Fachkräftemangel : Schwierige Lage
Mit verbesserter Aus- und Weiterbildung, einem Wandel der Arbeitskultur und modernisierter Einwanderung will die Bundesregierung den Mangel bekämpfen.
Deutschlands Bäckereien leiden wie viele Handwerksbetriebe unter Nachwuchssorgen.
Der Befund ist nicht neu: Deutschland hat einen Fachkräftemangel. Spürbar ist das im Handwerk und in der Pflege. Genauso aber auch im Bildungssektor und dem Gesundheitsbereich. Restaurants müssen ihre Öffnungszeiten einschränken, weil Arbeitskräfte in der Küche und im Service fehlen. Bäckereien schließen, weil es an Gesellen fehlt. Auch der Blick in die Zukunft verheißt nichts Gutes: Bei den Jugendlichen ist dem Jahresbericht 2021 des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) zufolge ein Rückgang auf der Nachfrageseite zu verzeichnen. "Das ist ein eindeutiger Beleg dafür, dass das Interesse der Jugendlichen an einer dualen Berufsausbildung nachlässt", urteilt BIBB-Präsident Friedrich Hubert Esser.
Beim Fachkräftegipfel stellt die Bundesregierung ihre neue Strategie vor
Dem Problem des Fachkräftemangels will nun auch die Bundesregierung zu Leibe rücken. Pünktlich zum Fachkräftegipfel mit Vertreter von Politik, Wirtschaft und Verbänden am 7. September stellte sie ihre Fachkräftestrategie vor, die vergangene Woche auch im Kabinett beschlossen wurde. Fünf Handlungsfelder sind darin benannt: Neben der zeitgemäßen Ausbildung geht es auch um gezielte Weiterbildung. Drittes Ziel ist es, Arbeitspotenziale wirksamer zu heben und die Erwerbsbeteiligung zu erhöhen. Die Regierung fordert zudem die Verbesserung der Arbeitsqualität und einen Wandel der Arbeitskultur. Schließlich will sie die Einwanderung modernisieren und Abwanderung reduzieren.
Aus Sicht von Hans Peter Wollseifer, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH), fehlt in dem Strategiepapier allerdings ein Kompass. Wollseifer fordert, erfolgreiche Initiativen wie die Allianz für Aus- und Weiterbildung viel stärker einzubinden und die Potenziale aus der Zuwanderung ausländischer Fachkräfte stärker zu betonen. Vor allem geht es ihm aber um die Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung. "Wir brauchen endlich eine echte Gleichwertigkeit, eine Bildungswende", betont er.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) fordert indes eine umlagefinanzierte Ausbildungsgarantie. "Trotz Fachkräftemangel sind auch im letzten Jahr rund 230.000 junge Menschen im Übergangsbereich hängen geblieben, der keine Aussicht auf einen Berufsabschluss bietet", bemängelt DGB-Vize Elke Hannack.
Union dringt auf eine Senkung der Studienabbrecherquote
Über Lösungsvorschläge der Unionsfraktion hat der Bundestag in der vergangenen Woche beraten. Der entsprechende Antrag zielt darauf ab, "Fach- und Arbeitskräfte mit zielgerichteten Maßnahmen im Inland zu gewinnen". Dabei wird der Fokus auf die Ausbildung gelegt. Es geht unter anderem darum, die Studienabbrecherquote zu senken und die berufliche Bildung mit Imagekampagnen stärker zu fördern. Gefordert wird auch eine Reform des Arbeitszeitgesetzes, um unter anderem wöchentliche statt tägliche Höchstarbeitszeiten im Rahmen flexibler Arbeitszeitmodelle zu ermöglichen. "Umgehend" wiedereingeführt werden sollen laut CDU/CSU-Fraktion die ausgesetzten Sanktionen wegen Pflichtverletzungen für arbeitsfähige Bezieher von Grundsicherung, um "die Anreize für die Auf- und Annahme von angebotener Arbeit angesichts der großen Zahl offener Stellen wieder zu erhöhen".
"Wir müssen die im Inland vorhandenen Potenziale heben", verlangte Klaus Wiener (CDU) während der Debatte und kritisierte das Bürgergeld, mit dem jegliche Anreize zur Arbeitsannahme torpediert würden. "Das ist ein Schlag ins Gesicht all derer, die in unserem Land hart arbeiten müssen", sagte Wiener.
Grüne: Bürgergeld ist ein Baustein auf dem Weg zu "Weiterbildungsrepublik"
Das sieht man bei den Ampelfraktionen anders. Das Bürgergeld ist laut Andreas Audretsch (Grüne) ein zentraler Baustein auf dem Weg, Deutschland zur Weiterbildungsrepublik zu machen. "Der Vorrang in die Vermittlung in den nächstschlechtesten Job wird abgeschafft. Dafür gehen wir darauf ein, dass Menschen langfristig qualifiziert werden und Aufstiegschancen erhalten", sagte Audretsch, aus dessen Sicht Deutschland "natürlich Einwanderung braucht". Dem stimmt Pascal Kober (FDP) zu. Jährlich werde in Deutschland eine "gesteuerte qualifizierte Erwerbsmigration" von 400.000 Menschen benötigt. Dieser Einsicht verweigere sich die Union aber nach wie vor, kritisierte er. Gleichzeitig müsse auch das Potenzial des Inlands besser genutzt werden.
Aktuelle Fachkräftesituation
⚠️ Für rund 148 Berufsgattungen lagen 2021 laut Bundesagentur für Arbeit (BA) Personalengpässe vor.
👩💻 Bundesweit betroffen sind das Handwerk, die Bauwirtschaft, Gesundheits- und Erziehungsberufe sowie die IT-Branche, aber auch der Handel und der Logistikbereich.
👥 Nach aktuellen Ergebnissen des Fachkräftemonitorings sind bis 2026 etwa 240.000 Arbeitsplätze mehr neu zu besetzen, als Arbeitskräfte verfügbar sein werden.
Dazu braucht es eine Modernisierung der dualen Ausbildung, befand Natalie Pawlik (SPD). Aktuell gebe es 75.000 junge Menschen, die eine Ausbildung machen wollen, aber keinen Ausbildungsplatz finden, so die SPD-Abgeordnete. 2,16 Millionen Menschen hätten deutschlandweit keinen Berufsabschluss. "Wir können es uns nicht leisten, das Potenzial dieser jungen Menschen zu vergeuden", betonte sie.
Linke: Echte Ausbildungsgarantie nur mit betrieblichen Ausbildungsplätzen
Pascal Meiser (Linke) begrüßte das Vorhaben der Bundesregierung, eine Ausbildungsgarantie zu schaffen. Aber: "Eine echte Ausbildungsgarantie gibt es nur mit betrieblichen Ausbildungsplätzen und einer solidarischen Finanzierung über eine Ausbildungsplatzumlage zugunsten der Betriebe, die tatsächlich ausbilden", sagte der Linken-Abgeordnete. Junge Menschen dürften nicht in eine zweitklassige außerbetriebliche Ausbildung abgeschoben werden.
Gerrit Huy (AfD) hält es für eine gute Idee, Fachkräfte im Inland zu gewinnen. Deutschland sei schließlich zu unattraktiv, "um wirkliche Fachkräfte anzuziehen". Die Nettolöhne für Hochqualifizierte lägen "wegen unserer abenteuerlich hohen Steuer- und Abgabenlast" im hinteren Drittel aller OECD-Länder. "Für unqualifizierte Einwanderer taugen wir aber bekanntlich noch", sagte sie.