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Größter Einzeletat : Streit über Haushalt für Arbeit und Soziales

Mit einem starken Sozialstaat will die Regierung Spaltungstendenzen bekämpfen. Von der Opposition kommt Kritik an der Umsetzung des Vorhabens.

12.09.2022
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4 Min
Foto: picture-alliance/dpa/Christophe Gateau

Papierfabrik in Brandenburg. Geraten Betriebe in Schieflage, soll wieder Kurzarbeitergeld helfen.

Auch über dieser Haushaltsdebatte schwebte unsichtbar ein ungebetener Gast: der russische Präsident Wladimir Putin. Während der Bundesarbeitsminister tapfer betonte, Putins Kalkül werde nicht aufgehen, die AfD ein Ende der Sanktionen gegen Russland forderte, probierten es andere Abgeordnete mit einem optimistischen Blick auf kommende Reformen, zum Beispiel auf das Bürgergeld, das kommen würde, ganz unabhängig vom Agieren des Präsidenten in Moskau. Die Diskussion über den Haushaltsentwurf 2023 des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) am vergangenen Donnerstag verlor sich auf diese Weise nicht in einzelnen Etatansätzen, sondern hatte das große Ganze im Blick. Der Sozialstaat zückt sein Schwert gegen die Bedrohung von außen. So, natürlich staatstragender, drückte sich nicht nur der Minister sinngemäß aus.

So betonte Hubertus Heil (SPD): "Die Ursache für die Probleme ist, dass Energie als Waffe eingesetzt wird, um den sozialen Frieden zu untergraben. Putin wird unsere Gesellschaft nicht spalten." Jetzt komme es darauf an, Arbeitsplätze zu sichern. Deshalb "werden wir den vereinfachten Zugang zum Kurzarbeitergeld weiter verlängern und den Bundestag bitten, uns alle Handlungsoptionen für eine wirtschaftliche Eskalation im Bereich der Kurzarbeit zu geben", kündigte er an. Äußere Sicherheit und innerer sozialer Friede seien zwei Seiten einer Medaille, sagte Heil und erklärte mit Blick auf die Fachkräftesicherung: "Wir brauchen nicht nur Krisenmanagement, sondern auch Fortschritt und langfristige Lösungen."

Union wünscht sich gezieltere Hilfen

Hermann Gröhe (CDU) konnte sowohl den angekündigten kurzfristigen als auch den langfristigen Lösungen nicht viel abgewinnen. Er stellte klar, seine Fraktion hätte sich eine gezieltere Einmalzahlung in den Entlastungspaketen gewünscht: "Mehr Geld für die, die bis weit in die Mitte unserer Gesellschaft hinein jeden Cent umdrehen müssen, keine Unterstützung für die, die sie nicht brauchen." Er bezeichnete außerdem das geplante Bürgergeld als absurdes "Einknicken vor Mitwirkungsverweigerern" und warnte, es dürfe nicht zu einem bedingungslosen Grundeinkommen mutieren.

Markus Kurth (Bündnis 90/Die Grünen) kritisierte wiederum die Art der Kritik aus der Union am Bürgergeld. Dieser läge ein zweifelhaftes Menschenbild zugrunde, sagte er. Die Regierung habe keinesfalls vor, ein bedingungsloses Grundeinkommen einzuführen und Sanktionen abzuschaffen, wie es die Union stets behaupte. "Wir haben eine sechsmonatige Vertrauenszeit vereinbart. Es geht darum, zunächst mal auf der Basis von Vertrauen eine Arbeitsbeziehung zwischen Jobcenter, Fallmanagern und Hilfebedürftigen zu beginnen."


„Wer als Alleinerziehende zwei Kinder zu versorgen hat, wird nicht einmal zur Hälfte entlastet.“
Gesine Lötzsch (Die Linke)

Kathrin Michel (SPD) fügte dem hinzu, es handele sich nicht nur um eine Namensänderung oder Regelsatzerhöhung. "Die Reform bedeutet die Entfristung des sozialen Arbeitsmarktes, mehr gezielte Weiterbildung und vor allen Dingen individualisierte Betreuung auf Augenhöhe."

Claudia Raffelhüschen (FDP) verteidigte den Haushaltsplan. So würden im Gesamtbudget für die Grundsicherung im kommenden Jahr zwar weniger Mittel zur Verfügung stehen als 2022. "Wir nutzen die vorhandenen Mittel aber effizienter." Im Vergleich zum Vor-Corona-Niveau von 2019 stünden Leistungsberechtigten pro Kopf sogar rund 170 Euro mehr zur Verfügung, rechnete sie vor.

AfD und Die Linke kritisieren Entlastungspaket

Jürgen Pohl (AfD) kritisierte den Etat dagegen als "Haushalt der Ideologen, Träumer und Kostgänger" und diagnostizierte eine "skandalöse Realitätsverweigerung". So seien Rentner nach wie vor vergessen, denn die "jämmerlichen 300 Euro" im Entlastungspaket würden niemals reichen, um die Preissteigerungen auszugleichen. "Die untersten 40 Prozent auf der Einkommensskala haben keine Rücklagen und werden für die verkorkste Energie- und Sanktionspolitik zur Kasse gebeten", sagte Pohl.

Gesine Lötzsch (Die Linke) charakterisierte das Entlastungspaket als "Tropfen auf den heißen Stein. Durch die galoppierende Inflation wird es aufgesogen. Wer als Alleinerziehende zwei Kinder zu versorgen hat, wird nicht einmal zur Hälfte entlastet. Wer soll eigentlich Ihrer Meinung nach die andere Hälfte bezahlen?" Sie forderte, dass Haushalte mit niedrigen und mittleren Einkommen ein Jahr lang monatlich 125 Euro plus 50 Euro für jedes Familienmitglied erhalten.

Haushalt für Arbeit und Soziales soll steigen

Nach einem leichten Rückgang in diesem Jahr soll der Haushalt des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales im kommenden Jahr um rund zwei Milliarden Euro steigen und damit der ausgabenstärkste Etat des Bundeshaushalts bleiben. Laut Haushaltsentwurf 2023 kann das BMAS im nächsten Jahr 163,33 Milliarden Euro (2022: 161,1 Milliarden Euro) ausgeben.

Die größten und deutlich gestiegenen Ausgabenposten sind Kosten für die Rentenversicherung und die Zuschüsse des Bundes für die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung: Dafür sieht der Entwurf insgesamt 121,28 Milliarden Euro (2022: 116,79 Milliarden Euro) vor.

Ebenfalls ein Schwergewicht im Haushalt sind die Kosten für arbeitsmarktpolitische Leistungen und Programme: Dafür plant der Bund, einschließlich der Mittel für die Bundesagentur für Arbeit, 40,96 Milliarden Euro ein und damit deutlich weniger als 2022 (42,35 Milliarden Euro).

40,59 Milliarden Euro (2022: 40,81 Milliarden Euro) entfallen auf die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende. Dazu gehören wiederum Leistungen in Höhe von 21,33 Milliarden Euro (2022: 21,09 Milliarden Euro) für das Arbeitslosengeld II. Für die Beteiligung des Bundes an den Leistungen für Unterkunft und Heizung sind zehn Milliarden Euro eingeplant (2022: 9,8 Milliarden Euro). Die Leistungen für Eingliederung in Arbeit sollen sich auf 4,2 Milliarden Euro belaufen (2022: 4,81 Milliarden Euro).