Kampf gegen Kinderarmut : Schutzschirm für arme Kinder
Nach langem öffentlichen Streit diskutiert der Bundestag erstmals über den Gesetzentwurf der Bundesregierung für eine Kindergrundsicherung.
Was für die SPD der Mindestlohn, das ist für die Grünen die Kindergrundsicherung. Ein sozialpolitisches Großprojekt, von dem sich die Partei nicht ohne Gesichtsverlust verabschieden kann und auch nicht möchte. Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) hatte von Beginn ihrer Amtszeit an klargemacht, dass der Kampf gegen Kinderarmut für sie oberste Priorität hat. Aber sie kostet eben auch, und deshalb hatte sie es mit einem FDP-Finanzminister zu tun, der ihr Prestigeprojekt aufgrund strikter Sparvorgaben gefährlich ins Wanken brachte. Der Streit geriet zwischenzeitlich gar zu einem jener Showdowns zwischen Grünen und FDP, die dem Ampel-Bündnis den Ruf einer Streit-Koalition einbrachten. Nach monatelangen Auseinandersetzungen sind die Wogen nun soweit geglättet, dass der Gesetzentwurf der Bundesregierung für eine Kindergrundsicherung am Donnerstag in erster Lesung beraten werden konnte.
Zugang zu Leistungen, Informationen und Beratung verbessern
Ziel der Kindergrundsicherung ist es, Millionen Kinder aus der Armut zu holen, so bessere Chancen für Kinder und Jugendliche zu schaffen und mehr Familien mit Unterstützungsbedarf zu erreichen - vor allem durch verbesserte Zugänge zu den existenzsichernden Leistungen und zu Information und Beratung. Bis zu 5,6 Millionen Kinder, hofft die Regierung, sollen profitieren, davon fast zwei Millionen Kinder, die derzeit Bürgergeld beziehen.
Das ist die Kindergrundsicherung
Armut unter Kindern: Ein Viertel der Kinder und Jugendlichen in Deutschland ist von Armut bedroht. Das sind rund 2,2 Millionen Kinder und Jugendliche (Statistisches Bundesamt).
Familien-Leistungen: Die neue Kindergrundsicherung will die derzeit für viele Menschen unübersichtlichen Leistungen bündeln und leichter, auch digital, zugänglich machen. Die Kindergrundsicherung soll aus drei Teilen bestehen: dem einkommensunabhängigen Kindergarantiebetrag für alle Kinder und Jugendlichen (entspricht dem heutigen Kindergeld), dem einkommensabhängigen und altersgestaffelten Kinderzusatzbetrag sowie den Leistungen für Bildung und Teilhabe.
Modalität der Auszahlung: Die Kindergrundsicherung soll vom neuen Familienservice (bisher: Familienkasse der Bundesagentur für Arbeit) geprüft und ausgezahlt werden. Kritiker befürchten, dass dadurch die bisherigen Familienkassen überlastet sein könnten.
Konkret sollen diese Ziele erreicht werden, indem die bisherigen Leistungen Kindergeld, Bürgergeld, Sozialhilfe, Kinderzuschlag und die Leistungen des Bildungs- und Teilhabepaketes zusammengeführt werden. Die Kindergrundsicherung soll aus drei Teilen bestehen: dem einkommensunabhängigen Kindergarantiebetrag für alle Kinder und Jugendlichen (entspricht dem Kindergeld), dem einkommensabhängigen und altersgestaffelten Kinderzusatzbetrag sowie den Leistungen für Bildung und Teilhabe.
Automatismus beim Schulbedarfspaket
Der Kinderzusatzbetrag unterscheidet sich insbesondere dadurch vom bisherigen Kinderzuschlag, dass sich sein monatlicher Höchstbetrag nicht am steuerfreien sächlichen Existenzminimum des Kindes orientiert, sondern an den Regelbedarfen und jenen für Unterkunft und Heizung im SGB II (Bürgergeld). Außerdem sollen die Mindesteinkommensgrenze sowie die Überwindung der Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II, die bisher Voraussetzungen für den Erhalt des Kinderzuschlages waren, wegfallen. Zusätzlich soll das Schulbedarfspaket, das Bestandteil der Leistungen für Bildung und Teilhabe ist und derzeit 174 Euro jährlich beträgt, automatisch mit dem Antrag auf den Kinderzusatzbetrag beantragt und ausgezahlt werden können.
