Gastkommentare : Ist der Standort Deutschland noch attraktiv? Ein Pro und Contra
Wird eine auskömmliche Zahl von Firmen an den Standort Deutschland glauben? Ulrike Herrmann sagt "Ja", Bastian Brinkmann sieht eher trübe Aussichten.
Pro
Für die Herausforderung bestens gerüstet
Bereits zwei Zahlen verdeutlichen, wie attraktiv der Standort Deutschland ist: Fast 50 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung entsteht durch Exporte, zeitgleich fährt die Bundesrepublik enorme Überschüsse im Außenhandel ein. 224 Milliarden Euro waren es im Jahr 2019.
Die Corona-Pandemie, die gestörten Lieferketten und der Ukrainekrieg haben die Weltmärkte zwar stark beeinträchtigt, aber selbst in diesen schwierigen Zeiten erholte sich der deutsche Export sehr rasch. Deutschland ist ein überaus erfolgreicher Industriestaat - und wird es bleiben. Die Bevölkerung ist gut ausgebildet, der Rechtsstaat funktioniert, die Demokratie ist stabil und die Korruption vergleichsweise schwach ausgeprägt.
Wie konkurrenzfähig Deutschland ist, hat ausgerechnet die Corona-Pandemie vorgeführt. Sie war ein Spontan-Experiment in Echtzeit, in der weltweit alle Staaten ad hoc zeigen konnten, wie gut ihre Forschungslandschaft ist. Am Ende war das Ergebnis: Weltweit waren nur zwei Länder in der Lage, einen modernen Impfstoff zu produzieren, der sich an die permanenten Mutationen des Corona-Virus anpassen kann. Moderna in den USA und Biontech in Deutschland erwiesen sich als global führend. China hingegen, stets als aufstrebender Champion gepriesen, hat bis heute kein wirksames Vakzin vorzuweisen.
Zu einem Problem wird die Demographie, weil mehr Ältere in Rente gehen, als Jugendliche nachwachsen. Allerdings sind Kinder auch in den meisten anderen Industrieländern rar, so dass überall die Frage lautet, wie sich die Wirtschaft noch stärker technisieren lässt, um Arbeitskräfte zu sparen. Als exportstarker Industriestaat ist Deutschland auch für diese Herausforderung bestens gerüstet.
Contra
Trübe Aussichten für die Bundesrepublik
Der deutsche Wohlstand der Zukunft hängt davon ab, dass eine auskömmliche Zahl von Firmen an den Standort Deutschland glaubt. Der hat aber gerade zwei große Probleme. Zum einen ändert sich die Energieversorgung grundlegend. Zu viele Unternehmen haben sich darauf verlassen, dass ewig billiges Gas aus Russland fließen wird. Das gilt nicht mehr: Energie für die Produktion wird in Deutschland auf absehbare Zeit teurer werden als vor dem Überfall auf die Ukraine. Viele einst erfolgreiche Geschäftsmodelle rechnen sich damit nun nicht mehr.
Das zweite große Problem des deutschen Standorts: Es fehlen Arbeitskräfte. In manchen Regionen wissen Firmen schon nicht mehr, wie sie an Mitarbeitende kommen sollen. Und die Lage wird sich enorm verschärfen. Die geburtenstarken Jahrgänge gehen bald in Rente. Hunderttausende Einwanderer bräuchte Deutschland Jahr für Jahr, um das auszugleichen. Immerhin könnte die Politik beide Probleme anpacken und versuchen, Zuwanderer anzuwerben und günstige Energiequellen zu erschließen. Nachhaltiger Strom ist langfristig wieder günstiger. Aber das wird dauern. Und eine Garantie, dass am Ende genügend günstiger Strom für alle Firmen vorhanden ist, gibt es nicht.
Bei der Einwanderung steht Deutschland im Wettbewerb mit den USA und mit anderen Staaten, die als attraktiver gelten: Anderswo ist die Sprache einfacher zu erlernen, die Willkommenskultur besser. Viele Migranten ziehen zudem gerne dorthin, wo Bekannte und Verwandte schon wohnen, und das ist oft nicht Deutschland. All das spricht dagegen, dass Deutschland in Zukunft genug Menschen wird anziehen können.