Doppelinterview zum Frauentag : "Zahlen allein bringen uns Frauen nichts, wir wollen auch die Macht"
Herrscht schon Gleichberechtigung im Parlament und außerhalb? Die beiden frauenpolitischen Sprecherinnen von Union und SPD im Gespräch darüber, was noch zu tun ist.
Frau Heil, Frau Breymaier, sprechen wir zuerst über eines Ihrer Spezialgebiete: Frauen im Parlament. Deutschland liegt mit einem Frauenanteil im Parlament von 35,1 Prozent im Moment weltweit auf Platz 45. Was machen Ruanda (61,3 Prozent), Kuba (55,7 Prozent) und Nicaragua (51,7 Prozent) besser?
Leni Breymaier: Ruanda hat tatsächlich einen hohen Frauenanteil. Ich denke, da hat sich nach dem Völkermord in den 1990er Jahren die Erkenntnis durchgesetzt, dass eine Gesellschaft umso friedlicher und gerechter ist, je mehr Frauen an den politischen Entscheidungsfindungen und in der Zivilgesellschaft beteiligt sind. Aber ich glaube, wir müssen genau hinschauen, welche Rechte und welche Macht die Parlamente in diesen Ländern tatsächlich haben: In denen, die oft genannt werden, ist es oft so, dass das Parlament relativ wenig zu sagen hat.
Also taugen diese Länder nicht als Vorbild für Deutschland. Was würde hier helfen?
Leni Breymaier: Als Mitglied der Wahlrechtskommission habe ich versucht, die Parität für Deutschland mit einzubringen. Und das war schwer: Parteien, die die Quotenregelungen haben, sind in der Lage, Frauen ins Parlament zu bringen. Und die Parteien, die keine großen Regelungen haben, bringen dann eben auch keine Frauen in den Bundestag. Deshalb glaube ich, geht es am Ende um verbindliche gesetzliche quotierte Regelungen. Ohne wird es nicht gehen.
Mechthild Heil: Ich wäre schon auch stolz, wenn wir als Deutschland einen der vorderen Plätze hätten. Aber ich stimme meiner Kollegin zu: Man muss genau hingucken, wie gleichberechtigt die Frauen dort sind. Also Zahlen allein bringen uns Frauen nichts, wir wollen natürlich auch die Macht.
Frau Breymaier hat gerade schon angesprochen, dass die Quote im Zweifel dazu führt, dass die Frauen dann auch dort ankommen, wo sie sein sollen, sei es jetzt im Parlament oder in den Vorständen. Frau Heil, ich sehe Sie die Stirn runzeln. Sehen Sie das anders?
Mechthild Heil: Nein, nein, ich bin als CDU-Frau ein Fan der Quote. Ich bin Kreisvorsitzende, ich war lange Stadtverbandsvorsitzende. Ich habe eine lange Leidensgeschichte, Frauen in die Partei zu bringen und dann auch zur gleichberechtigten Mitarbeit zu fördern. Wir hatten lange ein Quorum und ich habe für die Quote gekämpft. Ich bin froh, dass wir sie haben. Aber natürlich ist das immer so, dass dann die Männer einen Teil ihres Einflusses und ihrer Macht abgeben müssen, und das tun die nicht freiwillig.
Leni Breymaier: Wir haben es immer mal wieder geschafft, durch Zusammenarbeit etwas zu erreichen. Bei der Debatte zu „Nein heißt Nein“ und vor 30 Jahren bei der Ergänzung des Artikels 3 Absatz 2 Grundgesetz, haben sich Frauen im Parlament parteiübergreifend zusammengeschlossen, um etwas Gleichstellungspolitisches zu erreichen. Ich könnte mir vorstellen, dass wir es in dieser Legislatur schaffen, das Paritätsgesetz für den Bundestag zu verabschieden, gültig ab der übernächsten Wahlperiode. Aber die Union ist nicht mit dem neuen Wahlrecht einverstanden und beklagt es beim Bundesverfassungsgericht. Deshalb wird man über Parität mit den Kolleginnen der Union wohl erst dann ernsthaft reden können, wenn Karlsruhe zum Wahlrecht im Allgemeinen entschieden hat.
Mechthild Heil: Ich bin ja auch voll dabei. Es wäre super, wenn wir das hinbekämen. Nicht nur wir Frauen, sondern das Parlament insgesamt. Aber es liegt eben noch nichts auf dem Tisch. Wir bräuchten einen Vorschlag, der dann nicht an unserem Grundgesetz scheitert.
