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Foto: picture alliance / Panama Pictur
Mit dem Selbstbestimmungsgesetz will die Regierung die Persönlichkeitsrechte transidenter Menschen stärken.

Selbstbestimmungsgesetz vorgelegt : Neue Freiheiten

Mit dem neuen Selbstbestimmungsgesetz sollen transgeschlechtliche Menschen ihren Vornamen und Personenstand per Erklärung beim Standesamt ändern können.

17.11.2023
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4 Min

Dass dies keine Debatte ist, die geräuschlos den Bundestag passiert, war klar. Zu sehr hatte sich, seitdem vor Monaten der erste Entwurf für das Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) bekannt geworden war, eine Diskussion entwickelt, in der die Emotionen, ablehnende, mahnende wie zustimmende, hochkochten. Es war von daher wenig überraschend, dass Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (Die Linke) als Sitzungsleiterin mehrere Male gefordert war, um die Debatte am Mittwochabend wieder auf einen sachlichen Pfad zurückzuführen. Gleich zweimal erteilte sie der AfD-Abgeordneten Beatrix von Storch wegen deren Äußerungen gegenüber der Grünen-Abgeordneten Tessa Ganserer einen Ordnungsruf. Ein weiteres Mal musste sie einschreiten, um auf das Fotografieverbot im Plenarsaal hinzuweisen, das offensichtlich während der Rede Ganserers missachtet wurde.

Künftig einfache Erklärung beim Standesamt

Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) hatte dabei gleich zu Beginn klargestellt: "Niemandem nehmen wir ein Recht weg!" Doch das Argument verfing bei den Kritikern des SBGG nicht.

Das Gesetz soll es für trans- und intergeschlechtliche sowie nonbinäre Menschen deutlich einfach machen, ihren Vornamen und Personenstand ändern zu lassen. Eine einfache Erklärung beim Standesamt soll langwierige Gerichtsprozesse und psychologische Gutachten ersetzen, die bisher noch durch das Transsexuellengesetz (TSG) von 1981 vorgegeben sind. Für Minderjährige gelten gesonderte Regeln, ebenso gibt es Ausnahmen vom sogenannten Offenbarungsverbot.

Worum geht es im Selbstbestimmungsgesetz?

Weg mit Hürden: Das Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) soll das Transsexuellengesetz (TSG) ablösen, das 1981 in Kraft trat. Dieses legte trans- und intergeschlechtlichen Menschen viele Hürden in den Weg, um ihren Namen und Geschlechtseintrag ändern lassen zu können. Manche dieser Hürden wurden vom Bundesverfassungsgericht schon vor Jahren abgeräumt, unter anderem der Zwang zur Sterilisation und Ehescheidung.

Bisher Gutachten nötig: Nach wie vor gilt nach dem TSG aber: Betroffene müssen zwei psychologische Gutachten und ein langwieriges Gerichtsverfahren hinter sich bringen.

Künftig Erklärung beim Standesamt: Das SBGG soll die Änderung von Namen und Geschlecht künftig per Erklärung beim Standesamt ermöglichen. Diese muss drei Monate vorher angemeldet werden. Minderjährige brauchen die Zustimmung der Sorgeberechtigten.



Auch wenn das Gesetz im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung zahlenmäßig sehr wenige Menschen betrifft, ist es aus Sicht der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen dennoch überfällig. Die Zahl der gerichtlichen Verfahren nach dem TSG lag 2021 bei rund 3.200 und das sind eben aus Sicht von SPD, Grünen, FDP, aber auch der Linken 3.200 Menschen zu viel, die sich dem Prozess der zweifachen psychologischen Begutachtung unterziehen mussten.

