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Foto: picture-alliance/Shotshop/Birgit Seifert
Zielkonflikt in großer Höhe: Ein Rotmilan segelt an einem Windrad vorbei.

Ökostrom : Tod durch Windrad?

Die gesetzlichen Regelungen zum Artenschutz behindern den Windkraftausbau, sagen Anlagenbetreiber. Stimmt nicht, heißt es beim NABU.

02.01.2023
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5 Min

Die ehrenamtliche Bürgermeisterin von Gehlsbach und ihr Amtskollege aus Kreien im Landkreis Ludwigslust-Parchim hatten eine Idee: Sie wollten keinen weiteren Windkraftpark in der Nähe ihrer Gemeinden. Also überlegten sie sich einen Weg, eine der geschützten Vogelarten anzulocken. Dann, so ihr Kalkül, werde das Bauprojekt scheitern. Da in der Gegend ein Fischadlerpärchen gesichtet wurde, haben die beiden in luftiger Höhe eine Nisthilfe hinbauen lassen. Auf das sich das seltene Paar dort niederlassen und den Bau stoppen werde. So weit, so schlau.

Doch die Kommunalvertreter haben die Rechnung ohne den Wirt gemacht, den in dieser Posse der Windpark-Betreiber UKA-Nord gibt. Als Reaktion auf den Bau der Nesthilfe hat das Unternehmen ebenfalls gebaut - und zwar einen langen Pfosten, an dessen Ende sich ein Lautsprecher befindet, nur wenige Meter von der Nisthilfe entfernt. Aus dem schallen immer wieder Straßengeräusche, Hundebellen oder anderer Lärm. Dass sich unter diesen Umständen ein Fischadlerpärchen ansiedelt, scheint ausgeschlossen, das mussten schließlich auch die Kommunalvertreter geknickt zu Kenntnis nehmen. Ihre Geschichte hat es vor drei Jahren immerhin bis ins NDR-Satiremagazin Extra3 geschafft. Und zwar in der Rubrik "Realer Irrsinn".

Windkraftausbau versus Vogelschutz

Mag das Geschehen in Mecklenburg-Vorpommern auch ein besonders kurioser Fall sein: Der Windkraftausbau und der Artenschutz, konkret der Vogelschutz, kommen sich immer wieder ins Gehege. Schon kurz nach Regierungsantritt Ende 2021 hatte Klimaschutz-Staatssekretär Sven Giegold (Grüne) gegenüber Medien geklagt: "Sobald ein Rotmilan in einem Planungsgebiet auftaucht, kann dort im Prinzip nicht mehr gebaut werden." Der Rotmilan, eine geschützte Greifvogelart, ist also der Grund für den stockenden Windradausbau?

Nach Aussage von Bärbel Heidebroek, Vizepräsidentin des Bundesverbandes WindEnergie sind artenschutzrechtliche Belange "mit der Hauptgrund für Vorhabensversagen". Es handle sich hierbei aber nicht um einen grundsätzlichen Konflikt zwischen Artenschutz und Windenergie, "sondern ganz häufig um einen vorgeschobenen", sagte sie während einer Expertenanhörung des Umweltausschusses im Bundestag.


Josef Tumbrinck
Foto: picture alliance/dpa/Roland Weihrauch
„Windkraftausbau und der Schutz der Artenvielfalt gehören zusammen.“
Dr. Josef Tumbrinck, Leiter der Unterabteilung Naturschutz im Bundesumweltministerium

Wer die Schuld für den stockenden Ausbau der Windenergie ausschließlich auf den Artenschutz schiebt, mache es sich zu einfach, heißt es hingegen beim Naturschutzbund Deutschland (NABU). Die gewichtigen Gründe lägen ganz woanders. "Eine jahrzehntelange Verhinderungspolitik vergangener Regierungen hat den Ausbau praktisch zum Erliegen gebracht", sagt Rebekka Blessenohl, NABU-Referentin für erneuerbare Energien und Naturschutz. Es gebe auch kein Entweder-oder. "Klima- und Naturkrise sind eng miteinander verbunden. Auf der einen Seite verstärken sie sich gegenseitig, auf der anderen Seite können Maßnahmen zur Bekämpfung der einen auch zur Bekämpfung der anderen Krise beitragen", sagt Blessenohl. So helfe beispielsweise der Moorschutz, die Treibhausgasemissionen zu senken. Natur- und Klimaschutz müssten daher auch beim Ausbau der Windenergie zwingend gemeinsam gedacht und nicht gegeneinander ausgespielt werden, verlangt sie.

Bundesnaturschutzgesetz ein Hemmschuh für den Ausbau der Windenergie an Land?

In das gleiche Horn stößt Josef Tumbrinck. Er ist Sonderbeauftragter der Bundesregierung für das nationale Artenhilfsprogramm. "Es gibt hier kein Gegeneinander", sagt er. "Windkraftausbau und Schutz der Artenvielfalt gehören zusammen."

