Isaac Herzog besucht Deutschland : "Die Zukunft gehört uns"
Israels Staatspräsident Herzog sendet im Bundestag klare Botschaften an Deutschland. Die Staatengemeinschaft ruft er zur Härte gegenüber dem Regime im Iran auf.
So ungewöhnlich hat eine Bundestagssitzung selten angefangen. Israels Staatspräsident Isaac Herzog, auf seinem ersten Staatsbesuch in Deutschland eingeladen, eine Rede vor dem deutschen Parlament zu halten, beginnt diese mit einem Gebet. Er setzt sich eine schwarze Kippa auf und bittet die Anwesenden auf Hebräisch, sich zu erheben. Mit gesenkten Köpfen und vor dem Schoß gefalteten Händen stehen sie da, während Herzog in die Stille des Plenarsaals hinein das Jiskor-Gebet spricht, mit dem das jüdische Volk sich an seine verstorbenen Angehörigen erinnert; der Präsident widmet es an diesem Tag den sechs Millionen unter nationalsozialistischer Herrschaft ermordeten Jüdinnen und Juden. "Gedenke Gott der Seelen unserer Brüder und Schwestern des jüdischen Volkes, der Opfer der Shoah und ihrer Helden", sagt er mit klarer Stimme. "Mögen sie in Frieden ruhen. Amen."
Schwerer Gang für Herzog
Es ist nicht der erste besondere Moment an diesem Dienstag im Bundestag. Schon bei Herzogs Ankunft im Plenarsaal hatten alle Fraktionen den Gast lange mit stehendem Applaus begrüßt. Auch wenn vor ihm schon vier israelische Staatspräsidenten im Bundestag gesprochen haben, und erst im Januar diesen Jahres der Präsident der israelischen Knesset, Mickey Levy, hier eine Rede zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus hielt, wird spürbar, wie wenig diese Termine noch immer mit politischer Routine zu tun haben.
Dass ein Besuch in Deutschland auch für ihn, 77 Jahre nach Ende der Shoah und 57 Jahre nach Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen beiden Ländern, alles andere als gewöhnlich ist, machte der elfte Staatspräsident Israels in seiner emotionalen Ansprache deutlich. "Es ist nicht leicht", erklärte Herzog. "Wenn ich deutschen Boden betrete, kann ich der Erinnerung nicht entweichen." Deutschland habe seinem Volk über Tausende von Jahren "eine prächtige Heimstatt" gegeben, aber es sei auch der Ort, "an dem die größten Gräueltaten an ihm verübt wurden". Das Andenken daran zu bewahren, und zugleich Hass und Antisemitismus entschieden zu bekämpfen, sei "Verpflichtung und moralische Auflage", auch gegenüber künftigen Generationen, mahnte er wie zuvor schon Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD).
Dann zitiert er die Worte eines seiner Vorgänger - die seines Vaters Chaim Herzog, der 1987 als erstes israelisches Staatsoberhaupt überhaupt Deutschland besucht hatte: "Kein Vergeben bringe ich, kein Vergessen. Nur die Toten haben das Recht zu vergeben; die Lebenden haben kein Recht zu vergessen."
Herzog tritt auf dieser Reise oft in die Spuren seines Vaters. Etwa als er im Anschluss an seine Rede mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Gedenkstätte des Konzentrationslagers Bergen-Belsen besucht. Chaim Herzog hatte es 1945 als britischer Soldat mitbefreit, 1987 kehrte er dahin zurück, mit einem Gedenkstein, geschlagen aus Jerusalemer Felsen.
