Berlinale 2024 startet : Die Goldenen Bären haben abgespeckt
Die Berlinale leidet wie viele Filmfestivals weltweit unter dem Rückgang des Engagements von Sponsoren und gestiegenen Kosten. Heute startet sie.
Der Berlinale-Bär wird an die Zoo-Palast-Fassade in Berlin angebracht. Die 74. Internationalen Filmfestspiele finden vom 15. bis zum 25. Februar statt.
Isabel Huppert wird endlich ihren Ehrenbären erhalten, Irène Jacob, auch Carrey Mulligan, Corinna Harfouch und Saoirse Ronan werden die Fotografen am Roten Teppich während der 74. Internationalen Filmfestspiele Berlin bezaubern. Für die Fans wird hoffentlich ein Selfie mit Adam Sandler, Cillian Murphy, Lars Eidinger, Joseph Hader oder Geoffrey Rush abfallen. Also Business as usual auf der Berlinale, die am Donnerstag in Anwesenheit von Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) und 1.800 geladenen Gästen im Berlinale Palast am Potsdamer Platz eröffnet wird.
Die Liste der großen Namen ist kürzer als in den Vorjahren und mau im Vergleich zur Konkurrenz auf den Festivals von Cannes oder Venedig. Auch unter den Regisseuren, die ihre neuen Werke präsentieren werden, sind nur wenige große Namen zu finden. Neben den Berlinale Stammgästen Andreas Dresen und Matthias Glasner, die in diesem Jahr die deutschen Fahnen im Wettbewerb vertreten, kommen Olivier Assayas, André Téchiné, Atom Egoyan und Martin Scorsese, der mit dem Ehrenbär für sein Lebenswerk ausgezeichnet wird, an die Spree.
Wettbewerb um die Goldenen Bären: 18 Filme treten an
18 Filme wetteifern um die Goldenen Bären, 15 Werke stellen sich den Juroren im Parallelwettbewerb Encounters. Viele Titel stammen aus den romanischsprachigen Ländern. Der asiatische Kontinent ist mit China, Japan und Südkorea, aber auch mit Nepal oder Vietnam gut vertreten. Viele Stimmen vom afrikanischen Kontinent haben die Chance, sich der Filmwelt zu zeigen. Die Entstehung von zwölf Filmen über alle Sektionen hinweg wurde vom World Cinema Fund der Kulturstiftung des Bundes gefördert.
Das Programm-Potpourri wird ergänzt von sechs Gala-Premieren und 13 Aufführungen innerhalb der Reihe Berlinale Special. Das Panorama-umfasst 36 Titel, das Internationale Forum des Jungen Films zeigt 36 Programme. Das Generation-Programm für die Heranwachsenden lockt mit 32 Kurz- und Langfilmen. Dazu kommen das Kurzfilmprogramm sowie die Retrospektive & Berlinale Classics mit restaurierten Filmschätzen.
Retrospektive entfällt wegen finanzieller Engpässe
Einige Zuschauer werden die Retrospektive Deutsches Kino als Leistungsschau des einheimischen Filmnachwuchses oder das Serienprogramm vermissen. Schon im Sommer hatten die Berlinale Leiter Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian in Absprache mit Claudia Roth entschieden, wegen finanzieller Engpässe auf die von Dieter Kosslick etablierten Reihen zu verzichten.
Trotz des verringerten Angebots hofft die Berlinale-Leitung, dass der Verkauf der Tickets stabil bleibt. 330.000 Ticktes wurden 2023 verkauft, das dürfte vier bis fünf Millionen Euro in die Kassen spülen. Das Gesamtbudget der Berlinale lag im Vorjahr bei 32,3 Millionen Euro, in diesem Jahr wird sie rund 33 Millionen Euro kosten.
Die Berlinale 2024 in Zahlen
💰 12,6 Millionen Euro hat der Bundestag für das Festival im Haushalt bewilligt.
➕ Das Land Berlin stockte seine 25.000 Euro aus den Vorjahren um zwei Millionen Euro auf. Außerdem bewilligte es eine Million Euro aus Lottomitteln.
📽️ Das Medienboard Berlin-Brandenburg gibt 353.500 Euro zweckgebunden für Berlinale-Talents, Filmmarkt und Berlinale goes Kiez dazu.
Knapp die Hälfte des Budgets kommt jetzt vom deutschen Steuerzahler. Unter Dieter Kosslick war es ein Drittel. Die Berlinale leidet wie viele Festivals weltweit unter dem Rückgang des Engagements von Sponsoren und gestiegenen Kosten. Deshalb hat sie in diesem Jahr die Akkreditierungsgebühren nochmals angehoben. 95 Euro zahlen Studenten, Filmschaffende bis 200 Euro, die berichterstattende Presse 70 Euro. Bei den Gebühren für die Filmkritik ist die Berlinale weltweit Spitzenreiter unter den A-Festivals. Dass die Erhöhung trotz vermindertem Angebot erfolgte, vergraulte etliche Stammbeobachter.
