Politische Stiftungen im Ausland : "Unser Vorteil ist, dass wir in beide Richtungen Antennen haben"
Die Politischen Stiftungen der Parteien sind weltweit aktiv - und wichtige Türöffner jenseits der Diplomatie. Ein Blick nach Kenia, Brasilien und in die Türkei.
Walter Glos klingt traurig am Telefon. Seit am 6. Februar 2023 eines der schwersten Erdbeben der vergangenen Jahrzehnte den Südwesten der Türkei erschüttert hat, befindet sich das Land im Ausnahmezustand - und auch im Auslandsbüro der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) in Ankara geht seither fast nichts mehr. "Fast alle staatlichen Institutionen, aber auch viele Partnerorganisationen, mit denen wir überall im Land zusammenarbeiten, sind mit den Folgen des Bebens beschäftigt" erzählt der Büroleiter. "Hier ist gerade alles andere als business as usual", bedauert er. Die CDU-nahe Stiftung musste vorerst alle ihre Projekte absagen.
Türkei: Erdbeben erschüttert auch Stiftungsarbeit
So wie der KAS geht es auch den Politischen Stiftungen von SPD, FDP und Grünen. Seit vielen Jahren engagieren sie sich in der Türkei, machen wie in vielen anderen Ländern der Welt auch politische Bildungsarbeit, organisieren Veranstaltungen und Austausche, fördern unabhängige Medien, vergeben Stipendien und suchen den Dialog zu Themen, die für das bilaterale Verhältnis von Bedeutung sind. Die Katastrophe stellt sie nun vor neue Herausforderungen, organisatorisch und konzeptionell. "Die politischen Folgen des Erdbebens sind noch unklar, und auch der Wiederaufbau hat ja nicht nur eine wirtschaftliche Dimension", sagt Henrik Meyer, Leiter des Büros der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) in Istanbul, und verweist unter anderem auf die Millionen Menschen, die durch das Beben zu Binnenflüchtlingen geworden sind. "Als sozialdemokratische Stiftung, die sich mit guter Arbeit und sozialer Gerechtigkeit beschäftigt, fragen wir uns natürlich, welche Themen sich daraus für uns entwickeln." Mit seinen neun Mitarbeitern, darunter acht türkische Ortskräfte, sei er dazu gerade in einem "Gedankenprozess".
Während die Konrad-Adenauer-Stiftung in Kenia die Wahlen unterstützte (links), arbeitet die Friedrich-Ebert-Stiftung unter anderem in der Türkei eng mit Gewerkschaften zusammen (oben re.). In Brasilien setzt sich die Heinrich-Böll-Stiftung viel für junge Medienschaffende ein (u.re.)
Die sechs in Deutschland aus dem Bundeshaushalt geförderten Stiftungen (siehe Infokästen) haben Auslandsbüros überall auf dem Globus, in den Staaten des globalen Südens genauso wie in Übersee, in der arabischen Welt oder den asiatischen Nachfolgestaaten der Sowjetunion. Die Idee dazu hatte im Jahr 1961 Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU), der im selben Jahr auch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) aus der Taufe hob. Beide Institutionen sollten die jungen Staaten Afrikas und Asiens bei ihrer Entwicklung und dem Aufbau der Wirtschaft unterstützen, die Stiftungen allerdings unabhängig von der Bundesregierung - obwohl sie Geld aus den Töpfen verschiedener Bundesministerien bekommen, handeln sie ausdrücklich nicht in ihrem Auftrag. Vielmehr setzen ihre Auslandsbüros eigenständig Themenschwerpunkte. Sie suchen sich selbst ihre Partner vor Ort und sind nicht an das Neutralitätsgebot zwischenstaatlicher Beziehungen gebunden.
Wichtiges Pfund in den internationalen Beziehungen
Die internationale Arbeit der deutschen Stiftungen ist in dieser Form einzigartig in der Welt. Und sie öffnet Türen, die der Diplomatie bisweilen verschlossen bleiben, "Wir können andere Dinge tun, weil wir anders wahrgenommen werden als zum Beispiel die Botschaften", bestätigt Walter Glos. Für Deutschland und seine internationalen Beziehungen sei das ein "großer Vorteil".
CDU und SPD sind mit ihren Stiftungen schon seit den 1980er Jahren in der Türkei vertreten. Während die FES vor allem mit Gewerkschaften und zivilgesellschaftlichen Organisationen zusammenarbeitet, kooperiert die KAS eng mit politischen Parteien und Parlamenten und sucht den Dialog mit der Wirtschaft und Akteuren der Außen- und Sicherheitspolitik. Am Bosporus heißt das, auch Themen anzusprechen, die im deutsch-türkischen Verhältnis seit Jahrzehnten für Spannungen sorgen: Migration, EU-Integration, Rechtsstaatlichkeit.