Dadurch, dass Unterhaltsleistungen und Unterhaltsvorschuss bei der Bemessung des Kinderzusatzbetrages grundsätzlich nur zu 45 Prozent berücksichtigt werden, soll sich die Situation von Alleinerziehenden, die Bürgergeld erhalten, und Alleinerziehenden mit noch nicht eingeschulten Kindern besonders verbessern.
Linke zweifelt am Systemwechsel
Daran hatte Heidi Reichinnek (Die Linke) erhebliche Zweifel. Sie warf der Koalition sogar vor, die Situation von Kindern Alleinerziehender zu verschlechtern. "Denn schulpflichtige Kinder bekommen den Unterhaltsvorschuss nur dann nicht vollständig von der Kindergrundsicherung abgezogen, wenn der Elternteil mindestens 600 Euro verdient." Die Kindergrundsicherung sei auch kein Systemwechsel, denn um Kinder aus der Armut zu holen, seien deutlich mehr als die zwei Milliarden Euro nötig.
Silvia Breher (CDU) nannte das Gesetz die "umfassendste sozialpolitische Mogelpackung seit Jahren, denn sie enthält nichts von dem, was sie verspricht". Sie kritisierte außerdem die geplanten Zuständigkeiten in Form eines Familienservices. "Nutzen Sie doch die vorhandenen Strukturen, anstatt neue unübersichtliche zu schaffen", forderte Breher.
Martin Reichardt (AfD) rückte das Thema in einen größeren ideologischen Zusammenhang. Die Kindergrundsicherung sei nämlich nur ein weiterer Baustein einer Politik, die Kinder aus dem sozialen Zusammenhang der Familie herauslösen wolle und Eltern entmündige. Stattdessen solle die Regierung aufhören, "Sozialleistungen in alle Welt zu verschenken".
Bundesfamilienministerin Paus verwies darauf, dass Kinderarmut jedes Jahr 3,4 Prozent des Bruttoinlandsproduktes koste. "Wir brauchen Fachkräfte und wir können auf keinen Jugendlichen verzichten." Die Kindergrundsicherung löse nicht alle Probleme, aber sie ist "ein Einstieg in den Kampf gegen verfestigte Kinderarmut", so Paus.
SPD: Kindergrundsicherung mit der Union nicht zu machen gewesen
Für Sönke Rix (SPD) ist das Projekt noch mehr, nämlich Ausdruck eines Sozialstaatsprinzips, in dem die Menschen nicht als Bittsteller gesehen würden. Es sei wichtig und leider mit der Union nicht zu machen gewesen, dass alle Familien, die es brauchen, auch die unterstützenden Leistungen bekommen.
Stephanie Aeffner (Grüne) kritisierte die "Erzählung", wonach das Problem der Kinderarmut über mehr "Arbeitsanreize" für Eltern zu lösen sei. Die meisten Eltern arbeiteten und gerade Alleinerziehende würden dies überdurchschnittlich viel tun, neben der Last der fast alleinigen Care-Arbeit.
Das war ein direkter Hinweis an die FDP, die das Konzept der Kindergrundsicherung verbunden sehen möchte mit einem Gesamtkonzept zur Stärkung von Arbeitsanreizen im Sozialsystem. Das betonte auch Martin Gassner-Herz für die Liberalen. "Arbeit muss sich noch mehr lohnen, das Prinzip müssen wir stärken", sagte er. Die Debatte in den Ausschüssen verspricht, lebhaft zu werden, am Montag findet eine Anhörung des Familienausschusses zur Kindergrundsicherung statt.