Berauschender Selbstversuch : Wie ein Forscher zufällig LSD erfand
Der Autor Norman Ohler geht dem LSD nach - zwischen Wahrheitsdroge, Hippie-Trip und Alzheimer-Medikament.
Nazis und Drogen: Das zieht immer. Stimmt natürlich, einerseits, andererseits würde diese Erkenntnis dem neuen Buch von Norman Ohler "Der stärkste Stoff" nicht gerecht, denn der Autor hat sich wieder in abseitige Archive vergraben und interessantes Material geschürft.
Dem Autor ist 2015 mit seinem Buch "Der totale Rausch" über die Nutzung der Droge Pervitin (Methamphetamin) in Hitlers Blitzkrieg und über Aufputschmittel für den "Führer" selbst eine beachtliche Analyse gelungen. Nun sorgt Ohler mit einem neuen Drogenbuch für literarischen Nachschub. Auch diesmal spielen die Nazis und der Krieg eine Rolle, aber nicht nur das. Vielmehr analysiert der Autor am Beispiel der Droge LSD (Lysergsäurediethylamid), welche Zufälle zwischen der Entdeckung von Wirkstoffen und ihrer späteren Nutzung liegen können.
LSD: Die Lieblingsdroge der Hippie-Bewegung
LSD wurde 1943 von dem Schweizer Chemiker Albert Hofmann entdeckt, der damals wohl auch den ersten LSD-Rausch erlebte. LSD ist ein Wirkstoff, der aus dem Mutterkorn gewonnen wird, einem Pilz, der in Getreideähren zu finden ist. Eigentlich ist das Mutterkorn ein Schädling, der in der Landwirtschaft bekämpft wird, früher aber auch genutzt wurde, um Wehen einzuleiten sowie als blutstillendes Mittel bei Geburten. Auf der Suche nach interessanten Mutterkornalkaloiden synthetisierte Hofmann damals auch das Lysergsäurediethylamid und konnte bei Tierversuchen zunächst keine besondere Wirkung feststellen. Fünf Jahre später befasste sich Hofmann erneut mit LSD und entdeckte die halluzinogene Wirkung der Substanz im Selbstversuch.
So stark die psychotrope Wirkung ist, LSD macht nicht abhängig. Schon in geringen Dosierungen bewirkt LSD jedoch einen veränderten Bewusstseinszustand. Bei einem LSD-Trip sehen Menschen ihre Umwelt oft in phantastischen Formen und Farben, Raum- und Zeitempfinden sind stark verzerrt, die Droge bewirkt Ekstase und befördert die Kreativität, kann aber auch Angst auslösen und Horrortrips. Zeitweilig war es die Lieblingsdroge der Hippie-Bewegung. Ohler unterscheidet das LSD als Medikament, "Waffe" und Rauschmittel. Seine Spurensuche führt ihn zum früheren Hersteller Sandoz in die Schweiz und in die USA. Er beschreibt, wie erst die Nazis und nach dem Krieg die USA auf der Suche nach einer "Wahrheitsdroge" mit LSD experimentieren. Systemfeinde sollten zum Sprechen gebracht oder willenlos gemacht werden.
Beitrag zur Therapie von psychischen Erkrankungen
Schließlich widmet sich Ohler der medizinischen Forschung und der hochaktuellen Frage, was psychedelische Substanzen, darunter LSD und Psilocybin, bei der Therapie von psychischen Erkrankungen leisten könnten. Es geht ihm unter anderem um die Wirkung von LSD auf Patienten mit Alzheimer. Ohler spricht nachvollziehbar von einer Pandemie der Demenz und fragt sich, warum das verbotene LSD nicht gezielt eingesetzt wird in der Psychiatrie und bei neurodegenerativen Erkrankungen, da positive Wirkungen belegt seien.
Ohler bietet spannende Fakten und interessante Thesen in einem unterhaltsamen Buch. Als guter Erzähler verbindet er geschickt geschichtliche und aktuelle Fragestellungen und sorgt dafür, dass seine Leser sich nie langweilen.
Norman Ohler:
Der stärkste Stoff.
Psychedelische Drogen: Waffe, Rauschmittel, Medikament.
Kiepenheuer & Witsch,
Köln 2023;
272 Seiten, 24,00 €