroffen. Die Fraktionen fordern mehr Engagement für den Friedensprozess. Marokko lehnt deutsche Hilfe weiter ab.
Auch fast zwei Wochen nach der Überflutung von Derna ist die Lage in der libyschen Küstenstadt weiterhin katastrophal.
Zwischen den Katastrophen lagen nur zwei Tage: Erst bebte am 8. September in Marokko die Erde und riss rund 3.000 Menschen in den Tod. Im Atlasgebirge wurden ganze Dörfer verwüstet und Dutzende Baudenkmäler zerstört, rund 300.000 Menschen sind von den Folgen betroffen.
Am 10. September regnete es dann im rund 4.000 Kilometer entfernten Libyen so stark, dass Dämme brachen und ganze Städte überschwemmten. Im Osten des Landes ging dem Auswärtigen Amt zufolge stellenweise dreimal so viel Regen nieder wie 2021 im Ahrtal. Allein in der Hafenstadt Derna starben mindestens 11.300 Menschen. Insgesamt werden mehr als 20.000 Tote befürchtet.
Marokko versuchte zunächst, die Katastrophe weitgehend mit eigenen Mitteln zu bewältigen. Die Regierung ließ nur wenige ausländische Helfer ins Land, darunter Spanier und Briten. Hilfsangebote aus Deutschland wurden bisher nicht beantwortet. Im Bürgerkriegsland Libyen gestaltet sich die Koordination der internationalen Hilfe noch schwieriger. Seit 2011 bekämpfen sich dort zwei Regierungen. Nur die im Westen ist international anerkannt. Im von den Überschwemmungen betroffenen Osten führt General Haftar, unterstützt von den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE), Saudi-Arabien und Ägypten, eine Gegenregierung an.
Bundesregierung will beim Wiederaufbau helfen
Trotz dieser schwierigen Begleitumstände wolle die Bundesregierung alles tun, um beiden Ländern so gut wie möglich zu helfen, versicherte Bärbel Kofler, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), am Mittwoch in einer von den Koalitionsfraktionen beantragten Aktuellen Stunde. Es ginge akut um die Rettung von Menschenleben, mittel- und langfristig aber auch darum, die von Erdbeben und Überschwemmungen zerstörten Städte und Regionen wiederaufzubauen. Dass die marokkanische Regierung bislang keine deutsche Hilfe in Anspruch genommen habe, wertete Kofler "anders als manchmal kolportiert wird", nicht als Ablehnung. "Es geht darum, das zu koordinieren, was vor Ort nötig ist", befand sie.
Ihr zufolge engagiert sich die deutsche Entwicklungszusammenarbeit seit vielen Jahren erfolgreich in Marokko und Libyen. In Marokko könnten bestehende Maßnahmen an die aktuelle Lage angepasst werden. In Libyen könne man bei der Nothilfe auf bereits geschaffene Strukturen zurückgreifen; Deutschland habe dort zum Beispiel Gesundheitsstationen aufgebaut und Fachkräfte ausgebildet.
Einig waren sich die Koalitionsfraktionen, dass das Ausmaß beider Katastrophen ein koordiniertes, internationales Engagement erfordert - und das Zurückstellen politischer Machtkämpfe wie Tobias Bacherle (Bündnis 90/Die Grünen) mit Blick auf Libyen betonte.
Viele Akteure mit unterschiedlichen Interessen in Libyen
Tatsächlich spielt das nordafrikanische Land für viele Staaten eine Schlüsselrolle: Während die EU Libyen braucht, um die Zahl der Bootsflüchtlinge im Mittelmeer zu reduzieren, will die Türkei ein Gegengewicht gegenüber den Regionalmächten Ägypten und den VAE bilden und sich Zugriff auf die Ölvorkommen im östlichen Mittelmeer sichern. Die Bundesregierung bemüht sich ihrerseits seit 2020 im Rahmen des von ihr initiierten Berliner Prozesses um ein Ende des Konflikts in Libyen. Neben humanitärer Hilfe komme es jetzt besonders darauf an, diesen politischen Prozess zu intensivieren, betonte Bacherle.
Karamba Diaby (SPD), der General Haftar vorwarf, die Katastrophe politisch zu instrumentalisieren, forderte die Bundesregierung auf, die wachsende Protestbewegung in Libyen zu unterstützen. Die Bevölkerung sei die Grabenkämpfe leid und fordere Einigkeit, die Einhaltung der Menschenrechte und einen gerechten Einsatz von Ressourcen.
"Im Land gärt es", befand auch Peter Heidt (FDP). Wie andere Redner äußerte er den Verdacht, Gelder für die Wartung der Staudämme könnten veruntreut worden sein. Deshalb müsse jetzt sichergestellt werden, dass Hilfsgelder nicht in falsche Hände geraten.
Opposition wirft Weltgemeinschaft Mitverantwortung für Instabilität vor
Die Opposition warf der internationalen Gemeinschaft vor, Mitverantwortung für die Lage in Libyen zu tragen. Seit unter Bundeskanzlerin Angela Merkel ein Waffenstillstand erreicht worden sei, habe es keine Fortschritte mehr im Berliner Prozess gegeben, hielt Jürgen Hardt (CDU) der Ampel-Koalition entgegen. Stefan Keuter (AfD) urteilte, die USA und ihre Partner hätten das Land 2011 "in die Steinzeit zurückgebombt". Statt Geld in Genderprojekte und erneuerbare Energien zu stecken, hätte die Bundesregierung zudem besser in den Katastrophenschutz investieren sollen.
Der Krieg der Nato gegen den damaligen libyschen Machthaber Gaddafi habe "das Land in bodenloses Chaos gestürzt", befand auch Amira Mohamed Ali (Die Linke) - "katastrophale Voraussetzungen also, um mit einer Jahrhundertflut zurechtzukommen". Von der Bundesregierung erwarte sie daher nicht nur, die notwendigen Soforthilfen zu leisten, "sondern auch einen entscheidenden Beitrag dazu, die Lebensbedingungen in Libyen langfristig zu sichern".