Ministerin Paus: Würde des Menschen Kern des Rechtsstaates 

 "Viel zu lange - viel zu lange! - haben darüber Gutachter, Ärzte und Richter entschieden. Mehr als 40 Jahre buchstabierte das Transsexuellengesetz Stereotype und Transfeindlichkeit. Betroffene mussten sich sterilisieren lassen. Betroffene mussten ihre Ehe auflösen", erläuterte Lisa Paus die Motivation hinter dem Gesetz. Sie verwies auf 15 andere Länder, die teils vor Jahren bereits ähnliche Gesetze verabschiedet hätten und resümierte: "Ich bin sehr froh, dass wir jetzt die geschlechtliche Selbstbestimmung so regeln, wie es sich für einen freiheitlichen Rechtsstaat gehört, für den die Würde des Menschen der Kern des Rechtsstaates ist."


„Mehr als 40 Jahre buchstabierte das Transsexuellengesetz Stereotype und Transfeindlichkeit.“
Lisa Paus, Familienministerin (Grüne)

Anke Hennig (SPD) kritisierte die Debatte der vergangenen Monate, denn "all die Ängste und negativen Emotionen, die gegenüber Transpersonen aufgebaut werden, haben in der Debatte und insbesondere im Gesetz nichts verloren". Ziel sei es, das Recht jeder Person auf die Achtung und die respektvolle Behandlung in Bezug auf die persönliche geschlechtliche Identität zu verwirklichen. "Ein Grundsatz, der im Jahr 2023 Normalität sein müsste", so die Sozialdemokratin.

Für die FDP-Fraktion betonte Jürgen Lenders: "Wir nehmen mit den Neuerungen viel Leidensdruck von einem Personenkreis, bei dem zum Beispiel die Selbstmordrate unverhältnismäßig hoch ist." Die Änderung des Geschlechtseintrages sei nicht der Anfang für einen jugendlichen transidenten Menschen. "Es ist das Ende eines langen Weges, eines Weges, der oft mit viel Schmerz und Leid einhergeht."

Linke kritisiert "Geist des Misstrauens"

Tessa Ganserer (Grüne) bezeichnete den Tag als "historisch", zum allerersten Mal bringe eine Bundesregierung aus freien Stücken einen Gesetzentwurf zum Schutz der grundgesetzlich geschützten Persönlichkeitsrechte dieser Menschen in den Bundestag ein. "Wir schaffen damit das entwürdigende Transsexuellengesetz ab, ein Gesetz, an dem Blut und Tränen kleben."

Als einzige Oppositionsfraktion unterstützte Die Linke das geplante Gesetz, auch wenn es noch zu sehr den "Geist des Misstrauens atme", wie Kathrin Vogler konstatierte. "Was soll die automatische Übermittlung von Personenstandsänderungen an diverse Sicherheitsbehörden? Das machen Sie doch auch nicht bei Menschen, die anlässlich einer Verpartnerung, einer Eheschließung oder einer Adoption ihren Namen ändern."


„Ihr Gesetz ist eine Überreaktion!“
Dorothee Bär (CSU)

Leichtfertiger Umgang mit der Änderung des Geschlechtseintrags?

Für deutlich mehr Ärger sorgte der Gesetzentwurf bei der CDU/CSU und der AfD-Fraktion, die den Vorwurf erhoben, leichtfertig mit der Änderung des Geschlechtseintrages umzugehen und Jugendliche zu einem solchen Schritt zu animieren. So warf Dorothee Bär (CSU) der Regierung vor, mit dem Gesetz "überzureagieren". Es gebe mittlerweile bei den Eltern, auch durch Medien beeinflusst, eine Überidentifikation mit der Transidentität ihrer Kinder. "In den meisten Fällen söhnen diese Kinder, diese Jugendlichen sich später wieder mit ihrem eigenen Geschlecht aus", sagte sie.

Beatrix von Storch (AfD) wurde noch deutlicher. Für sie symbolisiert das Gesetz den "Weg ins Tollhaus. Sie sagen: 'Nicht die Biologie bestimmt, was eine Frau ist', und ich frage Sie: Ja, was denn dann? Lackierte Fingernägel und Minirock?" Die Regierung wolle "Transsexualität normalisieren. Jugendliche und Kinder sollen sich nicht mehr mit ihrer Biologie aussöhnen, sondern ihr Geschlecht ablegen wie einen unbequemen Mantel".