Leni Breymaier: Aber das Grundgesetz sagt doch ganz klar, Artikel 3, Absatz 2: „Der Staat fördert die tatsächliche Gleichberechtigung und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“ Ich bin mir sicher: eine Paritätsregelung ist verfassungsfest.
Ein großes Hindernis für die politische Arbeit ist für viele Frauen sicher die schwierige Vereinbarkeit von Familie und Beruf beziehungsweise politischem Amt. Was muss sich da ändern? Müsste es nicht zum Beispiel Elternzeit für Abgeordnete geben?
Mechthild Heil: In der CDU haben wir eine politische Elternzeit und auch beschlossen, dass in den Gremiensitzung nach einer bestimmten Uhrzeit keine Beschlüsse mehr gefasst werden. Mich ärgert aber, dass wir das Frauenthema nur im Blick auf junge Frauen und Rollenzuschreibungen in der Familie diskutieren. Ein Hinderungsgrund, sich politisch zu engagieren, kann die Familie sein. Es können aber auch viele andere Dinge sein. Wir müssen es offener diskutieren. Es geht auch darum, wie wir miteinander umgehen in den Gremien. Die sind meist von Männern dominiert und viele Frauen sagen, ob jung oder alt, mit oder ohne Kinder, dass sie sich das nicht antun wollen. Die Art, wie man dort miteinander spricht, wie man sich durchsetzen, wie man auftreten muss. Das macht nicht jede Frau mit. Da müssen wir was machen als Parteien, aber auch als Gesellschaft. Die Männer dürfen nicht die Norm für unser Zusammenleben und auch für die politische Zusammenarbeit vorgeben.
Leni Breymaier: Das stimmt - die Regeln und die Rituale im politischen Geschäft werden von der Mehrheit gemacht und die Mehrheit sind Männer. Wobei diese männlichen Spielregeln auch nicht für alle Männer schlau sind. Wenn Donnerstagnacht um 2 Uhr noch ein Hammelsprung stattfindet, ist das insgesamt nicht besonders menschenfreundlich, egal ob ich jetzt ein Kind zu stillen habe oder nicht. Um das zu ändern, müssen Frauen, die die Sorge für Kinder oder Angehörige haben, in die Gremien rein: Damit sie dort sagen können, dass Abendsitzungen nach 20 Uhr nicht gehen. Wenn genügend Frauen drin sind, dann findet auch die Sitzung so spät nicht statt. Es heißt immer, es muss ein Drittel eines Gremiums von Frauen vertreten sein, damit sich tatsächlich was ändert.
Frauentag, Equal Pay Day und Care Arbeit
💪 Der Internationale Frauentag wird seit 1911 einmal im Jahr begegangen; seit 1921 immer am 8. März. In Berlin und Mecklenburg-Vorpommern ist der 8. März seit 2019 beziehungsweise 2023 ein gesetzlicher Feiertag.
💶 Auf den Gender Pay Gap, also das geschlechtsspezifische Lohngefälle, wird ebenfalls jährlich hingewiesen. Im vergangenen Jahr lag die Lohnlücke in Deutschland bei 18 Prozent, das heißt Frauen verdienten im Durchschnitt 18 Prozent brutto weniger als Männer.
📅 Das Datum des Equal Pay Day, der 6. März, steht hierbei für ein Rechenbeispiel: Geht man davon aus, dass der Durchschnittsstundenlohn eines Mannes alle Tage des aktuellen Jahres abdeckt, so hätte eine Frau im Vergleich dazu seit Jahresbeginn noch kein Geld bekommen, sondern würde erst ab dem 6. März bezahlt.
💗 Bei Care Arbeit spricht man gemeinhin von der Betreuung von Kindern, dem Kümmern um ältere Familienangehörige oder allgemein familiären Pflichten und Haushaltsführung. Diese Arbeiten werden im Durchschnitt meist mehrheitlich von einer Partnerin/einem Partner übernommen und in der Regel nicht vergütet.
Zum Frauentag gibt nicht nur Zahlen zum Gender Pay Gap, also der Lohnlücke zwischen Frauen und Männern, sondern auch zu den vielen Stunden Care Arbeit, die Frauen – auch in gleichberechtigten Beziehungen – immer noch unentgeltlich mehr leisten. Von 117 Milliarden unbezahlter Stunden entfallen in Deutschland 71 Milliarden Stunden auf Frauen. Welche Vorschläge haben Sie, dies zu ändern?