Unterstützung bei Umsetzung des Lieferkettengesetzes
"Unser Vorteil ist, dass wir in beide Richtungen Antennen haben", sagt Henrik Meyer. "Wir können deutsche Stimmen in die türkische Debatte tragen und türkische Stimmen in die deutsche. Damit können wir oft andere Einsichten vermitteln als zum Beispiel Diplomaten." Auf diese Weise sollen auch Arbeitnehmer in der Türkei vom Engagement der Ebert-Stiftung profitieren. Seit am 1. Januar 2023 in Deutschland das Gesetz für Sorgfaltspflichten in den Lieferketten in Kraft getreten ist und Zulieferer im Ausland ab einer bestimmten Mitarbeitergröße auf die Wahrung der Menschenrechte sowie von Umwelt- und Sozialstandards achten müssen, bringt die FES Gewerkschafter aus beiden Ländern zusammen, damit das Gesetz vor Ort tatsächlich zu besseren Arbeits- und Produktionsbedingungen führt.
Fast 11.000 Kilometer Luftlinie von Ankara entfernt beschäftigen Annette von Schönfeld ganz andere Themen. Seit bald sechs Jahren leitet sie das Auslandsbüro der Heinrich-Böll-Stiftung in Rio de Janeiro und kümmert sich dort mit neun Mitarbeitenden und in Kooperation mit brasilianischen Nichtregierungsorganisationen und Universitäten um grüne Kernthemen: Menschenrechte, Genderfragen, Energiewende, Umweltpolitik. Auch Medienförderung steht auf dem Programm, "um den extremen Rechten in Brasilien, die im Internet und in der Nicht-Mainstream-Kommunikation sehr stark sind, etwas entgegenzusetzen". Dafür hat die Stiftung Ende letzten Jahres unter anderem ein Treffen mit Influencern und Podcast-Machern organisiert, das auf "großes Interesse" gestoßen sei, erzählt von Schönfeld.
Die Stiftung könnte noch sehr viel mehr machen, sagt sie. "Brasilien ist ein unglaublich großes Land mit vielen Herausforderungen. Und uns stehen hier viele Türen zu interessanten Akteuren offen."
Brasilien: Neue Hoffnungen unter linkem Präsidenten Da Silva
Im Januar 2019, nach der Wahl des rechtspopulistischen Politikers Jair Bolsonaro zum Präsidenten, machten sich die in Brasilien vertretenen deutschen Parteistiftungen allerdings Sorgen. Neben der Böll-Stiftung haben auch KAS, FES und die Linken-nahe Rosa-Luxemburg-Stiftung Büros im Land, sie fürchteten, dass sie ihre Arbeit so nicht würden fortsetzen können. "Wir haben erwartet, dass es viele Hindernisse geben würde", sagt von Schönfeld. "Aber durch die Corona-Pandemie ist im politischen Alltag viel liegengeblieben." Zu der angekündigten Auseinandersetzung mit zivilgesellschaftlichen Organisationen kam es nicht, "und wir konnten normal weiterarbeiten". Gegenüber Umweltaktivisten und indigenen Führungspersönlichkeiten hätten Gewalt und Konflikte jedoch zugenommen, "und einige unserer Partner hatten Probleme, von den Banken Geld aus dem Ausland zu bekommen". Nun hofft von Schönfeld, dass unter dem linken Präsidenten Lula da Silva neuer Schwung in die Arbeit kommt - besonders in der Umweltpolitik. "Da sind die Gesprächskanäle wieder offen und viele Organisationen suchen den Austausch mit uns."
Kenia: Hilfe bei Wahlvorbereitung
Eine ähnliche Offenheit fand Annette Schwandner in Kenia vor, wo sie vor knapp zweieinhalb Jahren die Leitung des Länderbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Nairobi übernahm. Dort stand sie, kurz vor den kenianischen Wahlen, allerdings vor einer anderen Herausforderung: In dem ostafrikanischen Land gab es keine Parteien, die mit den deutschen annähernd vergleichbar gewesen wären, berichtet sie am Telefon. "Das waren mehr oder weniger spontane Vereinigungen, die dazu dienten, Personen aus unterschiedlichen Stämmen in Positionen zu bringen." Bei früheren Wahlen sei es entsprechend turbulent und oft auch gewaltsam zugegangen, erzählt sie. Als sich die Wahlen im Sommer 2022 näherten, fragte sie daher bei den Politikern an, wie sie sich diesmal den Wahlkampf vorstellten und mit welchen Themen sie antreten wollten. "Da kam wenig zurück. Ihnen war nicht klar, dass es nicht reicht zu sagen, ich heiße Soundso, bitte wählt mich."
