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Nach der Pandemie : Die Corona-Notlage soll aufgearbeitet werden

Die Corona-Pandemie hat die Gesellschaft schwer verunsichert. Eine systematische Aufarbeitung könnte helfen, eine ähnliche Krise künftig besser zu managen.

26.04.2024
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4 Min
Foto: picture alliance/SvenSimon/FrankHoermann

Bewohner von Altenheimen waren in der Pandemie oft stark isoliert und sehr einsam. Sie galten als vulnerable Gruppe und durften lange keinen Besuch empfangen.

Der Rückblick auf die Corona-Pandemie ist mit dem guten Gefühl verbunden, dass die größte globale Gesundheitsnotlage der Neuzeit vorbei ist, weil Impfstoffe gegen das tückische Virus in Rekordgeschwindigkeit entwickelt werden konnten. Die Erinnerung an die Krise löst bei vielen Menschen trotzdem immer noch Beklemmung aus. Ob Eltern, Kinder, ältere Menschen, Arbeitnehmer, Wissenschaftler oder Gesundheitspolitiker: Sie erinnern sich an eine Zeit der extremen Verunsicherung, an Krankheit, Entbehrungen, Vereinzelung, Verzicht und nicht selten auch an wirtschaftliche Not.

In den Regierungen und Parlamenten von Bund und Ländern, in der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) und in etlichen Expertenrunden haben verantwortliche Politiker damals schwerwiegende Entscheidungen getroffen, ohne alle Auswirkungen vorhersagen zu können. Es war eine Krise ohne Vorbild, ohne jenes Geländer, auf das sich Politiker in solchen Lagen am liebsten stützen.

Der Bundespräsident fordert eine ehrliche Aufarbeitung

Als Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Januar auf Schloss Bellevue das Bundesverdienstkreuz an Klaus Cichutek und Lothar Wieler verlieh, die in der Corona-Zeit als Präsidenten das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) beziehungsweise das Robert Koch-Institut (RKI) geleitet hatten, äußerte er sich nachdenklich über das, was Deutschland in der Zeit der Pandemie einerseits erreicht, andererseits durchlitten hat. Mit Blick auf Cichutek und Wieler merkte Steinmeier an: "Sie haben sich manchmal getäuscht, weil sie es zu dem Zeitpunkt einfach nicht besser haben wissen können."

Steinmeier forderte eine "ehrliche Aufarbeitung" der in der Pandemie angeordneten Auflagen und sagte: "Gerade in der Corona-Zeit hat sich viel Misstrauen in staatliche Maßnahmen, in politisches Handeln, ja in die demokratische Selbstorganisation unserer Republik artikuliert." Das habe gereicht bis hin zu "absurden Verschwörungserzählungen, zu antidemokratischen Demonstrationen, zu Diskriminierung und Hetze, zu Drohung mit oder auch tatsächlicher Anwendung von Gewalt".

Enquete-Kommission, Bürgerrat oder Untersuchungsausschuss?

Die systematische Aufarbeitung der Pandemie wird seit einiger Zeit diskutiert, die Vorstellungen der Parteien gehen aber auseinander. Die FDP sprach sich früh für eine Enquete-Kommission aus, die sich mit den heftig umstrittenen Beschränkungen während der Krise befassen sollte, um für künftige Notlagen besser aufgestellt zu sein. Auch die Unionsfraktion äußerte sich in diese Richtung. Die AfD-Fraktion ging zunächst noch einen Schritt weiter und verlangte einen Corona-Untersuchungsausschuss.

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Aus der SPD-Fraktion kam unlängst der Vorschlag, die Aufarbeitung einem Bürgerrat zu überlassen. Dabei könnten ausgewählte Teilnehmer ihre Erfahrungen schildern und Empfehlungen für die Zukunft geben. Die Grünen zeigten sich offen für eine solche Lösung.

