Verfassung der DDR : Die Handschrift der SED
Die Verfassung der DDR von 1949 markiert die Teilung Deutschlands. Doch erst 1968 wurde sie ausdrücklich sozialistisch.
Leonid Breschnew, Walter Ulbricht und Erich Honecker auf dem SED-Parteitag 1967
"Es muss demokratisch aussehen, doch wir müssen alles in der Hand haben." Diese Devise hatte Walter Ulbricht bereits 1945 ausgegebenen, und sie galt auch für den Verfassungsprozess Ost-Deutschlands. So ist es nicht verwunderlich, dass die sowjetische Militäradministration schon im Juli 1946 die Führung der SED mit einem Verfassungsentwurf - zunächst für Gesamtdeutschland - beauftragt hatte. Ein solches Papier entstand dann durch die SED-Vorsitzenden Wilhelm Pieck und Otto Grotewohl, die SED-Zentralsekretariatsmitglieder Walter Ulbricht und Max Fechner sowie den Juristen Karl Polak.
Während das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland von einem auf parlamentarischer Basis zustande gekommenen Parlamentarischen Rat ausgearbeitet, beschlossen und von den Landtagen der Bundesländer verabschiedet wurde, ging der Verfassungsentwurf Ost von 1946 durch mehrere Volkskongresse.
"Deren Delegierte wurden nicht demokratisch gewählt, sondern von Betriebsversammlungen und öffentlichen Konferenzen bestimmt. Ihre Zusammensetzung garantierte, dass die SED sich durchsetzen konnte", sagt Professor Hermann Wentker, Historiker und Leiter der Abteilung Berlin am Institut für Zeitgeschichte.
Der Erste Volkskongress wurde im Dezember 1947 einberufen, er setzte einen "Ständigen Ausschuss" ein und lud auf Vorschlag der SED für März 1948 zum Zweiten Volkskongress. Die Versammlung wählte einen 400 Mitglieder zählenden Volksrat, ein Gremium, das zwischen den Volkskongressen zusammenkommen und beraten sollte. Auch im Volksrat hatte die SED eine Mehrheit.
Bezüge zu Weimar aber keine Gewaltenteilung
Der Volksrat setzte einen Verfassungsausschuss zum Entwurf einer Verfassung ein, das Gremium tagte unter Vorsitz von Otto Grotewohl von März bis Oktober 1948. Dem Ausschuss diente der Entwurf von 1946 als Grundlage. Ende Oktober 1948 stimmte der Deutsche Volksrat für den Entwurf des Ausschusses. Das Papier wies zwar Bezüge zur Verfassung der Weimarer Republik auf, beinhaltete jedoch keine Gewaltenteilung, aber absolute Volkssouveränität. Der Entwurf sollte auch die Arbeit des Parlamentarischen Rates am Grundgesetz beeinflussen.
Wenige Tage später gaben auch die Vertreter der Sowjetunion grünes Licht für den Entwurf, und eine an die Öffentlichkeit gerichtete Kampagne startete. Die Bürger waren aufgerufen, über das Verfassungsmodell zu diskutieren und "Eingaben" zu machen. Mit Erfolg: Innerhalb weniger Wochen kamen rund 15.000 Änderungsvorschläge aus der Bevölkerung. Die SED-Führung ließ die Kampagne im Februar 1949 abbrechen, ein Unterausschuss des Volksrates wurde damit beauftragt, die Einsendungen zu prüfen und den Verfassungsentwurf zu überarbeiten. Das verlief in aller Eile, denn bereits am 19. März 1949 nahm der Volksrat den vom Verfassungsausschuss überarbeiteten Verfassungsentwurf einstimmig an.
