Von Gleichberechtigung bis Klimakrise : Was diese jungen Menschen antreibt
Klimaschutz, gesellschaftlicher Zusammenhalt, faire Löhne: Fünf junge Menschen erzählen, wofür sie sich stark machen und warum.
Inhalt
Yasemin Kamisli: German Dream-Botschafterin
"Seit zwei Jahren gehe ich bereits regelmäßig in Schulen, um mit Jugendlichen Wertedialoge zu führen. Ich frage immer zuerst: 'Was sind eure wichtigsten Werte?' Anschließend diskutieren wir über alles, was die jungen Leute beschäftigt: Rassismus, Diskriminierung, Gleichberechtigung. Aus diesen Gesprächen gehe ich jedes Mal begeistert raus. Und auch erstaunt, was so junge Menschen schon für Vorschläge haben für die Zukunft dieses Landes.
Gesellschaftspolitisches Engagement ist mir sehr wichtig. Neben meiner journalistischen Arbeit ist das etwas, was mich antreibt und erfüllt. Zu German Dream bin ich gekommen, weil ich die Gründerin Düzen Tekkal interviewt habe. Das Anliegen der kurdisch-stämmigen Journalistin und Menschenrechtlerin ist es, Werte wie Toleranz, Demokratie und Freiheit mit Leben zu füllen und zu zeigen: In Deutschland hat jeder eine Chance, aber man muss die Gesellschaft auch aktiv mitgestalten.
Viele der Wertebotschafter und Wertebotschafterinnen haben einen Migrationshintergrund. Auch ich: Mein Vater ist türkisch, meine Mutter deutsch. So bringe eine zusätzliche Perspektive in die Gespräche mit ein.
Nah dran an der Zielgruppe
Zudem hilft es, dass ich selbst noch jung bin. Dadurch bin ich näher dran und kann anderen helfen, die sich mit Themen in der Schule zum Beispiel alleine gelassen fühlen. Manchmal wissen Jugendliche einfach nicht, wohin sie sich wenden können, wenn sie zum Beispiel Diskriminierung erfahren - auch wenn es durchaus Hilfsangebote gibt.
Cool ist, dass ich auch meine journalistischen Fertigkeiten in mein Ehrenamt einbringen kann. Zum Beispiel drehe ich ab und zu Videos für German Dream, zuletzt über die Wahlen in der Türkei. Ich mache dort gerade ein Praktikum bei einer Nichtregierungsorganisation, während ich parallel meine Bachelor-Arbeit über die Repräsentation von Minderheiten in den Medien schreibe. Das Thema wird mich sicher weiter begleiten. Genauso wie die Darstellung von Jugendlichen: Man könnte manchmal den Eindruck bekommen, junge Leute hingen nur am Handy und interessierten sich nicht für Politik. Ich werde jedes Mal vom Gegenteil überzeugt, wenn ich als Wertebotschafterin an einer Schule bin."
Simon Hoba: Fridays For Future-Aktivist
"Als Corona kam, war ich gerade in England zum Austausch. Verwundert habe ich von dort aus beobachtet, wie die Pandemie mit vereinten Kräften bekämpft wurde, während bei der Klimakrise immer weniger passierte. Als ich nach Deutschland zurückkam, habe ich eine E-Mail an Fridays For Future geschrieben und gefragt, wie ich mich einbringen kann.
Mit etwa 50 Leuten sind wir eine große und sehr aktive Ortsgruppe. Ich mache viel im Bereich Presse und Social Media, spreche mit Journalisten, poste auf Twitter und Instagram. Neulich waren wir in der Lausitz und haben da ein Video im Siegfried-und-Roy-Stil gedreht, in dem Leute mit Plakaten hinter einem goldenen Zaubertuch auftauchten. Das haben hunderttausende Leute angeschaut.
Natürlich gibt es dann auch Anfeindungen in den Kommentaren, vor allem von rechter Seite. Aber andererseits ist Social Media wirklich eine großartige Chance, viele Leute zu erreichen - auch solche, die sonst vielleicht gar nicht wüssten, wofür wir stehen. Mir ist es sehr wichtig, dass wir nicht nur eine kleine Teilgruppe ansprechen, sondern wirklich die Masse auf die Straße bringen. Klimaschutz ist kein linkes oder junges Thema, Klimaschutz ist für alle wichtig. Je mehr Leute wir dafür mobilisieren, desto mehr Druck können wir auf die Politik ausüben, geltende Verträge einzuhalten.
