Personalgewinnung bei der Bundeswehr : "Wir brauchen hoch spezialisiertes Personal"
Bis 2025 sollen die Streitkräfte 203.000 Soldaten umfassen. Zum Erreichen dieses Ziels fehlenden jedoch noch rund 20.000.
Kaum hatte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine eine deutliche Anhebung der deutschen Verteidigungsausgaben angekündigt, da wurden auch schon wieder Forderungen nach einer Reaktivierung der 2011 ausgesetzten Wehrpflicht laut. Doch im Bundesverteidigungsministerium und bei der Bundeswehr selbst winkte man ab. "Wir brauchen gut ausgebildetes, in Teilen sogar hoch spezialisiertes Personal, um das gesamte Aufgabenspektrum abzudecken", befand Generalinspekteur Eberhard Zorn. Zudem verfügten die Streitkräfte derzeit weder über die zur Ausbildung von Wehrpflichtigen erforderliche Infrastruktur noch das notwendige Personal.
Qualifikation für den Dienstposten
Fakt ist, dass die Bundeswehr sich seit Aussetzung der Wehrpflicht gewaltig strecken muss, um ihren Bedarf an geeignetem Personal zu decken. Zumal 2016 die damalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) mit der ausgerufenen "Trendwende Personal" die Vorgabe machte, die Truppe solle bis 2025 auf 203.000 Soldaten anwachsen.
Ein angehender Pilot der Luftwaffe der Bundeswehr trainiert an einem Flugsimulator.
Aktuell (Stand: Januar 2022) dienen in der Bundeswehr 183.758 Soldatinnen und Soldaten: 55.434 Berufssoldaten, 119.187 Zeitsoldaten und 9.137 Freiwillig Wehrdienstleistende. In der Tat gelang es der Bundeswehr auch, die Zahl ihrer Zeit- und Berufssoldaten seit 2016 bis 2019 um rund 9.000 auf 175.300 zu erhöhen. Aktuell sind es wieder etwa 1.000 weniger. Die nackten Zahlen spiegeln zudem nicht zwangsläufig die Realitäten in der Truppe ab. Denn die zur Verfügung stehenden Soldaten müssen auch auf den richtigen Dienstposten sitzen, sprich über die benötigte Qualifikation verfügen. Ein Panzergrenadier ist eben kein Kampfpilot.
Digitalisierung der Personalgewinnung kommt gut an
Eine Sprecherin des Verteidigungsministeriums versichert auf Anfrage, dass die Bundeswehr nach wie vor als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen werde. Trotz wachsender Konkurrenz am Arbeitsmarkt und pandemiebedingter Einschränkungen in der Personalgewinnung sei der Personalkörper im Vergleich zum Vorjahr nahezu stabil geblieben. Aber von einem Aufwuchs kann eben auch keine Rede sein.
Im Jahr 2021 gingen rund 36.000 Bewerbungen für eine Laufbahn als Soldat auf Zeit (SaZ) bei der Bundeswehr ein, so viele wie im Vorjahr. Im "Vor-Pandemie-Jahr" 2019 waren es allerdings rund 42.000 Bewerbungen. "Bei der Anwerbung für den Freiwilligen Wehrdienst (FWD) verzeichneten wir 2021 mit 13.200 ein Plus", erläutert die Ministeriumssprecherin. Mit insgesamt rund 16.600 Einstellungen bei Zeitsoldaten und Freiwillig Wehrdienstleistenden im Jahr 2021 habe man das Vorjahresniveau nahezu halten können. Dank fokussierter Personalgewinnungsmaßnahmen, hybrider Ansprechmöglichkeiten und digitaler Kommunikationsangebote sei es gelungen, den Personalbedarf beispielsweise bei der Luftwaffe 2021 gegenüber 2020 deutlich erfolgreicher zu decken. Bei der Marine hingegen bleibe die Personalbedarfsdeckung herausfordernd und stehe daher im besonderen Fokus der zuständigen Fachleute. Im Bereich Cyber/IT hätte trotz der coronabedingten Einschränkungen 2021 erneut eine über alle militärischen Laufbahnen hinweg gute Personalbedarfsdeckung erreicht werden können. Die Digitalisierung in der Personalgewinnung käme gerade bei dieser Zielgruppe sehr gut an.
