Berlinale unter Corona : Unter 2G-Plus auf dem roten Teppich
Die Berlinale benötigt erneut höhere Zuschüsse des Bundes. Sorgen bereiten aber auch die Zukunft des Filmfestivals.
Isabelle Huppert, Isabelle Adjani, Juliette Binoche - Frankreichs Filmgöttinnen verzaubern ab dem 10. Februar Berlin. Die Namen von Regiemeistern wie Claire Denis, Francois Ozon und Paolo Taviani versprechen hochkarätige Kinokost. Das Programm der diesjährigen Berlinale hat einen frankophonen Touch, was bei der Zusammensetzung des Auswahlgremiums zu erwarten war. Nicolette Krebitz und Andreas Dresen setzen die deutschen Farbtupfer. Oscar-Preisträger Mark Rylance, Sigourney Weaver und Emma Thompson bringen einen Hauch Hollywood ins graue Berlin.
Sieben der 18 Wettbewerbsfilme wurden von Frauen inszeniert. Bei der Zusammenstellung hatte die Jury erneut die Qual der Wahl. 6.755 Titel wurden vorgeschlagen. "Im Auswahlprozess konnten wir feststellen, dass die Freiheit des Kinos - einschließlich der Möglichkeit, Filme auch im Lockdown zu drehen - nichts nützt, wenn die Freiheit des Denkens nicht gegeben ist," sagt Carlo Chatrian, künstlerischer Leiter der Berlinale. "Die Branche hat uns mit vielen Filmen konfrontiert, die die Geschehnisse im vergangenen Jahr auf eine Weise zeigen, als sei keine andere Entwicklung möglich gewesen." Die Spekulation, dass manch künstlerisches Highlight an der Berlinale vorbeiging, weil die Filmemacher eine Online-Edition fürchteten, weist die Berlinale vehement zurück.
In der Fachwelt wurde über diese Möglichkeit spekuliert, nachdem Festivals wie Rotterdam oder Sundance ins Netz gingen. Auch Chatrian und Geschäftsführerin Mariette Rissenbeek mussten Abstriche machen und zwischen Filmmarkt und Zuschauern wählen. Sie entschieden sich für die Bewahrung des Rufs als weltweit größtes Publikumsfestival und luden Presse und Filmemacher.
Der Filmmarkt als zweites Herzstück des Festivals geht online, obwohl die Flächen im Gropius-Bau und den Hotels bereits im Dezember ausgebucht waren. Nach der Absage von zwei Messen in Berlin ist dies ein nachvollziehbarer Schritt, der ebenso wie die Beschränkungen bei der Auslastung der Kinos Lücken in den Etat reißt.
Finanzierung benötigt
Vor 2001 finanzierte die öffentliche Hand mehr als 90 Prozent der Kosten der Berlinale. Jetzt fließt aus dem Bundeshaushalt rund ein Drittel des Etats von 27 Millionen Euro (2020). Der Rest muss mit dem Kartenverkauf, den Einnahmen aus Sponsoring und Marketingartikeln, Gebühren für Filmsichtungen und Akkreditierungen sowie dem Überschuss beim Filmmarkt erwirtschaftet werden.
In diesem Jahr sind für die Berlinale 10,3 Millionen Euro im Bundeshaushalt eingeplant. Um Einnahmeausfälle auszugleichen und Mehraufwendungen zu schultern, stellt die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien (BKM), Staatsministerin Claudia Roth (Grüne), einen "niedrigen zweistelligen Millionenzuschuss" in Aussicht. Dass die Kosten momentan noch nicht genau zu beziffern sind, ist nachvollziehbar. Doch solche Ankündigungen wecken Spekulationen zu explodierenden Ausgaben ohne Deckelung, an denen Berlinale und BKM nicht unschuldig sind. Sie verraten nicht, wie hoch die Zusatzförderung aus dem Programm "Neustart Kultur" im Vorjahr konkret war und bleiben seit Jahren Antworten zu Details der Kostenkalkulation schuldig.
Ein unverzichtbarer Posten sind die Ausgaben für das ausgeklügelte Sicherheitskonzept. Sonst könnte eine Großveranstaltung mit Tausenden Gästen in Corona-Zeiten zu einem Superspreader-Event werden. Die größte Gefahr lauert in den Fahrten im ÖPNV zu und zwischen den Festivalorten. Nun rächt sich, dass der Traum von einem Festival an einem Standort nach dem Verlust des Cinestar am Potsdamer Platz und der unendlichen Ausdehnung des Programms längst perdu ist.
Viele Kritiker des früheren Festival-Leiters Dieter Kosslick hofften, dass Chatrian die Berlinale entschlackt. Zwei Nebenreihen wurden eingespart, mit den Encounters kam ein neuer Wettbewerb hinzu. Gelungen ist ihm und seinem Team aber die Schärfung des Profils der Reihen.
Die Sorgen der Gegenwart überdecken das Bangen um die Zukunft. Mariette Rissenbeek verhandelt momentan die Verträge mit den Spielstätten bis 2025. Wie es danach mit dem Standort Potsdamer Platz weitergeht, steht in den Sternen. Die Mietverträge für den Filmhaus-Komplex mit Filmmuseum, dffb und Arsenal laufen aus. Die ehemalige Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) kündigte 2017 den Neubau eines Filmhauses an. Als bevorzugter Standort wurde der Parkplatz neben dem Gropius-Bau ausgemacht. Doch seit dem Ausscheiden Kosslicks als Berlinale-Leiter fehlt der Mahner. Aus dem BKM gibt es keine Antwort auf die Frage nach dem Planungsstand. Im März hieß es auf Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion, im Moment werde der Raumbedarf ermittelt. Bei den deutschen Planungszeiten verheißt dies nichts Gutes. Insgeheim hoffen wohl alle, dass die Verträge für das Filmhaus und den Berlinale-Palast verlängert werden können.