Europas Rolle im KI-Wettrennen : "KI wird unsere Wirtschaft und Gesellschaft umkrempeln"
Wenn Deutschland nur die Probleme sieht, droht das Land vom Hightech-Standort zum Industriemuseum zu werden, sagt Kommunikationswissenschaftlerin Miriam Meckel.
Miriam Meckel ist Kommunikationswissenschaftlerin, Professorin für Corporate Communication an der Universität St. Gallen und geschäftsführende Gesellschafterin der ada Learning GmbH, die die digitale Weiterbildungsinitiative ada betreibt.
#1
Frau Meckel, wenn es um generative Sprachmodelle wie ChatGPT, den Chatbot von OpenAI geht, ist viel vom Wettrennen der Tech-Giganten Microsoft und Google die Rede. Täuscht der Eindruck, oder spielt Europa bei diesem "nächsten großen Ding" in Sachen KI wieder mal keine Rolle?
Miriam Meckel: Keine Rolle wäre zu hart, aber nur eine kleine Rolle. Wir haben natürlich tolle Unternehmen, die an diesem Thema arbeiten. Zum Beispiel Aleph Alpha aus Heidelberg, das soeben einen Durchbruch beim Thema "explainable AI", also der erklärbaren und vertrauenswürdigen KI erreicht hat. Den Weltmarkt dominieren wieder US-Unternehmen.
#2
Warum ist das so?
Miriam Meckel: Es hakt, wie schon so oft, an einer Lücke zwischen Erfindergeist und konsequenter Vermarktung. Das ist bei der generativen KI wieder ähnlich. In Deutschland sind wir gut darin, neue technische Lösungen zu entwickeln, aber uns fehlen die Konsequenz, die Erfahrung und auch das Risikokapital dann wirklich schnell und entschlossen in den Markt zu gehen. Bis wir soweit sind, haben andere das Feld bestellt.
#3
Was muss Europa tun, um doch noch an dem Milliardenmarkt der Internetsuche über Gespräche mit einem Bot teilzuhaben?
Miriam Meckel: Das ist ein Zweischritt. Ökonomisch betrachtet haben die Amerikaner die Nase vorn. Und wenn Sie bedenken, dass Microsoft ChatGPT jetzt ins Office-Paket integriert, dann wird sich dieser Vorteil weiter vergrößern, weil hier so viele Daten und Erfahrungen gesammelt werden können, dass andere das kaum mehr aufholen können. Jetzt kommt ein wichtiges Aber: Das Thema generative KI wird unsere Wirtschaft und Gesellschaft mindestens so umkrempeln wie das Internet es schon getan hat.
#4
Woran denken Sie dabei?
Miriam Meckel: Die Entwicklung, die wir gerade erleben, geht ja weit über Gespräche mit einem Bot hinaus. Wir reden hier von ganz anderen Dynamiken: selbstlernende Systeme, die seit einigen Tagen dahin entwickelt worden sind, sich selbst Befehle geben zu können. Das ist eine Black Box, bei der wir nicht wissen, welche Zukunft sie für uns birgt.
Deshalb werden wir schnell über Regulierung reden müssen. Und da setze ich große Hoffnungen auf Europa. Die EU hat längst einen Vorschlag gemacht, der nun an die neuen Entwicklungen angepasst werden muss.
#5
Was könnte Deutschlands Rolle dabei sein?
Miriam Meckel: Wir sollten anfangen über die Dinge zu reden, die wichtig sind, und das sind auch, aber nicht nur Gefahren. ChatGPT und Co können uns einen Produktivitätsschub bringen, den wir ja dringend brauchen. Wenn wir nur die Probleme im Blick haben, droht Deutschland vom Hightech-Standort zum Industriemuseum zu werden. Ich wünsche mir eine echte Zukunftsvision 2030 für Deutschland, mit einer klaren Umsetzungsstrategie.