Long-Covid und ME/CFS : Ohne Hoffnung
Gesundheitspolitiker fordern mehr Hilfe für Patienten mit der Diagnose ME/CFS. Die Krankheit wird aktuell noch nicht gut verstanden.
Während für die meisten Menschen die Corona-Pandemie inzwischen ihren Schrecken verloren haben dürfte, ist für viele Betroffene von Long-Covid eine der größten Gesundheitskrisen aller Zeiten mitnichten vorbei. Wie sich in der Pandemie gezeigt hat, leidet eine nicht eben kleine Gruppe von Menschen seit geraumer Zeit an schweren Nachwirkungen einer Corona-Infektion. Dabei erinnern die typischen Symptome von Long-Covid und Post-Covid an eine Krankheit, die es schon lange gibt und für die keine Therapie verfügbar ist.
ME/CFS ist eine rätselhafte Krankheit
Die Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom (ME/CFS) ist eine schwere Erkrankung, deren Wirkungsweise noch immer nicht gut verstanden wird. Spezialisierte Mediziner vermuten, dass die schwerste Form von Long-Covid nichts anderes ist als ME/CFS.
Nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für ME/CFS können die typischen Symptome wie schwere Erschöpfung, mangelnde Belastungsfähigkeit, Kopf- und Muskelschmerzen sowie kognitive Einschränkungen nach einer Infektionskrankheit einsetzen. Als Auslöser bekannt sind zum Beispiel das Epstein-Barr-Virus (EBV) und Influenza. Offenkundig kann auch eine Infektion mit Sars-Cov-2 eine ME/CFS auslösen. Befürchtet wird, dass eine Subgruppe der von Long-Covid betroffenen Menschen das Krankheitsbild ME/CFS entwickelt.
Koalition will Langzeitfolgen von Covid-19 und ME/CFS intensiver erforschen
Die Bundesregierung hat sich laut Koalitionsvertrag vorgenommen, die Langzeitfolgen von Covid-19 und ME/CFS intensiver zu erforschen, die Versorgung der Betroffenen zu verbessern und dazu ein Netzwerk von Kompetenzzentren und interdisziplinären Ambulanzen zu schaffen.
Die Unionsfraktion legte mit einem Antrag (20/4886) zu dem Thema nach, der vergangene Woche erstmals beraten wurde. Die Versorgungslage der betroffenen Menschen und ihrer Angehörigen sei von Hoffnungs- und Perspektivlosigkeit geprägt, heißt es in dem Antrag.
ME/CFS: Weltweit bis zu 24 Millionen Betroffene
Die Zahl der weltweit Erkrankten werde auf 17 bis 24 Millionen geschätzt. ME/CFS schränke die Lebensqualität der Betroffenen stark ein. Oft seien die Patienten auf Pflege durch Angehörige angewiesen. Über 60 Prozent der Betroffenen seien arbeitsunfähig, rund 25 Prozent könnten das Haus krankheitsbedingt nicht mehr verlassen oder seien sogar bettlägerig. Nach Ansicht der Abgeordneten muss Betroffenen der Zugang zu Gesundheits- und Sozialsystemen erleichtert werden. In der Aussprache waren sich die Abgeordneten einig, dass den Menschen, die unter ME/CFS leiden, effektiver geholfen werden muss. Redner aller Fraktionen äußerten sich betroffen über die Schwere der Erkrankung und das harte Schicksal der Betroffenen und ihrer Angehörigen.
ME/CFS ist schwer zu diagnostizieren
Ein Kernproblem ist die Diagnose, darauf ging auch Sepp Müller (CDU) ein, der von einem Fall berichtete, bei dem ein Mann eine "Ärzte-Odyssee" hinter sich gebracht habe. Anfangs habe es geheißen, der Mann sei müde, am Ende habe der Vorwurf gelautet, er sei faul. "Genau gegen diese Stigmatisierung und Diskriminierung wollen wir vorgehen." Nötig sei eine Aufklärungskampagne für die Bevölkerung, aber auch für Ärzte.
Aus ihrem Umfeld kennt Martina Stamm-Fibich (SPD) seit Jahren Patienten mit dieser Krankheit. Sie mahnte, ME/CFS müsse als eigenständige Erkrankung wahrgenommen werden, es handele sich nicht um eine Subgruppe von Long-Covid. Sie räumte ein: "Wir können hier alle nicht zaubern." Aber die Ampel-Koalition werde sich einmal daran messen lassen müssen, was sie für die geschätzt 250.000 Betroffenen in Deutschland und ihre Angehörigen konkret erreicht habe.
Linda Heitmann (Grüne) sprach von einer "tückischen Krankheit" und einer "niederschmetternden Diagnose". Gleichwohl seien Betroffene dankbar, endlich zu wissen, dass die Erkrankung einen Namen habe. Jetzt, wo ME/CFS immer häufiger auch als Folge von Covid-Infektionen auftrete, würden die Betroffenen sichtbarer.
Stilles Leiden der Betroffenen
Ates Gürpinar (Linke) versprach den Patienten: "Wir tun alles, damit sich für Sie in Ihrem Leben etwas zum Positiven verändert." Er wies darauf hin, dass viele junge Leute betroffen sind und viele Frauen. Um den Menschen zu helfen, müsse die Pflegepolitik geändert und in die Forschung investiert werden. Christina Baum (AfD) merkte an, dass die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ME/CFS schon 1969 als neurologische Erkrankung anerkannt habe. Es gebe aber immer noch keinen Biomarker, sodass eine Diagnose nur über den Ausschluss anderer Erkrankungen gestellt werden könne. Patienten würden oft als Simulanten abgetan oder falsch behandelt. Lars Lindemann (FDP) sprach von einem "stillen Leiden", weil Betroffene schwer krank zu Hause an das Bett gefesselt lägen und keine Lobby hätten. Die Folge dieser Hoffnungslosigkeit sei nicht selten der Weg in den Suizid.