Ortstermin : Ukraine-Krieg: Es ist noch lange nicht vorbei
Der ukrainische Filmemacher Evgeny Afineevsky zeigt den Abgeordneten des Deutschen Bundestages in der Doku „Freedom on Fire" den Alltag im Kriegsland Ukraine.
Bewegender Appell: Anya Zaitseva (l.) bittet um Hilfe für ihren Mann. Sie war mit Regisseur Evgeny Afineevsky (M.) der Einladung von Yvonne Magwas gefolgt.
Plötzlich ist der Krieg wieder da. Ganz nah, fast greifbar, mitten im Deutschen Bundestag. Gerade noch erzählt der Mann in Camouflage-Kleidung, dass alle Zivilisten in Sicherheit gebracht wurden, da explodiert neben ihm ein Geschoss. Ein gleißender Lichtblitz, die Kamera wackelt, fällt, Schnitt. Vor der Leinwand zucken die Menschen erschrocken zusammen, erschüttert von der Grausamkeit der Kriegsszenen, die sie da sehen. Am Mittwoch war der Reichstag nicht nur Hohes Haus, sondern auch Kino. Auf Initiative des Bundestagspräsidiums wurde im Großen Protokollsaal für Abgeordnete und Mitarbeiter der Dokumentarfilm "Freedom on Fire: Ukraine's Fight for Freedom" des ukrainischen Filmemachers Evgeny Afineevsky gezeigt.
Rund zwei Stunden führt Afineevsky an die Orte, die seit über eineinhalb Jahren jeder aus den Nachrichten kennt: Butscha, Mariupol, Kiew, Lwiw, Donezk. Der Regisseur lässt Menschen seit Ausbruch des Krieges am 24. Februar 2022 über den Alltag in einem Land im Krieg erzählen. Unbeirrt hält die Kamera drauf, wenn die Ukrainerinnen und Ukrainer durch die Trümmer ihrer Häuser steigen und berichten, wie sie knapp einem Raketenangriff entgangen sind. Dazwischen unzählige Handyvideos von Menschen, die festhalten, wie schnell und brutal der russische Angriffskrieg in ihr Leben kam: Wacklige Aufnahmen von Balkonen, die zeigen, wie im Nachbarhaus eine Granate einschlägt. Kurze Filme von Menschen, die zusammengepfercht in Kellern sitzen, zwischen dem bisschen, was sie aus ihren Wohnungen mitnehmen konnten. Und dazwischen, wie kleine Hoffnungsschimmer, auch Momente des Glücks: Wenn Soldaten Kindern Süßigkeiten in die Bunker bringen oder wenn Überlebende aus Trümmern geborgen werden können.
Ukraine-Botschafter Makejew dankbar für stetige Aufmerksamkeit
Das Publikum, das in den vergangenen Wochen und Monaten wieder weniger gesehen haben mag von den Auswirkungen des Krieges auf die Ukraine, ist wieder mitten drin. "Ich glaube ich spreche für nahezu alle im Saal, wenn ich sage, dass ich mir einen Krieg in Europa im 21. Jahrhundert nicht mehr vorstellen konnte", sagte Bundestagsvizepräsidentin Yvonne Magwas (CDU) vor Beginn des Films. "Doch ein Fernab des Krieges gibt es schon lange nicht mehr". Der Botschafter der Ukraine in Deutschland, Oleksij Makejew, der ebenfalls zur Vorführung gekommen war, äußerte Dankbarkeit dafür, dass der Deutsche Bundestag immer wieder an den Krieg in der Ukraine erinnere: "Das ist keine Selbstverständlichkeit."
Doch die berührendsten Worte spricht Anya Zaitseva: Die junge Frau ist eine der Protagonistinnen des Films. Sie hatte im Frühjahr 2022 mit ihrem damals nur wenige Monate alten Baby zwei Monate im umkämpften Asowstal-Stahlwerk in Mariupol festgesessen. Über einen grünen Korridor wurden sie und die anderen Zivilistinnen und Zivilisten befreit, seitdem lebt sie in Sicherheit - aber nicht in Frieden. Ihr Mann ist einer der Kämpfer, der sich im Mai 2022 ergeben musste. Seitdem sitzt er in russischer Kriegsgefangenschaft. "Die Gefangenschaft ist das schlimmste, das Sie sich vorstellen können", sagt Zaitseva. Sie bittet die Abgeordneten, ihren Einfluss zu nutzen, um weitere Gefangenenaustausche mit Russland zu ermöglichen. "Ich bin in Sicherheit, aber es wird mir erst gut gehen, wenn alle Gefangenen befreit sind."
Weitere Infos zum Film und wo er demnächst zu sehen sein wird.