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32 Jahre Einheit : Neue alte Probleme

Der Beauftragte der Bundesregierung für Ostdeutschland, Carsten Schneider (SPD), stellt seinen ersten Bericht vor. Sein Ziel: Den Blick auf Ostdeutschland zu weiten.

17.10.2022
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4 Min

Ostdeutschland heute, 32 Jahre nach der Wiedervereinigung, das heißt eine wachsende wirtschaftliche Bedeutung dank Unternehmensansiedlungen wie die von Intel und Tesla einerseits und eine wachsende Unzufriedenheit der Bevölkerung mit den immer noch ungleichen Lebensverhältnissen im Vergleich zu Westdeutschland andererseits: Seit Wochen nimmt die Zahl der Menschen bei Demonstrationen zu, meist angeführt von einem Lager aus bürgerlich-konservativen bis hin zu rechtsextremen Kräften.

Foto: picture-alliance/dpa/Jan Woitas

Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer Demo aus dem Umfeld der "Querdenker"-Bewegung in Leipzig.

Vordergründig gehen die Leute aus Frust über Lohnungleichheit, steigende Preise, Inflation und der Angst vor einem kalten Winter auf die Straße. Doch dass sich dahinter verstärkt rechte Kräfte mit anderen Motiven bündeln, davor warnte jüngst Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke) in der "Zeit": "Es entsteht eine neue Pegida." Die Situation sei sehr gefährlich, da sich auch Anhängerinnen und Anhänger des rechtsextremen Milieus auf den Demos befänden.

Um einen konstruktiven Blick bemüht

In dieser Situation bemüht sich der Beauftragte der Bundesregierung für Ostdeutschland, Carsten Schneider (SPD), mit seinem neuen Bericht, einen konstruktiven Blick auf die Lage und Entwicklung in den neuen Länder und den Stand der Wiedervereinigung zu lenken. Das Papier soll sich fortan mit dem traditionellen Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit abwechseln.

Beide Berichte wurden zusammen mit dem Antrag der Fraktion Die Linke "32 Jahre Deutsche Einheit - Schutzschirm gegen Inflation und Armut spannen, Lohn- und Renteneinheit herstellen" am Freitag im Plenum debattiert und zur weiteren Beratung in den Wirtschaftsausschuss überwiesen.

Hotspot für Unternehmen

Er habe den Blick auf Ostdeutschland "weiten wollen", sagte Schneider bei der Debatte im Bundestag. Deshalb habe er 16 Gastautorinnen und Gastautoren gebeten, kritisch über den aktuellen Stand der Dinge in Ostdeutschland zu berichten. "Zu lange standen die Defizite im Blick", so Schneider. Zu lange sei der Westen als Vergleichsmaßstab herangezogen worden, an dem sich Ostdeutschland messen musste.


„Ein neuer Blick heißt jedoch nicht, die Probleme zu verschweigen.“
Carsten Schneider (SPD)

Dieser Blick, diese Wahrnehmung solle und müsse sich aber nun ändern, befand Schneider: "Die ostdeutschen Besonderheiten werden nicht einfach verschwinden", sagte der gebürtige Erfurter. Ostdeutschland sei kein ,Westdeutschland plus', sondern ein vielfältiges Land mitten in Europa. So seien auch die neuen Unternehmensansiedlungen mit den tausenden Arbeitsplätzen ein äußerst positives Signal.

Darauf ging auch der Parlamentarische Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, Michael Kellner (Bündnis 90/Die Grünen) ein. Der Osten werde von internationalen Investoren zunehmend als "Hotspot" wahrgenommen. Man dürfe jedoch nun mit den Anstrengungen nicht nachlassen, forderte Kellner und sprach damit den Strukturwandel an. Die Zukunft des Ostens liege in der Wasserstoffwirtschaft und nicht in der Kohle.

Zu wenig in Führungspositionen vertreten 

Neben dem Lob für den wirtschaftlichen Erfolg der neuen Bundesländer, für das bürgerschaftliche Engagement und den Willen zur Transformation kamen die Abgeordneten aber nicht darum herum, über die stetig wachsende Unzufriedenheit der Menschen zu sprechen, die in Ostdeutschland noch höher ist als im Westen.

"Ein neuer Blick heißt jedoch nicht, die Probleme zu verschweigen", formuliert es der Ostbeauftragte Schneider. Die Herausforderungen des Ostens und die Unzufriedenheit würden oft genannt, zum Beispiel die niedrigeren Einkommen oder die zu geringe Repräsentanz der Ostdeutschen in Führungspositionen. Während sie 17 Prozent der Bevölkerung ausmachten, besetzten sie jedoch nur 3,5 Prozent der Führungspositionen, berichtete Schneider.

Das ergab der "Deutschland-Monitor"

👥 Von den Menschen in Ostdeutschland sagen nur noch 39 Prozent, sie seien zufrieden mit der Demokratie. Das ergab eine Umfrage, zusammengefasst als "Deutschland-Monitor", die Teil des Berichts des Ostbeauftragten ist. Vor zwei Jahren lag der Wert bei 48 Prozent.

🙁 Aber auch in Westdeutschland sank die Zufriedenheit, wenn auch sie dort noch bei 59 Prozent liegt (minus sechs Prozentpunkte).

⚖️ Für die Umfrage wurden im Juli und August 4.000 Menschen in West- und Ostdeutschland nach ihrer Haltung zur Demokratie, der Bundespolitik und ihrem Vertrauen in die Regierung befragt.



Über die deutlich abnehmende Zustimmung für die Demokratie und die Marktwirtschaft müsse man reden, befand CDU/CSU-Fraktionschef Friedrich Merz. "Aber wir dürfen nicht nur reden, wir müssen auch zuhören." Er lobte deshalb die Idee des Ostbeauftragten für eine neue Art des Berichts. Die Auseinandersetzung mit verschiedenen Sichtweisen sei begrüßenswert, so Merz, denn "Streit ist in der Demokratie nichts unanständiges". Streit in der Sache gehöre dazu, es müsse aber auch nach Lösungen gesucht werden.

SPD weist Vergleich von 2022 mit 1989 zurück

Krisen treiben Menschen immer auf die Straßen, das sei verständlich, sagte Detlef Müller (SPD). "Man muss nur schauen, mit wem oder hinter wen man sich da hinstellt", warnte er weiter. 2022 sei eben nicht, wie jüngst immer wieder postuliert würde, 1989. Dieser Vergleich sei vielmehr "unredlich, geschichtsvergessen und ein Verrat an der friedlichen Revolution", so Müller. In der AfD sieht man das indes anders. Der Abgeordnete Leif Erik Holm befand, man könne den Ostdeutschen "dankbar sein, die jetzt auf die Straße gehen, die wachrütteln wollen".

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64 Prozent der Menschen seien unzufrieden mit der Ampel, zitierte Dietmar Bartsch (Die Linke) aus dem Bericht. "Diese erschreckenden Zahlen sind nicht vom Himmel gefallen", sagte Bartsch, es müsse nun gehandelt werden, um eine weitere Spaltung zu verhindern.

Die noch bestehenden Ungleichheiten zu beseitigen, sah Kassem Taher Saleh (Bündnis 90/Die Grünen) "als unsere Aufgabe als Parlament". Auch die FDP lenkte den Blick mehr in Richtung Versöhnlichkeit: In der aktuellen Situation sei es wichtig, "dass wir miteinander und nicht nur übereinander reden", befand die Liberale Linda Teuteberg.