Herzog fordert Härte gegenüber Iran und Plänen zur Entwicklung von Kernwaffen
Auch an die Rede, die der Vater anlässlich seines Staatsempfangs am 6. April 1987 in Berlin hielt, knüpft Herzog an vielen Stellen an. Während Chaim Herzog damals allgemein von der historischen Verantwortung Deutschlands sprach, Israel beim "Überleben zu helfen und sich all dessen zu enthalten, was zur Stärkung unserer erklärten Feinde beitragen kann", adressiert Isaac Herzog direkt den Iran und ruft die Staatengemeinschaft zur Härte gegenüber dem Regime und dessen Plänen zur Entwicklung von Kernwaffen auf. "Wer die Shoah leugnet, wer die Daseinsberechtigung Israels bedroht, hat keinen Anspruch auf Verträge, die ihn nur bestärken", mahnt Herzog in Anspielung auf das Atomabkommen mit Teheran, das die USA, Frankreich, Großbritannien und Deutschland gerade wieder in Kraft zu setzen versuchen. Darüber hinaus fordert er die "palästinensischen Nachbarn" auf, "den Terror zu bekämpfen und ihn sofort einzustellen". Deren Terrororganisationen seien auch verantwortlich für die "abscheulichen Morde" an elf israelischen Sportlern während der Olympischen Spiele im Jahr 1972.
Zusammen mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (l.) besuchte Isaac Herzog (r.) die Gedenkstätte des KZ Bergen-Belsen. Den Gedenkstein hatte sein Vater bei seinem Staatsbesuch im Jahr 1987 mitgebracht.
Einen Tag zuvor hatte Herzog anlässlich des 50. Jahrestags des Attentats an einer Gedenkveranstaltung für die Opfer teilgenommen - nur wenige Tage, nachdem eine jahrzehntelange Auseinandersetzung zwischen der Bundesregierung und den Hinterbliebenen über Entschädigungszahlungen endlich beigelegt werden konnte. Dafür dankt Herzog Bundespräsident Steinmeier, Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und der bayrischen Landesregierung ausdrücklich. "Der Staat Israel ist stolz auf seine Partnerschaft mit Deutschland", betont er im Bundestag. Auch wenn man die Vergangenheit nicht überbrücken könne, "die Zukunft gehört uns".
Bas: Es ist gelungen, die Mauer des Schweigens abzutragen
Bundestagspräsidentin Bas spricht von einem "Geschenk" angesichts der Tatsache, dass Gespräche zwischen Deutschen und Israelis wieder möglich seien, über die Vergangenheit, aber auch "die gemeinsame hoffnungsvolle Zukunft". Auch sie erinnert an die Rede Chaim Herzogs, der vor 35 Jahren in Berlin von einer "unsichtbaren Mauer zwischen unseren beiden Völkern", gesprochen habe, "von einer Mauer, vor der wir nur schweigend stehen können". Doch, sagt Bas an Isaac Herzog gewandt, "so unglaublich es Ihrem Vater erschien - es ist uns gelungen, die Mauer des Schweigens abzutragen".
Zur Bekräftigung hatte Bas ihre Rede mit jenen Sätzen begonnen, die der israelische Außenminister Moshe Scharett vor 70 Jahren auf Bitte Deutschlands nicht gesprochen hat, als er - schweigend - das Luxemburger Abkommen zur Wiedergutmachung unterzeichnete: "Die Weltgeschichte kennt kein Beispiel für den Vernichtungsfeldzug, den das nationalsozialistische Deutschland gegen das jüdische Volk gerichtet hat. (...) Es ist keine Sühne denkbar für die Vernichtung des Lebens dieser Millionen Unschuldigen." Deutschland stelle sich heute seiner Verantwortung, versicherte Bas. "Es steht fest an der Seite Israels."
Zum Abschluss schenkt sie dem Gast ein Foto. Darauf zu sehen ist Isaac Herzogs Vater bei seinem Reichstagsbesuch im Jahr 1987. Auf der Schwarz-Weiß-Aufnahme steht Chaim Herzog zusammen mit seiner Frau und dem damaligen Berliner Oberbürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) auf dem Ost-Balkon des Gebäudes, Diepgen zeigt auf die Mauer, die grau und unerbittlich direkt vor ihnen die Stadt zerteilt. Doch der ernste Blick des Vaters ist in die Ferne gerichtet. Er habe den Führerbunker gesucht, in dem sich "das Drama der letzten Stunde des Dritten Reiches" seinem logischen Ende genähert habe, erklärte er später einem "Spiegel"-Reporter. "Ich konnte nicht anders."
Als sein Sohn fast vier Jahrzehnte später mit Bas von diesem Balkon auf die Stadt blickt, hat er ein Lächeln im Gesicht. Die Mauern sind lange weg.