Versorgungsengpässe in Apotheken : Arzneimittelreform soll Engpässe verhindern
Viele wichtige Medikamente sind derzeit knapp, darunter Antibiotika und Mittel gegen Krebs. Die Bundesregierung will gegensteuern.
Der Fiebersaft-Schock aus dem Infektionswinter 2022/2023 dürfte vielen Eltern kleiner Kinder noch ungut in Erinnerung sein. Damals war das bewährte Mittel in den meisten Apotheken ausverkauft. Wenig später wurde bekannt, dass auch andere wichtige Medikamente wie bestimmte Antibiotika oder Krebsmittel nicht mehr flächendeckend verfügbar sind. Selbst Experten waren überrascht von der Vielzahl an nicht lieferbaren Arzneimitteln. In der Not rührten manche Apotheken den Fiebersaft selbst an.
Vielfältige Gründe für Engpässe in der Arzneimittelversorgung
Die Frage, wie es dazu kommen konnte, ist nicht mit einem Satz beantwortet. Experten verweisen auf verschiedene Ursachen wie die globalisierte und spezialisierte Herstellung von Arzneimitteln, Produktionsausfälle und Qualitätsmängel. Zudem rechnet sich die Lieferung in einigen Fällen offenbar nicht, weil die Preisgestaltung in Deutschland zu restriktiv ist. Formal unterschieden wird zwischen einem kurzfristigen Lieferengpass und einem Versorgungsengpass, der nur dann eintritt, wenn auch keine gleichwertige Alternative zur Verfügung steht. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (Bfarm) unterhält eine eigene detaillierte Datenbank, in der aktuelle Lieferengpassmeldungen verzeichnet sind. Zuletzt waren dort 495 Medikamente eingetragen.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat auf die Arzneimittelkrise reagiert und eilig einen Gesetzentwurf vorgelegt, der das Problem zumindest entschärfen soll und der in der vergangenen Woche erstmals beraten wurde. Der Entwurf setzt mit Neuregelungen in mehreren Bereichen an. Für Kinderarzneimittel gelten künftig weniger strikte Preisregeln, Festbeträge und Rabattverträge werden abgeschafft. Pharmafirmen können ihre Abgabepreise für solche Arzneimittel einmalig um bis zu 50 Prozent des zuletzt geltenden Festbetrages oder Preismoratoriums anheben. Zudem werden Preisinstrumente für versorgungskritische Arzneimittel bei einem Engpass gelockert. Sollte es zu wenige Anbieter geben, können Festbetrag oder Preismoratorium einmalig um 50 Prozent angehoben werden.
Ferner müssen Antibiotika mit Wirkstoffproduktion in der EU und im Europäischen Wirtschaftsraum bei Ausschreibungen von Kassenverträgen zusätzlich berücksichtigt werden. Auf diese Weise soll die Anbietervielfalt erhöht werden. Auch die Verfügbarkeit neuer Reserveantibiotika soll sich verbessern durch finanzielle Anreize für die Pharmaindustrie. Die Verfügbarkeit von Arzneimitteln soll zudem mit neuen Austauschregeln für Apotheken gestärkt werden. Der Versorgungssicherheit dient die verbindliche dreimonatige Lagerhaltung von rabattierten Arzneimitteln. Ferner wird ein Frühwarnsystem zur Erkennung von Lieferengpässen eingerichtet.
Gesundheitsminister Lauterbach: Zustand ist nicht akzeptabel
Lauterbach räumte mit Blick auf die Engpässe ein: "Das ist ein nicht akzeptabler Zustand, den wir viel zu lange haben gewähren lassen." Einige Ursachen für die Krise lägen in der Corona-Pandemie. In dieser Zeit sei weniger produziert worden, es habe weniger Vorrat gegeben, Lieferketten seien weggebrochen. Ein wichtiges langfristiges Ziel bestehe darin, Teile der Produktion nach Europa zurückzuholen. "Wir haben die Ökonomieschraube überdreht."
Georg Kippels (CDU) sprach von einer überfälligen Neuregelung, die schon hätte angegangen werden müssen, als sich im vergangenen Spätsommer die bevorstehende Infektionswelle angedeutet habe. Allein das Drehen an der Rabattschraube könne den hochkomplexen Produktionsprozess nicht befördern. Die langen Vorlaufzeiten müssten nicht nur ökonomisch, sondern auch produktionstechnisch berücksichtigt werden. Jörg Schneider (AfD) bezweifelte, dass es gelingen werde, die Produktion aus Asien nach Europa zurückzuholen und verwies auf "Abwanderungsideen" von BASF. Außerdem könnte ein Frühwarnsystem zu Hamsterkäufen führen. Sinnvoll sei daher eine Kontingentierung. Vor allem ältere Patienten bräuchten zudem mehr Beratung in Apotheken.
Paula Piechotta (Grüne) warnte davor, die Komplexität des Arzneimittelsystems zu unterschätzen. Es müsse analysiert werden, wo es Fehlanreize und Versorgungsprobleme gebe und wie aufwands- und regulierungsarm Abhilfe zu schaffen sei. Dabei müssten auch Mitnahmeeffekte beachtet werden. Lars Lindemann (FDP) erinnerte an den Zielkonflikt zwischen guter Versorgung und Finanzstabilität der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Gute Produktionsbedingungen seien ebenso wichtig wie flexible und unbürokratische Regelungen. Auch die Preisgestaltung bei Medikamenten gehöre erneut auf den Prüfstand.
Linke sieht Vorschlag als zahnlosen Tiger
Kathrin Vogler (Linke) kritisierte den Gesetzentwurf als zahnlosen Tiger. So sei unklar, wie die Bevorratungspflicht der Pharmafirmen, die es schon gebe, durchgesetzt werden könne. Rabattverträge verstärkten die Abhängigkeit von Lieferanten und sollten durch Festbeträge ersetzt werden.