Trennungsfamilien : Es gibt nicht das eine Modell für alle
Jedes zweite Wochenende und die Hälfte der Ferien bei Papa: In Deutschland entscheiden sich viele getrennte Paare für das Residenzmodell - doch es gibt Alternativen.
Es ist eine klare Ansage im 2021 von SPD, Grünen und FDP geschlossenen Koalitionsvertrag, der die Überschrift "Mehr Fortschritt wagen" trägt. Zum Thema Trennungsfamilien heißt es dort, man wolle "die partnerschaftliche Betreuung der Kinder nach der Trennung fördern" und "dabei insbesondere das Wechselmodell in den Mittelpunkt stellen".
Wechselmodell bei der Erziehung von Kindern in Trennungsfamilien - das hört sich modern an. Und ist es in vielen Fällen auch, nämlich dann, wenn es relativ friedlich zwischen den getrennten Eltern zugeht und Lösungen einvernehmlich erarbeitet werden können. Dann ist viel möglich: das regelmäßige Pendeln von Kindern zwischen beiden Elternteilen, das Nestmodell, bei dem das Kind an einem Ort wohnt und dort abwechselnd von den getrennten Eltern betreut wird. Wird aber viel gestritten, bleibt als Alternative in der Regel das Residenzmodell, bei dem sich hauptsächlich ein Elternteil kümmert, meist die Mutter. In der Regel wechselt das Kind dann jedes zweite Wochenende zum Vater und an der Hälfte der Ferien- und Feiertage.
Das Residenzmodell sei in Deutschland vorherrschend, stellen die Soziologin Anja Steinbach (Universität Duisburg-Essen) und der Rechtswissenschaftler Tobias Helms (Philipps-Universität Marburg) fest. Sie leiten die interdisziplinäre Studie "Familienmodelle in Deutschland" (FAMOD), deren jüngste Ergebnisse zu Jahresanfang publiziert wurden. Die Wissenschaftler kommen zu dem Schluss, dass es nicht bei der bisherigen Fokussierung auf das Residenzmodell bleiben sollte.
Steinbach und Helms unterscheiden zwischen dem paritätischen Wechselmodell, das eine Fifty-fifty-Betreuung vorsieht und dem asymmetrischen Wechselmodell, bei dem ein Kind zu mindestens 30 Prozent bei einem Elternteil aufwächst. Ihre FAMOD-Studie sieht eine Präferenz für letztere Variante. Rechtliche Bedenken gegen die Praktizierung eines Wechselmodells bestünden nicht, schreiben die beiden Professoren. Und: "Den Kindern, die im Wechselmodell leben, geht es im Allgemeinen genauso gut oder ein wenig besser als den Kindern, die im Residenzmodell leben."
Das Wechselmodell: für Mütter meist vorteilhaft
Die Studie zu zerbrochenen Familien befasst sich auch mit der Zufriedenheit der Eltern, dem Elternwohl. Hier geht es vor allem um die Mütter, die beim Residenzmodell in der Regel die Hauptrolle spielen. Die Wissenschaftler bilanzieren, Mütter hätten mit dem Wechselmodell eine "höhere Lebenszufriedenheit, geringere Depressivität und nehmen weniger Stress wahr". Und wohl weil es für Mütter mit dem Wechselmodell unter Umständen einfacher wird, wieder eine Erwerbsarbeit anzunehmen, heißt es weiter: Mütter mit "Wechselmodell haben ein höheres ökonomisches Wohlbefinden als Mütter mit Residenzmodell".
An dieser Stelle könnte man einen Schlusspunkt unter die Debatte setzen und die Werbetrommel für das im parlamentarischen Raum vor allem von der FDP - nun gleich als gesetzlicher Regelfall - forcierte Wechselmodell rühren. Wenn die Welt heil wäre. Dass sie das nicht in allen Familien ist, wird an einer weiteren Feststellung im Koalitionsvertrag deutlich: "Wenn häusliche Gewalt festgestellt wird, ist dies in einem Umgangsverfahren zwingend zu berücksichtigen." Beides muss zusammen gedacht werden. Die Autoren der FAMOD-Studie wissen, dass das Wechselmodell nach häuslicher Gewalt in den seltensten Fällen dem Kindeswohl entspricht. Beim Wechselmodell würden sich "auch die negativen Folgen stärker" zeigen, "wenn die Beziehung zwischen den Eltern von Streit belastet ist oder die Kinder in einen Loyalitätskonflikt geraten", schreiben sie. Einschränkend heißt es, bei den untersuchten Familien habe es sich "nicht in erster Linie um (hoch-)konflikthafte Familien" gehandelt, "weshalb es schwierig ist, Aussagen über diese Familien zu treffen".
Kindeswohl an erster Stelle
Deutlicher noch wird der Merseburger Professor Heinz-Jürgen Voß, Inhaber der Professur für Sexualwissenschaft. Er hat für eine Dunkelfeldstudie im Auftrag des sächsischen Justizministeriums die Viktimisierung von Frauen unter anderem durch häusliche Gewalt erforscht. Und meint, dass Forderungen nach beiderseitigem Umgang mit gemeinsamen Kindern in und nach Gewaltbeziehungen zuweilen mit einer neuen Gefährdung des Kindeswohls einhergehen. Zuständige Gerichte sollten "mutiger sein, das Sorgerecht nicht zu teilen, sondern es dem von Gewalt betroffenen Elternteil zuzusprechen".
Unversöhnlich wirkt der Streit zwischen den Lobbyistinnen und Lobbyisten aus den verschiedenen Lagern, wenn es um Sorge- und Umgangsrecht geht. Die Buchautorin Christina Mundlos ("Mütter klagen an") schreibt, vor Gerichten würden Eltern seit einigen Jahren "immer öfter zur Einigung gezwungen und erpresst". Väterrechtler nennen das Mundlos-Buch "eine Hetzschrift gegen Männer". Die Datenlage zu häuslicher und sexualisierter Gewalt sei veraltet, gibt derweil das von der Grünen-Politikerin Lisa Paus geführte Familienministerium zu - eine geschlechterübergreifende Dunkelfeldstudie in Kooperation mit dem Innenministerium ist angekündigt, Ergebnisse sollen 2025 vorliegen.
Wechselmodell hier, der Blick auf die Opfer häuslicher Gewalt dort - die Regierung tut sich schwer, die Interessen auszugleichen und die Ziele des Koalitionsvertrags umzusetzen, obwohl Justizminister Marco Buschmann (FDP) schon im Frühjahr 2022 eine "Zeitenwende im Familienrecht" angekündigt hatte. Zum Zeitplan heißt es vage: "Die Kindschaftsrechtsreform soll in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden."
Der Autor ist freier Journalist.