Für Carlo Chatrian und Mariette Rissenbeek ist es der letzte Jahrgang. Die kaufmännische Leiterin führte die Berlinale hervorragend durch die Corona-Jahrgänge 2021 und 2022 und ins digitale Zeitalter. Die langen Schlangen vor den Ticketschaltern sind durch das Online-Ticketing perdu. Sie schlug auch frühzeitig Alarm, als sich im Sommer 2023 ein großes Finanzierungsloch abzeichnete.
Roth schafft Doppelspitze der Berlinale ab
Rissenbeek kündigte ihren Rückzug frühzeitig an. Chatrian wollte bleiben. Bis ihn Claudia Roth wohl mit der Nachricht überraschte, die Doppelspitze abzuschaffen und wieder auf ein Intendantenmodell zu setzen. Chatrian, der kaum Ahnung von ökonomischen Belangen hat, gab seinen Rückzug bekannt. Der Umgang Roths mit dem Festivalleiter löste eine Solidaritätsaktion aus, der sich unter anderem Martin Scorsese, Christian Petzold und Radu Jude anschlossen.
Chatrian setzte kompromisslos auf die Zuspitzung des künstlerischen Profils des Festivals. Glanz und Glamour scheinen ihm fremd. So werden weder Dennis Villeneuves „Dune 2“ noch die neuen Filme von Joel Coen oder George Clooney in Berlin gezeigt. Chatrians Baby ist der Wettbewerb Encounters. Mit Spannung wird erwartet, ob ihm die neue Berlinale-Leiterin Tricia Tuttle eine weitere Chance gibt. Die Findungskommission überzeugte sie mit dem Versprechen, wieder verstärkt Hollywood-Stars in die deutsche Hauptstadt zu locken. Als Leiterin des London Film Festivals ist ihr dieser Coup gelungen – allerdings ist das Event ein Marketingtool der Highlights des Jahres. Viele Stars wohnen zudem vor der Haustür.
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Die steht im Fokus der Aufmerksamkeit der diesjährigen Berlinale. Das Festival will weiter als politisches Festival gelten.
Aus den USA bläst ihr ein heftiger Wind entgegen. Das Festival von Sundance Mitte Januar mauserte sich aus einem Treffen der amerikanischen Independent Filmszene zu einem wichtigen Marktplatz für Arthouse-Filme aus aller Welt. Und dann ist da noch der Oscar.
Jahrzehntelang profitierte die Berlinale vom Wunsch Hollywoods, wenige Tage vor der Bekanntgabe der Nominierungen ihre Stars ins Blitzlichtgewitter zu schicken. Mit der Verlegung der Preisvergabe vor einigen Jahren fiel dieser Bonus weg. Mittlerweile ist die Verleihung wieder Ende März. Aber die Nominierungen sind nicht zurück in den Februar gerückt. Für ihre Verschiebung sprechen Überlegungen, die Award-Season in den USA zeitlich zu straffen, die im November beginnt und im März endet. Andererseits lohnt sich jede Nominierung an der Kinokasse. In diesem Jahr legte der Ticketverkauf in den USA für die benannten Titel nach der Bekanntgabe der Auswahl um 60 Prozent zu. Dieses Geschäft werden sich die Studios kaum nehmen lassen.
Ärger um die Einladung von AfD-Abgeordneten
Ihre letzten Tage im Amt wurden überschattet vom Streit um die Einladung von Abgeordneten der AfD-Fraktion im Bundestag und Berliner Abgeordnetenhaus. Zunächst wurden sie von Mariette Rissenbeek als traditionelle Gepflogenheit verteidigt, Vertreter aller vertretenen Parteien in den Häusern einzuladen. Es sei nicht Sache des Festivals zu entscheiden, ob eine gewählte Partei demokratisch sei.
Die Festivalleitung ruderte auch nicht zurück, als sich der Forderung von 200 eher namenlosen Filmschaffenden nach Ausladung der AfD-Abgeordneten prominente Namen anschlossen. Sie reagierte erst, als die „Die Welt“ öffentlich machte, dass die filmische Adaption von Peter Weiss Theaterstück „Die Ermittlung“ über den ersten Frankfurter Auschwitzprozess nicht für das Programm akzeptiert worden war und dies in einen Zusammenhang gestellt wurde. So entstand bei vielen internationalen Beobachtern der Eindruck, dass eine künstlerische Entscheidung im Zusammenhang mit der Ausladung von Mandatsträgern steht.