Wehrbeauftragte Högl: Erhebliche Anstrengungen in der Personalgewinnung nötig
Die Wehrbeauftragte des Bundestages, Eva Högl, mahnt in ihrem aktuellen "Jahresbericht 2021" mit deutlichen Worten: "Sollte die Bestandsaufnahme der neuen Bundesregierung die bisher geplante Personalstärke von 203.000 Soldatinnen und Soldaten bestätigen, muss die Bundeswehr nicht nur weiterhin erhebliche Anstrengungen im Bereich der Personalgewinnung und -bindung unternehmen. Der Haushaltsgesetzgeber müsste nach Bewertung des Verteidigungsministeriums auch den Planstellenumfang der Streitkräfte um rund 8.800 zusätzliche Planstellen erhöhen."
Ein unübersehbares Problem ist wie schon in Vorjahren die stagnierende Zahl von unbesetzten Dienstposten. Ende 2020 waren oberhalb der Laufbahnen der Mannschaften rund 20.400 militärische Dienstposten vakant. Das sind 17,5 Prozent. Zum Teil erklärt sich die Quote mit der Anzahl von Soldaten, die sich außerhalb ihrer Dienstposten in Ausbildung befinden. Bereits in ihrem "Jahresbericht 2020" warnte Högl, die Streitkräfte liefen Gefahr, "dass personelle Einsatzbereitschaft und Auftragserfüllung leiden, wenn fast jede fünfte Kraft fehlt". Irgendwie müssten die Aufgaben dann doch vom vorhandenen Personal bewältigt werden, was aber auf Dauer nicht akzeptabel sei.
Anhaltender Mangel bei fliegerischem Personal
Was dies im Alltag für die Truppe bedeutet, zeigt der Jahresbericht der Wehrbeauftragten für 2020. So waren im Heer beim luftfahrzeugtechnischen Personal die Dienstposten für Offiziere nur zu rund 60 Prozent besetzt. Es fehlen 40 von 103 Offizieren. Bei den Spezialpionieren fehlten 151 von 348 besetzbaren Positionen, nahezu 50 Prozent. Beim ABC-Abwehrkommando sah es nicht besser aus. In der Marine verbesserte sich die Quote der besetzten Dienstposten bei den sogenannten Avionikern - den Elektronikern für die Betriebstechnik - nur leicht von 63 auf 70 Prozent. Bei den Minentaucherbootsleuten lag die Quote bei 60 Prozent.
Ein anhaltender Mangelbereich ist seit Jahren zudem das fliegerische Personal bei der Luftwaffe, aber auch bei den Heeres- und Marinefliegern. Zur Illustration sprechen zwei Beispiele aus dem Bereich der Luftwaffe für sich: Von 220 Dienstposten für Jetpiloten waren 2020 nur 106, also weniger als die Hälfte, besetzt. Nur wenig besser sieht es bei den Hubschrauberführern aus. Der Besetzungsgrad erreicht mit 44 von 84 Dienstposten nur 52 Prozent. Im vergangenen Jahr verbesserte sich die Lage nach Angaben der Wehrbeauftragten zwar bei der Luftwaffe leicht, dafür sank die Quote bei den Hubschrauberpiloten der Marineflieger auf 56 Prozent.
Die Bundeswehr weiß um dieses Problem und bemüht sich um Lösungen. Die Luftwaffe will mit einem sieben Punkte umfassenden Maßnahmenpaket die Situation verbessern. Hierzu zählen unter anderem eine verbindliche und dialogische Personalführung, die Festlegung individueller Dienstzeitenden, aber auch die Erhöhung der Stellenzulage im aktiven fliegerischen Dienst um 40 Prozent seit dem Inkrafttreten des Besoldungsstrukturenmodernisierungsgesetzes zum 1. Januar 2020.
Mehr geeignete Bewerber als Stellen bei Sanitätsversorgung
Ein Einsatzbereich der Bundeswehr gilt im internationalen Vergleich als sehr leistungsfähig: die Sanitätsversorgung. Sie umfasste Ende vergangenen Jahres 20.000 Soldatinnen und Soldaten. Wobei der Frauenanteil 42 Prozent ausmacht. Die Attraktivität der Laufbahnen führe noch immer dazu, dass es mehr geeignete Bewerber gebe, als eingestellt werden können, sagt Stabsfeldwebel Claudia Skopnick im Kommando Sanitätsdienst in Koblenz. Der Inspekteur des Sanitätsdienstes, Generaloberstabsarzt Ulrich Baumgärtner gibt zu bedenken, dass der Sanitätsbereich für seine spezifischen Aufgaben nur sehr begrenzt auf ziviles Fachpersonal zurückgreifen könne: "Unsere grundlegenden Fähigkeiten müssen primär durch militärische Kräfte und Mittel hinterlegt sein." Und dies ist nicht immer gewährleistet. So fehlten 2020 zwölf der 28 vorgesehenen Neurochirurgen und in der Rettungs- und Notfallmedizin 121 von 499 Sanitätsoffizieren.