Schwandner und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unterstützten die beiden Partnerparteien der KAS in Kenia daraufhin bei der Vorbereitung der Wahlen. Sie erarbeiteten mit ihnen konkrete Wahlprogramme ("von der ersten Idee bis zur Drucklegung") und bildeten lokale Wahlhelfer aus. Für letztere entwickelte die KAS eine App, um auch Helfer in entlegeneren Regionen erreichen zu können.
Über den Wahltag berichtet Schwandner mit hörbarem Stolz. "Der ist so friedlich und gut organisiert wie nie verlaufen. Die Menschen standen ab sechs Uhr morgens in einer ewig langen Schlange und haben geduldig gewartet, bis sie reingelassen wurden und ihre Wahlscheine erhielten. Sowas habe ich noch nie erlebt."
Dass die Parteistiftungen im Ausland so frei arbeiten können wie in Kenia oder Brasilien, ist allerdings nicht selbstverständlich. Viele Regierungen haben in den vergangenen Jahren Gesetze erlassen, um die Aktivitäten ausländischer Organisationen zu erschweren oder gar zu verhindern, etwa in Russland. Dort hat erst das 2012 verabschiedete "Agenten-Gesetz" zu erheblichen Einschränkungen geführt. Im April vergangenen Jahres entzogen die russischen Behörden schließlich allen deutschen Parteistiftungen die Registrierung; sie mussten ihre Arbeit einstellen.
In Ägypten wurden 2018 Dutzende NGO-Mitarbeiter, darunter auch zwei KAS-Vertreter, wegen unrechtmäßiger Finanzierung aus dem Ausland und Unruhestiftung zu langen Haftstrafen verurteilt; die Stiftungsmitarbeiter und einige andere Inhaftierte wurden erst nach internationalen Protesten freigesprochen. Hier, wie auch in Afghanistan und Myanmar, hat die Stiftung heute keine Büros mehr.
Lage in der Türkei hat sich verschärft
Auch das Arbeiten in der Türkei "war immer schon etwas kompliziert für Organisationen wie uns", sagt FES-Vertreter Henrik Meyer. In den 35 Jahren ihrer Präsenz habe es für die Stiftung schwierige Momente gegeben, "in denen nicht immer klar war, ob wir unsere Arbeit weiterführen können". Zuletzt habe sich die Lage nochmals verschärft. Neue bürokratische Auflagen und komplizierte Melde- und Nachweispflichten machten die Arbeit mühsam, berichten die Stiftungsmitarbeiter.
"Wir stehen hier immer im Fokus", sagt auch Walter Glos von der KAS. Besonders bei Aktivitäten im Bereich der Zivilgesellschaft, der Meinungs- und Pressefreiheit seien die Handlungsspielräume eher eingeschränkt. "Und gerade vor Wahlen werden Themen wie Rechtsstaatlichkeit und Wahlsicherheit natürlich nicht gern gesehen." Aber Glos geht offen damit um. "Ich konfrontiere die entsprechenden Akteure damit. Außerdem binde ich die notwendigen staatlichen Stellen immer mit ein und sie sind stets eingeladen, an den Veranstaltungen teilzunehmen." Letztlich, glaubt er, "schätzt die politische Führung, dass wir Dinge tun, die für das Land und die Beziehungen zur EU und zu Deutschland von besonderer Bedeutung sind". In der Türkei gebe es außerdem nach wie vor eine sehr lebendige Zivilgesellschaft, ergänzt Meyer. "Die lässt sich den Mund nicht verbieten und diskutiert viel kritischer als wir oft denken." Die FES finde daher problemlos die Partner, mit denen sie zusammenarbeiten will.
Beide Stiftungsvertreter hoffen, dass sie im Laufe des Monats wieder ihre Arbeit aufnehmen können. Denn die sei trotz aller Hindernisse und Herausforderungen unerlässlich, findet Meyer. "Uns geht es um gesellschaftlichen Austausch und den Erhalt von Freiräumen. Das ist wichtig für die Zukunft einer Demokratie, egal ob in der Türkei oder anderswo."