Begeisterung für die gemeinsame Sache
Für mich war der globale Klimastreik am 3. März ein Wahnsinnserlebnis. Ich habe dort mit Leuten gesprochen, die zum ersten Mal auf einer Demo waren und die gesagt haben: Wir haben wenig mit Politik am Hut, aber wir merken, dass hier was richtig falsch läuft. Ich habe aber auch mit Leuten geredet, die seit 2019 auf jede Demo gehen, die immer weiter machen. Dieses gemeinsame Engagement hat mich enorm begeistert.
Beeindruckend waren auch Gespräche mit Politikerinnen und Politikern, die ehrlich zugegeben haben, noch nicht genug zu tun, und ernsthaft an einem Austausch interessiert waren. Ich habe gerade mein Abitur gemacht und will jetzt in Berlin Volkswirtschaftslehre studieren. Perspektivisch hätte ich auf jeden Fall Lust, selbst in die Politik zu gehen, um im Bereich Klima etwas zu bewirken."
Kira Horn: FSJlerin bei Schüler Helfen Leben
„Jugendliche für Jugendliche – darum geht es bei der Organisation Schüler Helfen Leben (SHL), die mit Projekten Jugendengagement vor allem in Südosteuropa, inzwischen aber auch in der Ukraine fördert. Kennengelernt habe ich SHL, als ich als Mitglied der Schülervertretung an meiner Schule den Sozialen Tag organisiert habe. Das ist ein jährlicher Aktionstag: Schülerinnen und Schüler können an diesem Tag in einem Unternehmen arbeiten. Das Geld, das sie dabei verdienen, spenden sie, und davon werden die Projekte im Ausland finanziert. Ein junger Mann, der gerade sein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) machte, hat mich zu einem SHL-Seminar eingeladen.
Ich habe mich sofort wohl gefühlt: Da waren so viele coole engagierte junge Leute und ich hatte gleich das Gefühl, eine Stimme zu haben, die gehört wird. Tja, und so bin ich nach der Schule selbst als FSJlerin bei Schüler Helfen Leben gelandet. Gleich zu Beginn meines FSJs durfte ich nach Moldau reisen, wo wir seit Ausbruch des Ukrainekriegs Nothilfe für Flüchtlinge leisten. Damit gerade die Kinder nicht dauerhaft in Notunterkünften leben müssen, hat Schüler Helfen Leben gemeinsam mit Partnern leerstehende Häuser renoviert. Auf einer Rundreise zusammen mit anderen FSJlern durch Serbien, Bosnien, Kosovo und Nordmazedonien habe ich auch unsere anderen Projekte vor Ort kennengelernt, Jugendzentren zum Beispiel und Jugendmagazine – ein krasses Highlight.
Aus Perspektivwechsel Motivation gezogen
Die Leute waren so nett, obwohl sie es oft schwerer haben, sich gesellschaftlich einzubringen. Es gibt dort viel weniger Förderung und Strukturen als hier in Deutschland. Zu sehen, wofür wir das alles machen, war auf jeden Fall sehr motivierend.
Im Moment bin ich mit dem Sozialer-Tag-Mobil bundesweit unterwegs: Meine zwei Kolleginnen und ich besuchen Schulen, stellen unsere Arbeit vor und geben Workshops, etwa zum Thema Klimaschutz. Das Beste daran ist, wenn ich merke, dass wir Kinder zum Nachdenken anregen können, dass sie etwas mitnehmen aus dem Workshop. Nach meinem FSJ will ich Soziologie und Politikwissenschaften studieren. Bei Schüler Helfen Leben werde mich auf jeden Fall weiter engagieren.“
Hannes Langer: Jüngster Bürgermeister
"Im Rahmen einer Klassenfahrt habe ich 2015 den SPD-Abgeordneten aus unserem Wahlkreis im Bundestag besucht. Anschließend habe ich ihm geschrieben, dass ich Interesse hätte, mich zu engagieren. Ich bekam einen langen Antwortbrief - mit Beitrittsformular. So landete ich in der Partei: Ich wurde in meiner ostfrisischen Heimatgemeinde Juso-Vorsitzender und in den Gemeinderat entsandt als beratendes Mitglied. Da habe ich gelernt, wie Kommunalpolitik funktioniert. Und fand das spannend. Denn da geht es ja wirklich um das, was direkt vor der Haustür passiert: Soll die Schule trotz sinkender Schülerzahlen bleiben? Wo kommt ein Spielplatz hin?
