Aktuelle Stunde : Neue Strategien gegen Armut sind gefragt
Der Bundestag macht den Armutsbericht des Paritätischen Gesamtverbands zum Thema. Danach liegt die Armutsquote mit 16,6 Prozent auf einem traurigen Höchststand.
Noch bevor die Einmalzahlungen aus den Entlastungspaketen der Bundesregierung auf den Konten der Menschen landen, wird deren Nutzen diskutiert und teilweise infrage gestellt. Dass sie nicht ausreichen werden, um die Folgen der Preissteigerungen abzufedern, ist nicht nur die Meinung von Sozialverbänden. Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier plädierte in einem Interview vor einer Woche für weitere Erleichterungen für Geringverdiener.
Einen Tag später trommelte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) Gewerkschaften und Arbeitgeber zu einem ersten Treffen der Konzertierten Aktion zusammen. Hintergrund ist die Sorge vor einer Lohn-Preis-Spirale: Gewerkschaften verlangen zum Ausgleich für gestiegene Preise höhere Löhne, was die Kosten der Unternehmen erhöht, die dann wiederum versuchen könnten, die höheren Kosten auf die Preise umzuwälzen. Einmalzahlungen anstelle kräftiger Tariferhöhungen könnten den Effekt dämpfen. Aber noch ist offen, zu welchem Ergebnis die Konzertierte Aktion kommen wird.
13,8 Millionen Menschen müssen derzeit zu den Armen gerechnet werden
Am Freitag debattierte der Bundestag auf Verlangen der Fraktion Die Linke über den aktuellen Armutsbericht des Paritätischen Gesamtverbands. Dabei ging es freilich nicht nur um den Bericht, sondern um seine Einordnung in den aktuellen Kontext und um die Frage, wie vor allem Menschen mit geringem Einkommen in Zeiten der Inflation unterstützt werden können. Somit endete die sozialpolitische Woche in Berlin mit einer Frage, mit der sie auch begonnen hatte.
Laut Paritätischem Armutsbericht 2022 hat die Armut in Deutschland mit einer Armutsquote von 16,6 Prozent einen traurigen Höchststand erreicht. 13,8 Millionen Menschen müssen demnach hierzulande derzeit zu den Armen gerechnet werden, 600.000 mehr als vor der Pandemie. Der Wohlfahrtsverband rechnet angesichts der Inflation mit einer Verschärfung der Lage und fordert von der Bundesregierung umgehend ein weiteres Entlastungspaket. Dies müsse bei den fürsorgerischen Maßnahmen ansetzen. Grundsicherung, Wohngeld und BAföG müssten bedarfsgerecht angehoben und deutlich ausgeweitet werden, um zielgerichtet Hilfe für einkommensarme Haushalte zu gewährleisten.
Scholz wird Unwissenheit vorgeworfen
Janine Wissler, Parteivorsitzende der Linken, warf dem Bundeskanzler vor, in der Regierungsbefragung am Mittwoch keine Antwort auf die Frage gewusst zu haben, ob der aktuelle Regelsatz in der Grundsicherung von 449 Euro reiche, um den monatlichen Bedarf eines Erwachsenen zu decken. Dies sei vielsagend, so Wissler.
Natalie Pawlik (SPD) nannte die Ergebnisse des Berichts "erschreckend". Die aktuellen Entlastungsmaßnahmen würden jetzt erst anfangen zu wirken, beseitigten Armut aber nicht strukturell. "Der Kampf gegen prekäre Beschäftigung bleibt das nachhaltigste Mittel gegen Armut."
Die bereits beschlossene Entlastungen auf einen Blick
⚡️ Energiepreispauschale: Alle Einkommensteuerpflichtigen erhalten einmalig 300 Euro.
👶 Kinderbonus: Pro Kind gibt es mit der Kindergeldzahlung im Juli einmalig 100 Euro als Zuschlag.
🔒 Grundsicherung: Bezieher von Sozialleistungen erhalten einmalig 200 Euro.
💼 Arbeitslosengeld: Beim Bezug von Arbeitslosengeld I wird einmalig 100 Euro gezahlt.
Ottilie Klein (CDU) sagte, Alleinerziehende und kinderreiche Familien, aber auch Rentner seien besonders von Armut betroffen. Aber die Regierung tue für diese Gruppen viel zu wenig und verteile Geld stattdessen mit der Gießkanne. "Warum bekommen Staatssekretäre eine Energiepauschale von 300 Euro", fragte sie.
Grüne: Umfassende Strategie nötig
Stephanie Aeffner (Grüne) forderte: "Wir müssen jetzt handeln. Wir haben ein Armutsproblem und das nicht erst seit der Pandemie und dem Ukraine-Krieg." Nötig sei eine umfassende Strategie, die die Höhe Sozialleistungen, aber auch die Wohnungs- und Mietenpolitik und den öffentlichen Nahverkehr in den Blick nehme.
Gerrit Huy (AfD) stellte fest, es gehe nicht erst seit gestern, sondern seit 15 Jahren bergab, seitdem sich die Merkel-Regierungen entschlossen hätten, sich lieber mit der "Weltenrettung" als den heimischen Problemen zu befassen. Sie verwies auf die Altersarmut und forderte eine Rentenreform, die sich nicht mit Haltelinien begnüge.
Jens Teutrine (FDP) verteidigte die Entlastungspakete der Bundesregierung. Damit bekomme eine vierköpfige Familie im Grundsicherungsbezug insgesamt 600 Euro mehr Geld in diesem Monat. Für einige sei das vielleicht nicht erwähnenswert, aber für diese Menschen mache es einen Unterschied, sagte er. Außerdem appellierte er, nicht, wie in dem Bericht, nur von relativer Armut zu reden, sondern weitere Indikatoren wie Bildungschancen mit einzubeziehen. "Das Aufstiegsversprechen ist der wichtigste Indikator zur Armutsbekämpfung", so Teutrine.