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Buchrezension : Der erste Griff nach der Macht

Der "Welt"-Journalist Sven Felix Kellerhoff analysiert Ursachen, Verlauf und Scheitern des Hitler-Putsches vom 8./9. November 1923.

18.10.2023
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4 Min

Unter den Krisenjahren der Weimarer Republik hat sich wegen der Hyperinflation vor allem 1923 ins gemeinsame Gedächtnis der Deutschen eingeprägt. Die Inflation war infolge des von der Reichsregierung angestoßenen passiven Widerstands gegen die Besetzung des Ruhrgebiets durch französische und belgische Truppen massiv angeheizt worden. Den immensen Herausforderungen wurden die Kabinette, die sich auf instabile Parlamentsmehrheiten stützten und daher oftmals wechselten, kaum gerecht. In diesem Klima fühlten sich Parteien und Gruppen an den politischen Rändern, die Demokratie und Rechtsstaat hassten, dazu ermuntert, den Umsturz zu versuchen.

Foto: picture-alliance/Mary Evans Picture Library

Mitglieder des sogenannten "Stoßtrupp Hitler", der sich am gescheiterten Putschversuch am 8./9. November 1923 beteiligte.

Die moskauhörige KPD plante den Aufstand, ausgehend von Sachsen und Thüringen, wo sie an der Landesregierung beteiligt war. In Hamburg kam es sogar zum kurzzeitigen kommunistischen Aufstand. Im deutschnationalen und rechtsextremen Lager gab es ebenfalls Ideen, die Reichsregierung durch eine "Rechtsdiktatur" abzulösen und so die Zeit seit November 1918 in gewisser Weise zurückzudrehen. Nicht allein kleinere rechtsradikale Parteien wie Adolf Hitlers NSDAP sowie andere rechte Vereine und Kampfverbände verfolgten dieses Ziel.

Auch in der Reichswehr gab es entsprechende Pläne, an denen sich sogar Reichswehrchef Hans von Seeckt und der bayerische Reichswehrkommandeur Otto von Lossow beteiligten. Da selbst einige bayerische Landesminister und der durch die bayerische Regierung verfassungswidrig eingesetzte "Generalstaatskommissar" Gustav von Kahr in Teilen ähnlich Gedanken hegten, war Bayern ein idealer Ort für rechte Putschideen. Sie mündeten schließlich in dem von Hitler, Weltkriegsgeneral Erich Ludendorff und anderen angezettelten Putschversuch am 8./9. November 1923, der sich in diesem Jahr zum 100. Mal jährt.

Kellerhoff arbeitet mit bisher nicht genutzten Quellen

Der "Welt"-Journalist und Autor Sven Felix Kellerhoff ist in den letzten Jahren durch mehrere Bücher zum Nationalsozialismus hervorgetreten. In seinem neuen, sehr lesenswerten Buch hat er sich des "Hitler-Putsches" angenommen. Kellerhoff arbeitet die Geschehnisse vor, während und nach dem Putschversuch sorgfältig anhand teils bisher nicht genutzter Quellen heraus. Er zeigt dabei, welche weiteren begünstigenden Faktoren es in Bayern für den Umsturzversuch gab. Zu diesen zählt die in der Bevölkerung verbreitete Furcht vor einer von der KPD im Verborgenen tatsächlich geplanten, aber in Wahrheit nie praktisch durchsetzbaren bolschewistische Revolution. Auch diente Mussolinis Machtübernahme in Italien im Herbst 1922 als Vorbild für einen rechtsextremen Umsturz in Deutschland.

Wie Kellerhoff zeigt, strebten Kahr, Lossow und andere indessen eine von den alten Eliten getragene Revolution "von oben" an. Mit dem Bierkelleragitator Hitler und seinen Gefolgsleuten, die man gewähren ließ, solange sie nur politische Parolen propagierten und durch Aufmärsche präsent waren, wollte man nicht ernsthaft zusammengehen. Nachdem Seeckt seine Umsturzfantasien beerdigt hatte, verabschiedeten sich auch Kahr, Lossow und ihre Unterstützer vorerst von allen geheimen Plänen. Hitler, Ludendorff und ihre Anhänger - zu denen spätere Nazi-Größen wie Heinrich Himmler, Ernst Röhm und Rudolf Heß zählten - versuchten daher, den Umsturz am 8./9. November 1923 zu erzwingen. Kahr, Lossow und der Polizeigeneral von Seißer wurden bei einer von Hitler gesprengten Veranstaltung im Münchner Bürgerbräukeller zum Mitmachen verpflichtet - hielten sich aber nicht an die Abmachung. Es gelang den Putschisten nicht, Reichswehreinheiten und Polizei auf ihre Seite zu ziehen. Letztlich stoppte die bayerische Polizei den Marsch der Putschisten an der Feldherrnhalle mit Gewalt.

Prozess: Geringe Strafen für Putschisten

Kellerhoff gelingt es durch seine packende Schilderung, die Vorgänge im November 1923 den Lesern nahe zu bringen. Er zeigt, dass der Putschversuch kein bloß stümperhaftes Unternehmen war. Zwar konnte Hitler den Staat noch nicht in Gefahr bringen. Aber das lag nur an der Weigerung der grundsätzlich ebenfalls umsturzbereiten bayerischen Politiker und Reichswehrführer, mit ihm gemeinsame Sache zu machen. Hätten sie es getan, wäre der Putsch geglückt - mit weitreichenden Folgen für das gesamte Reich. Auch der Prozess gegen die Putschisten, der mit geringen Strafen endete, belegt, in welch feindlichem Klima sich die Idee der Demokratie zu behaupten hatte.

Im Jahr 1923 gelang es den Kabinetten der Reichskanzler Gustav Stresemann und Wilhelm Marx schließlich noch, die multiplen Krisen zu bewältigen - auch weil Reichspräsident Friedrich Ebert sie unterstützte und der Reichstag die Regierung durch zwei Gesetze weitreichend ermächtigte. Der aussichtslose "Ruhrkampf" wurde beendet, die Inflation besiegt.

Damit wurde die Basis für die "Goldenen Zwanziger", den Wirtschaftsaufschwung der Jahre 1924 bis 1929 gelegt; eine Zeit, in der die Chancen der ersten deutschen Demokratie deutlich erkennbar wurden. Warum sie wenige Jahre später dennoch scheiterte und welche Rolle der zunächst verhinderte Putschist Hitler spielte, ist bekannt.

Sven Felix Kellerhoff:
Der Putsch.
Hitlers erster Griff nach der Macht.
Klett-Cotta,
Stuttgart 2023;
368 Seiten, 25,00 €