Sozialpolitik der Ampel : Das Ende von Hartz IV
Die Koalition will den Mindestlohn auf zwölf Euro erhöhen. Das Bürgergeld soll zudem die Grundsicherung ablösen.
"Bürgergeld" hat die Ampel-Koalition eines ihrer sozialpolitischen Projekte getauft.
Die SPD nimmt in dieser Wahlperiode einen neuen Anlauf, um ihr Hartz IV-Trauma zu überwinden. Anstelle der bisherigen Grundsicherung soll ein Bürgergeld eingeführt werden, dass "die Würde des und der Einzelnen achten, zur gesellschaftlichen Teilhabe befähigen sowie digital und unkompliziert zugänglich sein soll". So heißt es im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP. Zwei Jahre lang soll das Bürgergeld Arbeitslosen ohne Anrechnung des Vermögens gewährt werden. Beratungen zwischen Arbeitssuchenden und Job-Centern sollen künftig auf Augenhöhe und auf Basis einer Vertrauensbeziehung stattfinden. Die gemeinsam vereinbarte Teilhabevereinbarung soll die Eingliederungsvereinbarung ersetzen, der Vermittlungsvorrang soll abgeschafft und die Zuverdienstmöglichkeiten sollen erweitert werden.
Bürgergeld soll Menschen besser befähigen, in Arbeit zu kommen
Für Kerstin Griese (SPD), Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesarbeitsministerium, wird das Bürgergeld einen Beitrag dazu leisten, "die Menschen besser zu befähigen, in Arbeit zu kommen". In Vertretung des sich in Corona-Quarantäne befindlichen Bundesarbeitsministers Hubertus Heil (SPD) stellte sie vergangenen Donnerstag die Grundlinien der Arbeits- und Sozialpolitik der Bundesregierung vor. "Mehr sozialen Fortschritt wagen" wolle die Regierung, sagte Griese. Ziel sei es, das Leben der Menschen in Deutschland "durch Respekt vor ihrer Leistung, durch höheres Einkommen und durch eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf" besser zu machen .
Ihre Parteikollegin Dagmar Schmidt (SPD) formulierte es so: Der Sozialstaat müsse in den Dienst derjenigen gestellt werden, die ihn brauchen, "um ihnen das Leben leichter zu machen". Künftig gelte: "Wer in der Grundsicherung ankommt, muss keine Angst haben, das zu verlieren, was er sich erarbeitet hat."
Mindestlohn soll auf 12 Euro erhöht werden
Staatssekretärin Griese forderte zugleich mehr Tempo beim Thema Fachkräftesicherung. Durch mehr Vereinbarkeit von Familie und Beruf soll der Weg für Frauen auf dem Arbeitsmarkt frei gemacht werden. Außerdem soll die qualifizierte Zuwanderung verbessert und die Weiterbildung gestärkt werden, sagte Griese. Die SPD-Politikerin ging auch auf den geplanten Mindestlohn in Höhe von zwölf Euro ein. Das sei ein Plus von 22 Prozent und damit "eine der größten Lohnerhöhungen in der Geschichte Deutschlands".
Gegen einen höheren Mindestlohn hat auch die Union nichts einzuwenden. Es gebe sehr gute Gründe dafür, sagte Hermann Gröhe (CDU). Ein "politischer" Mindestlohn sei aber der falsche Weg. Durch die Aushebelung von mehr als einhundert Tarifverträgen werde die Tarifpartnerschaft geschwächt, kritisierte er. Was das Bürgergeld angeht, so ist aus seiner Sicht eine damit verbundene bessere Verzahnung unterschiedlicher Hilfesysteme und die Stärkung der Vermittlung in den Arbeitsmarkt unterstützenswert. "Einen schrittweisen Weg in ein bedingungsloses Grundeinkommen lehnen wir aber entschieden ab", machte Gröhe deutlich.
Grüne monieren rückläufige Tarifbindung
Der langjährige Vorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, Frank Bsirske, betonte in seiner ersten Rede als Bundestagsabgeordneter der Grünen: "Der ökologische Umbau wird nicht gelingen, wenn das Soziale auf der Strecke bleibt." Es dürfe daher nicht zu einem weiteren Absinken des Rentenniveaus kommen. Auch dürfe man nicht länger wegschauen, "wie die Tarifbindung sinkt und Betriebsratswahlen behindert werden". Bsirske verlangte zudem, die Erhöhung des Mindestlohns umgehend in Angriff zu nehmen.
Johannes Vogel (FDP) verwies darauf, dass die Koalition die Renten stabilisieren wolle - auch durch "mehr Einwanderungspolitik" und die neue Aktienrente. Durchbrochen werde auch der Stillstand bei der Digitalisierung in der Arbeitswelt - durch Weiterbildung ebenso wie durch die Modernisierung der Regelungen zum Home-Office und "mehr Fairness für Selbstständige". Mit dem neuen Bürgergeld sieht Vogel mehr Chancengerechtigkeit verbunden. Änderungen bei den Zuverdienstregelungen in der Grundsicherung seien nötig, weil die jetzigen Regelungen "die Menschen in der Grundsicherung festhalten, anstatt ihnen eine trittfeste Leiter hinzustellen".
Linke spricht von Etikettenschwindel
Von einem Etikettenschwindel sprach indes Susanne Ferschl (Linke), wenn Hartz IV künftig Bürgergeld heißt, es aber keine Regelsatzerhöhung gibt. Positiv bewertete sie die geplante Erhöhung des Mindestlohns auf zwölf Euro, was von der Linksfraktion schon seit 2017 gefordert werde. "Mich würde es freuen, wenn das Projekt zeitnah umgesetzt würde", sagte sie.
Über "aktuelle Probleme" wollte Rene Springer (AfD) reden. Es gebe eine 5,3-prozentige Inflation, die Energiepreise gingen "durch die Decke" und steigende Dieselpreise ließen den Pendlern den Sprit ausgehen. Zudem seien die Nahrungsmittelpreise um sechs Prozent gestiegen, "und die Schlangen an den Tafeln werden immer länger". Gleichzeitig, so der AfD-Abgeordnete, fordere Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne), die Preise für Lebensmittel zu erhöhen. "Dieses Land wird von einer gesättigten Elite regiert, die sich vom Volk vollkommen abgekoppelt hat", befand Springer.