Weil aber offenkundig auch die Bundesregierung im Bundesnaturschutzgesetz einen Hemmschuh für den Ausbau der Windenergie an Land gesehen hat, wurde das Gesetz im Sommer novelliert. Planungs- und Genehmigungsverfahren sollen so verkürzt werden. Flächen, die für Windräder infrage kommen, werden damit ausgeweitet. Rechtlich sichergestellt wird beispielsweise, dass auch Landschaftsschutzgebiete in bestimmtem Umfang in die Suche nach Flächen für Windräder einbezogen werden können. Zudem gibt es nun bundeseinheitliche Standards für die artenschutzrechtliche Prüfung. Parallel dazu wurde das Bundesamt für Naturschutz damit betraut, nationale Artenhilfsprogramme aufzustellen und die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen. Zu deren Finanzierung sollen auch Anlagenbetreiber beitragen, die aufgrund der neuen Vorschriften in den Genuss einer artenschutzrechtlichen Ausnahme gelangen.

Auflösung des Zielkonflikts: NABU ist wenig optimistisch 

Für Tumbrinck eine gute Lösung. "Das Bundesnaturschutzgesetz wird sowohl den Windkraftausbau beschleunigen als auch den Artenschutz voranbringen", zeigt er sich überzeugt. Die Anlagenbetreiber wie auch die Genehmigungsbehörden würden derzeit noch die Anwendung der Vorschriften in konkreten Vorhaben klären. "Wie immer treten bei der Umsetzung noch Fragen auf, die aber mit guten Willen schnell gelöst werden", sagt Tumbrick. Erste Anlagengenehmigungen nach neuem Recht werde es sicher zeitnah in diesem Jahr geben, glaubt er.

Weniger optimistisch ist man beim NABU. Aus Sicht von Rebekka Blessenohl bestehen große Zweifel daran, ob das neue Bundesnaturschutzgesetz zukünftig zu einer Auflösung des Zielkonflikts zwischen Windenergie und Artenschutz beitragen wird. Die Vereinheitlichung der Genehmigungsverfahren sei grundsätzlich ein - vom NABU seit langem geforderter - wichtiger Schritt für einen naturverträglichen Ausbau der Windenergie. "Dabei ist aber essenziell, dass die Standardisierung auf eine wissenschaftliche und rechtssichere Basis gestellt wird", betont sie. Leider sei das in der Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes weitestgehend nicht gelungen. Fachwissenschaftliche Standards seien übergangen worden, und die Vereinbarkeit mit bestehendem EU-Recht in Teilen fragwürdig.

Kritik an der Novelle gibt es auch vom Bundesverband WindEnergie. Die gesteckten Ausbauziele seien damit nicht erreichbar, befand Verbandsvertreterin Heidebroeck während der Anhörung. Zudem drohe ein Szenario, "dass laufende Genehmigungs- und Klageverfahren massiv mit weiteren Unsicherheiten belastet werden". Beim Bundesverband WindEnergie spricht man sich unter anderem für die Klarstellung im Gesetz aus, "dass nur absichtliches Töten oder Verletzen verboten ist und dass das beiläufige Töten oder Verletzen nur einzelner Exemplare wildlebender und geschützter Arten kein Verstoß gegen das Tötungs- und Verletzungsverbot darstellt".

Schlagopfersuche an allen Windenergieanlagen fehlt

Wichtig für die Beurteilung, ob denn Windräder nun tatsächlich eine große Gefahr für Vögel darstellen, wäre eine systematische Schlagopfersuche an allen Windenergieanlagen in Deutschland, die es aber nicht gibt. Und so zieht jeder seine eigenen Schlüsse. Vom Bundesverband WindEnergie etwa heißt es: Zusammenstöße von Vögeln mit Windenergieanlagen seien so selten, dass sie sich nicht auf den Bestand einzelner Vogelarten auswirkten.

Der NABU verweist auf die Progress-Studie aus dem Jahr 2016, mit der erstmals versucht worden sei, Schlagopferzahlen des Mäusebussards in der norddeutschen Tiefebene systematisch für einen gewissen Zeitraum zu erfassen und dann hochzurechnen. "Die Studie geht von schätzungsweise 0,48 erschlagenen Mäusebussarden pro Windenergieanlage und Jahr aus", sagt NABU-Vertreterin Blessenohl.

Eine von der Vogelschutzwarte Brandenburg geführte Schlagopferkartei listet 637 getötete Rotmilane in Deutschland auf - bei einer Population von 14.000 bis 16.000 Brutpaaren, was wiederum 60 Prozent der weltweiten Rotmilan-Brutpopulation sind. Das noch bis 2027 laufende LIFE EUROKITE Projekt, das sich für den Schutz des Rotmilans einsetzt, und das Ziel einer "Identifikation und Quantifizierung der Mortalitätsgründe von Rotmilanen" verfolgt, konnte bislang auch noch keine eindeutigen Zahlen zum Tod durch Windrad vorlegen.

Insektizide in Landwirtschaft sorgen für Folgeprobleme

Als Hauptursache für das Vogelsterben in Deutschland gilt das Insektensterben, das wiederum auf die Verwendung von Insektiziden in einer hochintensiven Landwirtschaft zurückgeführt wird. Wenn Vögel keinen geeigneten Lebensraum und nicht mehr genügend Nahrung finden, werden nicht genug Jungvögel großgezogen. Für Rebekka Blessenohl kein Grund, die Gefahren von Windenergieanlagen zu vernachlässigen. "Sie stellen zwar nur einen Gefährdungsfaktor unter vielen dar, aber sie kommen eben zu allen anderen Gefahren, denen Tiere sowieso schon ausgesetzt sind, noch obendrauf."