Nach dem Abi habe ich eine Ausbildung als Verwaltungsfachangestellter gemacht und dabei ich noch mal ganz andere Einblicke in die Kommunalpolitik bekommen. 2021 habe ich dann für den Gemeinderat kandidiert und schließlich das Amt des Ortsbürgermeisters übernommen. Damit bin ich aktuell wohl Deutschlands jüngster Bürgermeister, für 2.200 Leute zuständig und im Prinzip für alles Ansprechpartner - von Feuerwehr und Schützenverein bis zu Beschwerden von Leuten, deren Nachbarn die Hecke zu weit hat über den Zaun wachsen lassen. Natürlich erfahre ich auch Kritik. Wenn ich mich für einen Jugendplatz einsetze, passt das nicht jedem. Da kommen auch mal böse E-Mails.
Dickes Fell nötig
Vor Kurzem hat der NDR über mich berichtet. Darunter standen auch Kommentare wie "Der sieht aus wie 50, nicht wie 23!" Man muss schon einiges aushalten. Aber zum Glück habe ich in acht Jahren Parteiarbeit ein dickes Fell entwickelt.
Was mich freut: Wenn ich jetzt durch Riepe fahre, kommen die Leute auf mich zu, wollen mit mir über ihre Ideen sprechen. Viele freuen sich, dass jetzt ein junger Mensch im Amt ist und frischen Wind reinbringt. Vor Kurzem habe ich ein Online-Tool vorgeschlagen, um Vorschläge für Straßennamen im geplanten Neubaugebiet einzusammeln. Das kam sehr gut an: Familien haben diskutiert, der Enkel hat seiner Oma geholfen, ihren Vorschlag digital einzureichen. Mir ist wichtig, dass man nicht nur kritisiert, sondern versucht, gemeinsam zu Entscheidungen zu kommen."
Bastian Käsbauer: DGB-Jugend- Gewerkschafter
"Okay, das hört sich erst mal nicht verkehrt an, habe ich gedacht, als sich damals die Jugend- und Auszubildendenvertretung vorgestellt und das Konzept Gewerkschaft erklärt hat. Das war 2016, und ich hatte gerade meine Ausbildung zum Fertigungsmechaniker bei BMW angefangen. So bin ich selbst Mitglied geworden. Als Vertrauensperson, zu der mich meine Ausbildungsgruppe gewählt hat, habe ich mich viel mit anderen ausgetauscht und gesehen, was gut läuft und was schlecht.
Später wurde ich auch im Ortsjugendausschuss der IG Metall aktiv und kam zum DGB, der ja der Dachverband aller Gewerkschaften ist. Die DGB Jugend ist mehr als eine betriebliche Interessensvertretung. Wir haben politische Ziele und wir positionieren uns zu Fragen, die wir wichtig finden. Zum Beispiel die Vier-Tage-Woche. Dafür brennen an der Basis gerade viele junge Leute. In den Medien heißt es oft, dass die Jugend weniger Bock auf Arbeit hat. Aber das stimmt so nicht. Die Realität ist doch vielmehr, dass in Deutschland der Aufstieg durch Bildung oft schlecht funktioniert. Auch die Reallöhne stagnieren schon ziemlich lange. Die Karriere im Unternehmen hat so für viele Leute an Bedeutung verloren. Egal, wie sehr sie sich in ihrem Job anstrengen, sie wissen nicht, ob sie sich irgendwann ein Haus leisten können, oder ob ihre Rente sicher ist. Und das alles, während die Produktivität durch die Decke geht!
Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich nötig
Ich bin überzeugt: Wenn man die Leute an dem, was sie da erwirtschaften, teilhaben lassen will, dann braucht es eine Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich.
Meine Wahrnehmung ist, dass viele junge Leute zwar Problemlagen erkennen und ein krasses Ungerechtigkeitsgefühl haben. Aber sie resignieren schnell, sie denken, es verändert sich eh nichts. Am 1. Mai haben wir in unserer Jugendrede auf der Demo versucht, klarzumachen, dass das eine selbsterfüllende Prophezeiung ist: Wenn alle den Kopf in den Sand stecken, verändert sich natürlich wirklich nichts. Es braucht schon Leute, die Handlungsspielräume wahrnehmen und zu nutzen wissen."
Die Gespräche aufgezeichnet hat Julia Karnahl. Sie ist Redakteurin bei der Agentur jungvornweg.