Die AfD-Fraktion schlägt sich nunmehr auf die Seite derer, die eine Enquete-Kommission für die beste Wahl halten. Die Pandemie habe Deutschland weitgehend unvorbereitet und hart getroffen. Die Auswirkungen der staatlich angeordneten Maßnahmen seien bis heute spürbar, heißt es in einem Antrag der Fraktion, der am Mittwoch im Plenum erstmals beraten wurde. Die Kommission solle nach Antworten suchen, wie Lockdowns künftig zu verhindern seien und in einer Pandemie das wirtschaftliche, gesellschaftliche und soziale Leben weitgehend aufrechterhalten werden könne.

Die Vorwürfe wiegen schwer und sind zahlreich

Martin Sichert (AfD) hielt der Bundesregierung schwere Fehler vor und forderte eine schonungslose Aufarbeitung. Dazu müssten alle Protokolle von RKI, PEI, Ständiger Impfkommission, Bundesgesundheitsministerium und Bund-Länder-Konferenzen veröffentlicht werden. Sichert sagte: "Sie haben friedliche Bürger von Parkbänken vertrieben, im Lockdown eingesperrt, Kindergeburtstage verboten, Hunderttausende einsam in Heimen sterben lassen, Millionen psychisch krank gemacht, massenweise Unternehmer in den Ruin getrieben und einer ganzen Generation die Jugend versaut."


Porträt von Simone Borchardt draußen
Foto: MdB-Büro
„Wir brauchen eine ehrliche Bestandsaufnahme.“
Simone Borchardt (CDU)

Dirk-Ulrich Mende (SPD) hielt der AfD im Gegenzug vor, zur Spaltung der Gesellschaft maßgeblich beigetragen zu haben. Nun gehe es darum, zu zeigen, dass die Demokratie zur respektvollen und umfassenden Aufarbeitung fähig sei. Dazu brauche es die Mitwirkung der Bürger. Mit einem Bürgerrat und einer an das Parlament angebundenen Kommission könne eine Brücke zu den Betroffenen gebaut werden. Das Ziel sei die Einbeziehung der Erlebniswelten von Betroffenen. Die Kommission sollte über die Legislaturperiode hinaus für etwa vier Jahre arbeiten können.

Parteien warnen vor einer politisch motivierten Abrechnung

Simone Borchardt (CDU) warnte davor, die nötige Aufarbeitung für eine Abrechnung mit einzelnen Akteuren nutzen zu wollen. In einer Notsituation "brauchen wir starke Persönlichkeiten und starke Politiker, die sich trauen, Entscheidungen zu treffen". Die Menschen erwarteten nicht, dass immer alles richtig gemacht werde, aber sie wollten wissen, wie Entscheidungen zustande gekommen seien. Sie schlug eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe vor, denn viele Absprachen seien gemeinsam mit den Ländern getroffen worden. Borchardt betonte: "Wir brauchen eine ehrliche Bestandsaufnahme."

Christine Aschenberg-Dugnus (FDP) erinnerte daran, dass sich die Politik besonders zu Beginn der Pandemie in einer "bisher unbekannten Extremsituation" befunden habe und im Eilverfahren Entscheidungen getroffen worden seien. Im Rückblick werde deutlich, dass einige Entscheidungen "suboptimal" gewesen seien und großen sozialen wie wirtschaftlichen Schaden angerichtet hätten. Mit einer Enquete-Kommission sei eine umfassende und unabhängige Bewertung möglich. Der AfD hielt sie vor, allenfalls Verschwörungserzählungen zu verbreiten.

Auch Armin Grau (Grüne) kritisierte, bei der AfD sei nicht das Virus der Übeltäter, sondern der Staat, der seiner Schutzfunktion nachkomme. Schutzvorkehrungen wie Masken, Abstandsgebot, Kontaktbeschränkungen und Impfungen hätten Hundertausende Leben gerettet. Die Koalition werde einen Vorschlag für die Aufarbeitung unterbreiten.