Rassismus im Alltag : "Die Eigenart der Südländer"
Stephan Anpalagan hat ein ein beklemmendes und zugleich amüsantes Buch über die Sehnsucht nach Anerkennung in der Mitte der Gesellschaft geschrieben.
Wer gehört dazu, wer nicht? Wer hat welche Rechte? Oder auch: Wer ist das Wir, wer sind die Anderen? Dazu, wie ein repräsentativer Teil der Bevölkerung darauf blickt, lieferte jüngst die aktuelle Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung deutliche Zahlen: Jeder dritte in Deutschland ist der Ansicht, im "nationalen Interesse" könnten nicht allen die gleichen Rechte gewährt werden. Jeder vierte stimmt der Abwertung als "fremd" markierter Gruppen zu.
Doch die Mitte ist nicht nur eine politische Kategorie. Sie ist vor allem ein Sehnsuchtsort. Die allermeisten Menschen wollen dazugehören; viele kämpfen darum, dort aufgenommen zu werden. Über diesen Kampf und diese Sehnsucht hat der Theologe und Journalist Stephan Anpalagan ein lesenswertes Buch geschrieben. Es handelt von all jenen, die teils seit Jahrzehnten "in der Mitte dieses Landes leben", und "sich tagtäglich anhören, sie würden nicht in die Mitte dieser Gesellschaft gehören".
Persönliche Perspektive schwingt immer mit
Das Buch ist keine Autobiografie, es behandelt ganz verschiedene Menschen und Gruppen, in der Vergangenheit wie in der Gegenwart. Doch die Analyse des "unaufhörlichen Sprechens darüber, wer nicht dazugehört" kommt mit so viel Schwung daher, weil die persönliche Perspektive stets mitschwingt. "Fremd? Was soll das sein?", konstatiert hier jemand, der seit seiner Kindheit in Wuppertal lebte, und dennoch das "Sri Lanka" in seiner Biografie nie loswerden wird.
Den steten Abwehrkämpfen gegenüber den "Anderen" spürt das Buch gleich zu Beginn mit einer Geschichte nach, die den Ton für das ganze Werk setzt. "Wir riefen Arbeitskräfte, und es kamen Menschen." Kaum ein Jubiläen zur Zuwanderung aus der Türkei kommt ohne dieses bekannte Zitat von Max Frisch aus. Denn von dort kamen mit fast einer Million Menschen nicht nur die meisten "Gastarbeiter". Es ist offensichtlich auch immer noch geboten, stets von Neuem zu erklären, warum Menschen mit türkischen Wurzeln eigentlich unter uns leben.
Anpalagan geht Klischees nach
Max Frisch indes bezog das Zitat auf eine Gruppe, an deren Diskriminierung sich bestenfalls die Generation 70+ noch erinnert: Die Italiener, und dann auch noch jene in der Schweiz. Doch auch in Deutschland waren sie nach dem ersten Anwerbeabkommen mit Italien 1955 die erste "Gastarbeiter"-Gruppe, die ins Land geholt wurde. Und es dauerte nicht lange und ihnen schlugen Klischees entgegen, die einem - so der Autor - "seltsam bekannt" vorkommen: Die Italiener arbeiteten schlecht, sie stellten deutschen Frauen nach, oft würden sie kriminell. "Läuse im Gepäck", lautete eine Schlagzeile im "Rheinischen Merkur". In München erklärte eine Untersuchung gar das "Zücken und Zustoßen mit dem Messer" zur "besonderen Eigenart der Südländer".
Nicht ohne Ironie, weist das Buch nach, wie all diese Stereotype verblassten, als Menschen aus einem noch ferneren Land, der Türkei zuzogen: "Ein ganzes Land einigte sich quasi über Nacht auf ein neues, besseres Feindbild." Das liest sich nicht nur erhellend, sondern zuweilen sogar amüsant. Anpalagan empfahl sein Buch bei einer Lesung jüngst als "Urlaubslektüre". Es ist aber auch, bis zum Schlusssatz, beklemmend. Der lautet: "Man kann dieses Land nur mit gebrochenem Herzen lieben. Aber man kann es lieben."
Stephan Anpalagan:
Kampf & Sehnsucht in der Mitte der Gesellschaft.
S. Fischer;
Berlin 2023;
20 S., 24,00 €