Bankenregulierung : Debatte über Eigenkapital bei Geldinstituten
Ökonomen und Politiker beurteilen unterschiedlich, wie viel Finanzpuffer Kreditinstitute vorhalten sollten und ob sie das auch für Staatsanleihen tun sollten
Wenn Armand Zorn durch seinen Wahlkreis Frankfurt I läuft, dann beschleichen ihn durchaus gemischte Gefühle. Einerseits, so sagt er, sei er "stolz, dass Frankfurt ein Zentrum der Finanzwirtschaft" sei. In der Mainmetropole ragen nicht nur die Türme der großen deutschen Banken in den Himmel, sondern auch jene der Europäischen Zentralbank (EZB), der Hüterin über die Stabilität des Euro und der obersten Bankenaufsicht im Euroraum. Auch die EU-Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen EIOPA hat ihren Sitz in Frankfurt.
Andererseits, gibt Zorn zu, sei es wichtig, die Finanzwirtschaft im Blick zu behalten. Vorstöße wie die De-Regulierung des Verbriefungsmarktes zum Beispiel müssten intensiv geprüft werden. Zorn hat bei der Bundestagswahl 2021 für die SPD in Frankfurt das Direktmandat gewonnen. Im Bundestag ist er als Mitglied im Finanzausschuss auch dafür zuständig, das Finanzwesen zu kontrollieren.
Bankensystem als EU-Wahlkampfthema
Im anstehenden Europawahlkampf dürfte das Thema Banken eine Rolle spielen. Die EU-Kommission hat Regeln für ein gemeinsames europäisches Sicherungssystem für die Einlagen - wie Sparguthaben - der Europäer vorgeschlagen. Es soll als dritte Säule die Europäische Bankenunion vollenden. Doch schon an den ersten beiden Säulen, die aus Sicht des Europäischen Rates "voll funktionsfähig" sind, gibt es Kritik, was die einheitliche Aufsicht und Abwicklung von Banken in der EU betrifft. Skepsis herrscht, ob die bestehende Regulierung ausreicht, die Banken sicher zu machen.
Das Bankensystem gilt als Herzkammer des kapitalistischen Systems. Dort entsteht das Geld, mit dem Unternehmen Innovationen vorantreiben. Banken sorgen für den reibungslosen Zahlungsverkehr. Für die exportstarke deutsche Industrie bilden die vom Finanzplatz Frankfurt aus agierenden internationalen Banken eine zentrale Säule bei der Finanzierung und Abwicklung des Auslandsgeschäfts.
Umso wichtiger erscheint es, dass Deutschland ein stabiles Finanzsystem hat. Denn es gilt auch: Die Banken neigen dazu, hohe Risiken einzugehen, um hohe Gewinne einzufahren. Banker hoffen auf hohe Boni, Aktionäre auf Kursgewinne und Dividenden. Die Dynamik des Kapitalismus kann in Hyperaktivität umschlagen, die das Herz überfordert. Dann droht ein Infarkt wie in der Finanz- und Bankenkrise ab dem Jahr 2008. Damals haben Zentralbanken wie Steuerzahler Hunderte Milliarden Euro und Dollar als Nothilfen bereitgestellt.
Bürgerbewegung Finanzwende fordert härtere Kapitalregeln für Banken
Dieses Thema treibt den Verein Bürgerbewegung Finanzwende um, den der ehemalige Grünen-Bundestagsabgeordnete Gerhard Schick gegründet hat. Insbesondere kritisiert der Verein, dass die Banken nach wie vor viel zu wenig Eigenkapital vorhalten müssen. "Eigenkapital ist der Risikopuffer von Unternehmen, je mehr davon vorhanden ist, desto sicherer kommen sie durch schwierige Zeiten", erklärt Michael Peters vom Verein Bürgerbewegung Finanzwende und kritisiert: "Mit 4,5 bis fünf Prozent ist das Eigenkapital der Banken nach wie vor viel zu niedrig."