Wieder vergingen nur wenige Wochen, und bereits Mitte Mai 1949 setzte der Dritte Volkskongress, der nach einer Einheitslistenwahl gewählt wurde, einen neuen Volksrat ein, der den im März 1949 verabschiedeten Verfassungsentwurf Ende Mai 1949 endgültig bestätigte. Doch bis der Staat DDR aus der Taufe gehoben wurde, vergingen noch mehr als vier Monate. Die Führung in der Sowjetunion hatte die Wahlen in den Westzonen und die Gründung der BRD Mitte September 1949 noch abgewartet. Danach kam der Volksrat zusammen, konstituierte sich als Provisorium der Volkskammer und rief am 7. Oktober 1949 in dem geschichtsträchtigen Gebäude in der Wilhelmsstraße, dem früheren Reichsluftfahrtministerium und heutigen Bundesfinanzministerium, die DDR aus. "Der Grundstein ist gelegt", schrieb einen Tag später die SED-Zeitung "Neues Deutschland". Eine Verfassung für Gesamtdeutschland war damit vom Tisch.
Der Weg zur sozialistischen Verfassung
Auf dem VII. Parteitag der SED im April 1967 gab Generalsekretär Walter Ulbricht im Beisein des sowjetischen Staatschef Leonid Breschnew die Anweisung, eine "sozialistische" Verfassung zu entwerfen. Daraufhin wurde im Zentralkomitee der Partei eine Gruppe zusammengestellt, die im Februar 1968 eine neue Verfassung vorlegte. Das 108 Artikel umfassende Dokument erhielt die ausdrückliche Bezeichnung "sozialistisch", der Führungsanspruch der SED fand sich gleich im ersten Artikel. Danach kam es zu einer "Volksaussprache". In Medienkampagne wurde dazu aufgefordert, mit "Ja" zu stimmen. Am Tag des Volksentscheids, dem 6. April 1968, bekam der Verfassungsentwurf anstatt der üblichen 99 Prozent nur 94,5 Prozent der Stimmen. Die Bürger nutzten die Möglichkeit, mit "Nein" zu stimmen. Die Abstimmung über die Verfassung war der einzige Volksentscheid in der DDR. Drei Tage später trat die Verfassung in Kraft.
Walter Ulbrichts Nachfolger Erich Honecker ließ 1974 weitere Verfassungsänderungen vornehmen. Durch die Volkskammer wurde das Ziel der Vereinigung beider deutscher Staaten aufgegeben, stattdessen war die DDR nun "untrennbarer Bestandteil der sozialistischen Staatengemeinschaft" und "für immer und unwiderruflich mit der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken verbündet". Diese sehr weitreichende Festlegung "hat es in keiner anderen Verfassung eines sozialistischen Staates gegeben", sagt Historiker Wentker. Grund dafür sei die Entspannungspolitik der BRD gewesen. die SED-Führung befürchtete durch Lockerungen wie die Reisefreiheit könnte bei den Bürgern der Gedanke der deutschen Einheit wieder aufleben.
Durch den Amtsantritt Michail Gorbatschows als Generalsekretär der KPdSU kam es ab 1985 zu den wohl massivsten Veränderungen im Verhältnis der UdSSR und der DDR. Im Zuge großer Flüchtlingsbewegungen ab dem Sommer 1989, friedlicher Massenproteste im Herbst und dem Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989 erfuhr die DDR-Verfassung eine grundlegende Veränderung. Am 1. Dezember 1989 stimmte die Volkskammer für die Streichung der Führungsrolle der SED.
Danach bildeten Vertreter des Runden Tisches, an dem auch oppositionelle Gruppen, Parteien und Kirchen vertreten waren, eine Arbeitsgruppe für eine neue DDR-Verfassung. Doch die politischen Entwicklungen gingen über das Projekt hinweg. Als der Entwurf im April 1990 vorlag, hatten die ersten freien Wahlen in der DDR vom 18. März 1990 mit dem Sieg der CDU ein Ergebnis gebracht, das für die Vereinigung Deutschlands stand. Die Volkskammer stimmte nie über den Verfassungsentwurf des Runden Tisches ab. Stattdessen votierte sie am 17. Juni 1990 für eine Verfassungsänderung, wonach die DDR kein sozialistischer Staat mehr war.
In einer legendären Sitzung stimmte die Volkskammer am frühen Morgen des 24. August 1990 für den Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes gemäß Artikel 23 mit Wirkung zum 3. Oktober 1990. PDS-Chef, Gregor Gysi kommentierte das Ergebnis damals mit den Worten: "Das Parlament hat soeben nicht mehr und nicht weniger als den Untergang der DDR beschlossen."