Bürgerrat beschließt Empfehlungen : 160 Bürger im Einsatz für eine bessere Ernährung
Der Bürgerrat Ernährung hat neun Empfehlungen zur Verbesserung der Ernährungspolitik vorgelegt. Das wichtigste Anliegen: kostenloses Mittagessen für Kinder.
Eine Woche lang haben Landwirtinnen und Landwirte in ganz Deutschland gegen die Regierung demonstriert. Im Mittelpunkt der Kundgebungen standen die von der Ampel-Koalition geplanten Einsparungen von Steuerbegünstigungen für den Agrardiesel. Doch auf zahlreichen Plakaten haben die Demonstrierenden die Politik auch dazu aufgefordert, mehr auf den Willen der Bürgerinnen und Bürger zu hören, und nicht über die Köpfe der Menschen hinweg zu bestimmen.
Ein Gremium, das eine solche Teilhabe an der politischen Arbeit und Entscheidungsfindung ermöglichen will, tagte zeitgleich zu den Kundgebungen am vergangenen Wochenende in der Halle des Paul-Löbe-Hauses im Bundestag: der erste auf Bundesebene eingesetzte Bürgerrat.
Rund ums Essen und Trinken: Menschen treffen täglich 200 Entscheidungen
Dieser hat seit vergangenem September Handlungsempfehlungen für den Bundestag zum Thema "Ernährung" ausgearbeitet. Es ist eine Thematik, die alle Menschen beschäftigt: So trifft eine Person pro Tag rund 200 Entscheidungen, die allein die Ernährung betreffen. Nach drei Monaten der Zusammenarbeit hat das Gremium neun konkrete Vorschläge und Anregungen dazu vorgelegt, wie sich die Ernährungspolitik in Deutschland ändern sollte.
Auf Platz eins wählte der Bürgerrat die Forderung nach einem kostenfreien und gesunden Mittagessen in Kitas und Schulen. Und obwohl ein solches Vorhaben in die Verantwortung der Länder fallen würde, soll der Bund mindestens die Hälfte davon finanzieren. Ein Teilnehmer des Bürgerrates erklärt: "Kinder sind unsere Zukunft, das ist eine Investition".
Eine weitere Forderung ist ein verpflichtendes staatliches Label für Lebensmittel. Dieses soll Verbraucherinnen und Verbraucher beim Einkauf schnell zum Tierwohl oder den Nährwerten eines Produktes informieren und so dazu beitragen, dass sich Konsumentinnen und Konsumenten für einen gesünderen Einkauf entscheiden können. Auch eine verpflichtende Weitergabe von genießbaren Lebensmitteln durch den Einzelhandel an gemeinnützige Organisationen wie die Tafel oder die Anhebung der Altersgrenze für Energydrinks von 16 auf 18 Jahre wird vom Bürgerrat gefordert.
Der Bürgerrat als Querschnitt der Gesellschaft
Die Ausarbeitung von neun Empfehlungen war eine komplexe Aufgabe, die auch mit einem enormen zeitlichen Engagement der Teilnehmenden einherging: Zu sechs Onlinesitzungen, die insgesamt 18 Stunden dauerten und an drei Wochenenden in Präsenz in Berlin trafen sich die 160 Mitglieder des Bürgerrates.
Damit die Gruppe einen Querschnitt der Gesellschaft darstellt, wurden vor der Auswahl verschiedene Kriterien wie Geschlecht, Alter, Bildungshintergrund und die Einstellung zu veganer oder vegetarischer Ernährung abgefragt. Am Ende entschied das Los. Von den 20.000 zufällig über die Melderegister ermittelt und kontaktierten Personen bekundeten rund 2.200 Interesse an einer Teilnahme.
Einer von ihnen ist Karim Kaabi. Er erzählt, dass er sehr erstaunt war, zum Bürgerrat eingeladen worden zu sein. Nach drei Monaten als Mitglied des Gremiums resümiert er: "Es wurde hart gearbeitet". Und auch sein Blick auf die Abgeordneten hat sich verändert, er habe nun mehr Verständnis für ihre Arbeit, sagt er. Auch Maud Baumgartens Sicht auf die politische Willensbildung ist durch die Arbeit im Bürgerrat eine andere geworden: "Ich habe gelernt, dass Politik doch ziemlich vielschichtig ist, dass Entscheidung nicht leicht getroffen werden können".
Ausnahmsweise wird im Bundestag auch am Wochenende gearbeitet: 160 Teilnehmende des Bürgerrates arbeiten ihre Empfehlungen an die Politik zum Thema "Ernährung" aus.
Während der Sitzungen des Gremiums wurde jedoch nicht nur gemeinsam diskutiert. Vorträge von Fachleuten standen genauso auf dem Programm wie gemeinsame Ausflüge: zur Tafel, in die Großküche oder in einen Milchviehbetrieb.
Gespaltene Meinungen bei den Fraktionen zum Bürgerrat
Eingesetzt wurde der Bürgerrat im Mai 2023 auf Antrag der Ampel-Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP sowie der damals noch bestehenden Linksfraktion. Die Idee dahinter: "Der Mehrwert des Bürgerrates für den Deutschen Bundestag besteht darin, ein genaues Bild davon zu bekommen, welche Maßnahmen die Bürgerinnen und Bürger für eine gesündere und nachhaltigere Ernährung wünschen, oder welchen Beitrag sie selbst dafür bereit sind zu leisten", heißt es im Beschluss zur Einsetzung.
Die Union und AfD standen dem Bürgerrat skeptisch gegenüber und kritisierten die hohen Kosten. Drei Millionen Euro standen dem Haushalt im Jahr 2023 für Bürgerräte zur Verfügung. Momentan werden die Empfehlungen des Gremiums zu einem Gutachten zusammengefasst. Dieses soll am 20. Februar dem Bundestag übergeben werden und anschließend im Plenum und in den zuständigen Fachausschüssen diskutiert werden.
Bärbel Bas: "Wir werden dieses Bürgergutachten sehr ernst nehmen"
Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) lobte am vergangenen Sonntag bei der Vorstellung der Ergebnisse bereits die "Detailtiefe" und dass es Finanzierungsvorschläge für einzelne Empfehlungen gebe. Auch verspricht sie: "Wir werden im Deutschen Bundestag dieses Bürgergutachten sehr ernst nehmen, Ihre Entscheidungen sehr intensiv diskutieren."
Obwohl sich die Bürgerinnen und Bürger wünschen, dass die Empfehlungen am Ende umgesetzt werden, sind einige skeptisch. So auch Renate Achatz: Da die meisten der Empfehlungen Geld kosten und es der Regierung daran gerade mangele, müsse man schauen, was am Ende realisiert werden könne, sagt sie. Ein Großteil der Teilnehmenden scheint an diesem letzten Sitzungswochenende des Bürgerrates jedoch positiv gestimmt. Hengwin Chammo sagt: "Ich hoffe, dass die Empfehlungen vom Bundestag durchgesetzt werden und etwas Positives für Deutschland bewirken."