Deutsche Revolutionsgeschichte : Ehrenrettung für die deutschen Revolutionäre von 1848
Der Historiker Heinrich August Winkler befasst sich mit den Revolutionen von 1848, 1918/19 und 1989/90 - und richtet den Blick auf das außenpolitische Umfeld.
Die Revolution von 1848 hatte lange Zeit nicht den besten Ruf - ihre führenden Vertreter galten weithin als weltfremd und durchsetzungsschwach. Besonders deutlich wird dies ausgerechnet in der Paulskirche in Frankfurt am Main, wo das um 1990 geschaffene Wandbild "Der Zug der Volksvertreter" von Johannes Grützke die Abgeordneten der ersten deutschen Nationalversammlung fast schon verhöhnt.
Heinrich August Winkler hat jetzt zum 175. Jahrestag des Beginns der 48er-Revolution den Versuch einer Ehrenrettung vor allem der gemäßigten Kräfte im Paulskirchenparlament unternommen. In dem schmalen Band "Die Deutschen und ihre Revolution" legt er überzeugend dar, dass die doppelte Aufgabe, sowohl die Einheit als auch die Freiheit Deutschlands durchzusetzen, die Revolution überfordert habe. Während in Ländern wie Frankreich und England "die nationale Vereinheitlichung über Jahrhunderte hinweg das Werk von Königen und Ständeversammlungen" gewesen sei, habe man in Deutschland den staatlichen Rahmen für Demokratie und Freiheit erst noch schaffen müssen. Das habe sich 1848/49 vor allem wegen der ungeklärten Rolle des multinationalen Habsburgerreichs als unmöglich erwiesen, schreibt Winkler.
Friedliche Revolution in der DDR: Überragende Bedeutung des außenpolitischen Umfelds
Vor diesem Hintergrund bewertet er die Wirkungen der 48er Revolution durchaus positiv. Es sei klar geworden, dass nur eine "kleindeutsche" und später von Bismarck durchgesetzte Lösung der nationalen Frage unter Führung Preußens realistisch war. Auch sei Preußen mit seiner 1849 vom König oktroyierten Verfassung "dem Liberalismus ein beträchtliches Stück entgegengekommen".
Neben 1848/49 behandelt Winkler die Revolutionen 1918/19 und 1989/90. Zudem beleuchtet er auch Bismarcks "Revolution von oben" in den Jahren 1866 bis 1871 und die Machtübernahme durch Hitler 1933. Viel Aufmerksamkeit widmet er den jeweiligen außenpolitischen Rahmenbedingungen, die in anderen Darstellungen oft etwas zu kurz kommen. Für die friedliche Revolution in der DDR hatte das außenpolitische Umfeld überragende Bedeutung, denn ohne die Veränderungen in der Sowjetunion hätte sich die Revolution entweder gar nicht erst entwickelt oder wäre niedergeschlagen geworden wie der Aufstand des 17. Juni 1953, der Ungarn-Aufstand 1956 oder die Solidarnosc-Bewegung 1981 in Polen. "Es war Gorbatschows Abkehr von der überkommenen Praxis des Marxismus-Leninismus, die die Autorität der Partei- und Staatsführungen des Ostblocks untergrub, und das besonders stark in Staaten, die sich gegen Glasnost und Perestroika wehrten", so Winkler.
Fehlurteile über Revolution von 1948/49 korrigiert
Aber auch 1848/49 und 1918/19 spielten außenpolitische Faktoren eine zentrale Rolle. 1848 wäre das erste gesamtdeutsche Parlament ohne die militärische Macht Preußens dem Griff Dänemarks nach Schleswig wehrlos ausgeliefert gewesen. 1919 war es wiederum der harte Frieden von Versailles, der für die in den Monaten zuvor errungene Demokratie zur schweren Hypothek wurde.
Winkler, der vielen als Doyen der deutschen Neuhistoriker gilt, hat eine lesenswertes kleines Buch geschrieben, das so manches Fehlurteil über die Revolution von 1848/49 korrigiert.
Heinrich August Winkler:
Die Deutschen und die Revolution.
Eine Geschichte von 1848 bis 1989.
C.H.Beck,
München 2023;
176 Seiten, 24,00 €