Leni Breymaier: Also das eine ist natürlich der sehr private Aushandlungsprozess: Man ist in einer Partnerschaft und dort müssen die Dinge geklärt werden. Aber, und da gilt auch hier: Das Private ist politisch. Wir in der SPD und auch in der Ampel wollen die Familienstartzeit einführen; eine zweiwöchige bezahlte Freistellung für den Partner direkt nach der Geburt. Alle Studien, die es dazu gibt, sagen, je früher sich Männer um die Babys kümmern, desto größer ist ihr Einsatz auch später. Dann geht es auch um die Kinderbetreuung, das ist natürlich das A und O: Wenn es keine Kinderbetreuung gibt, wie sollen Männer und Frauen dann erwerbstätig sein? Zudem haben wir im Koalitionsvertrag verabredet, dass pflegende Angehörige eine größere Flexibilität in der Zeiteinteilung haben sollen und deshalb wollen wir auch die Pflegezeit und die Familienpflegezeit weiterentwickeln.
Mechthild Heil: Wir haben besonders während der Corona-Pandemie gesehen, dass Frauen wieder stärker in die alten Rollenmuster zurückgeworfen werden. Ich bin auch dafür, dass man Care Arbeit gerecht entlohnt. Aber jeder, der Care Arbeit macht, wird sagen, dass es nicht nur am Geld liegt. Es ist einfach auch eine andere Art von Belastung, die man mit Geld nicht aufwiegen kann. Es ist nicht überall eine starke Familie da, die hilft, pflegebedürftige Kinder oder Eltern oder Geschwister zu betreuen. Bei dem Thema müssen wir als Gesellschaft stärker werden.
Ein weiteres Thema, das rund um den Internationalen Frauentag immer wieder aufkommt: Gewalt gegen Frauen und Femizide. Auch in Deutschland stirbt fast jeden dritten Tag eine Frau durch die Hand ihres (Ex-)Partners. Dennoch ist der Femizid in der deutschen Rechtsprechung noch kein eigener Straftatbestand. Warum?
Mechthild Heil: Für mich ist Mord Mord und Totschlag Totschlag. Es darf nicht sein, dass ein Partner seine Partnerin tötet und dafür so viel weniger bestraft wird, als ein Fremder. Ich glaube zudem, dass es wichtig ist, dass man die Frauen schon vorher besser schützt; es geht also gar nicht mal nur um die Bestrafung der Täter. Sondern auch darum, den Schutz der Frauen vor gewalttätigen Männern, vor den Ausbrüchen, die die Männer haben, die dann auch bis zum Mord oder dem Totschlag führen, zu verbessern.
Leni Breymaier: Femizide sind die drastischste Form geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen und Mädchen. Es ist falsch, dass Taten, die durch die patriarchalen Besitzansprüche der Männer geschehen, immer noch mit Begriffen wie Familiendrama oder Ehrenmord verharmlost werden. Wir haben vergangenes Jahr das Strafrecht konkretisiert und geschlechtsspezifische Tatmotive ausdrücklich in die Liste der menschenverachtenden Tatmotive aufgenommen. Wo wir noch sehr viel stärker hinschauen müssen, ist das sogenannte Berufsrisiko von Frauen in der Prostitution.
Mechthild Heil: Oh ja, auf jeden Fall!
Leni Breymaier: Seit der Liberalisierung der deutschen Prostitutionsgesetzgebung gab es weit über 100 tote Prostituierte. Was glauben eigentlich diese Männer, was sie dürfen? Wir brauchen aber nicht bloß härtere Strafen, wir brauchen auch mehr Frauenhausplätze. Aktuelle Zahlen sagen, wir bräuchten viermal mehr, als wir im Moment haben. Aber selbst, wenn wir fünfzig Mal mehr hätten: Das Ziel ist ja nicht, massenweise Frauenhäuser zu bauen, sondern die Gewalt an Frauen zu bekämpfen. Was machen wir präventiv gegen Gewalt, deren Spitze der Mord ist? Und Prostitution ist die bezahlte Gewalt, die bezahlte Vergewaltigung. Die unfassbare Gewalt, die Frauen aus der Prostitution erleiden müssen, nehmen wir immer nur dann zur Kenntnis, wenn mal wieder eine ermordete Prostituierte aus der Weser gezogen wird. Das ist doch irre!
Mechthild Heil: Und auch deshalb ist der Internationale Frauentag so wichtig: Damit wir von den Themen gleiche Bezahlung über Care Arbeit bis hin zum verbesserten Schutz von Frauen vor Gewalt auf so vieles aufmerksam machen können.