Klar ist, dass ein normales Unternehmen, ein Maschinenbauer etwa, mit einer so geringen Eigenkapitalquote von kaum einer Bank einen Kredit bekommen würde. Die Banken stellen also deutlich höhere Anforderungen an ihre Kunden, als sie selbst erfüllen. Auch Normalbürger, die ein Häuschen oder eine Eigentumswohnung erwerben wollen, müssen deutlich mehr Eigenkapital mitbringen als eine durchschnittliche Großbank an Eigenkapital hält. Mit seiner Forderung steht Peters nicht alleine. Im 42. Ökonomenpanel des Ifo-Instituts und der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (FAZ), an dem 132 Professorinnen und Professoren teilnahmen, sprachen sich 72 Prozent für höhere Eigenkapitalquoten aus.
Politiker von SPD und CSU verweisen auf beschlossene Maßnahmen
Gleichwohl geben die Volkswirte teilweise Entwarnung, die Gefahr einer tiefen systemischen Krise, wie sie vor 15 Jahren ihren Anfang nahm, sehen sie derzeit nicht. Sparer müssen sich also keine Sorgen machen. Das sieht auch Michael Peters so: "Die Einlagen der Kunden bei den Banken sind sicher." Aber wie groß ist die Gefahr, dass der Steuerzahler auch künftig Banken retten muss, wie zuletzt in der Schweiz, wo der Staat Bürgschaften in Höhe von 100 Milliarden Euro bereitstellte, damit Credit Suisse nicht pleiteging, aus Sorge vor unabsehbaren Folgen für das Finanzsystem? "Wir haben gehandelt", sagt SPD-Politiker Zorn. Der Parlamentarier verweist darauf, dass der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Europäische Zentralbank (EZB) die Banken des Euroraums regelmäßig intensiv in sogenannten Stresstests prüfen. "Die Stresstests zeigen, dass die Banken in Deutschland und im Euroraum stabil sind", sagt Zorn.
Genauso sieht das Markus Ferber. Seit 1994 hat der Finanzexperte der CSU einen Sitz im Europäischen Parlament, seit 2009 arbeitet er dort im Ausschuss für Wirtschaft und Währung, ist dort Sprecher der Europäischen Volkspartei (EVP). Er kritisiert die Rechnung, die der Bürgerverein Finanzwende aufmacht. "Ich teile die Ansicht nicht, dass unsere Banken unterkapitalisiert sind", sagt Ferber und erklärt: "Wir haben die Eigenkapitalausstattung der Banken in den zurückliegenden Jahren massiv erhöht."
Debatte über Staatspapiere in Bankbilanzen
Ferber verweist darauf, dass das minimale Eigenkapital bei acht Prozent liege. "Wir dürfen uns für das richtige Maß nicht an der Bilanzsumme einer Bank orientieren, sondern an den internationalen Standards", argumentiert er. Diese bemessen das Eigenkapital, das Banken vorhalten müssen, an den sogenannten risikogewichteten Vermögenswerten. Die Logik dahinter: Wenn ein Posten in der Bilanz risikofrei ist, dann muss dafür auch kein Eigenkapital hinterlegt werden.
Gibt es überhaupt risikofreie Posten? In der Logik der Regulierung gelten beispielsweise Staatsanleihen aus dem Euroraum als solche. Staaten können in der Welt der Bankenregulierung nicht pleitegehen. Deshalb müssen auch Banken kein Eigenkapital als Risikopuffer vorhalten, wenn sie Staatsanleihen besitzen.
Klare Forderung von Ökonomen
Wirtschaftswissenschaftler kritisieren das. In der Ifo-FAZ-Umfrage unterstützen 76 Prozent der teilnehmenden Ökonomen die Forderung, dass Banken künftig auch verpflichtend Staatsanleihen mit Eigenkapital unterlegen müssen.
Ist das sinnvoll? CSU-Politiker Ferber verweist auf das Regulierungsabkommen Basel III von 2010. "Die internationalen Standards sehen keine Unterlegung von Staatsanleihen mit Eigenkapital vor. Wir müssen aufpassen, dass wir uns als Europäer kein Eigentor bei der Regulierung schießen."
Das Problem: Höhere Eigenkapitalquoten schränken den Spielraum der Banken ein, Kredite für eine wachsende Wirtschaft zu vergeben. Wenn andere Wirtschaftsräume nicht dieselben Anforderungen an ihre Banken stellen, könnte Europa in einen Wettbewerbsnachteil geraten. "Es gibt ein Spannungsverhältnis zwischen Sicherheit und der Notwendigkeit, sinnvolle gesellschaftliche Projekte zu finanzieren, die zum Beispiel wichtig sind für die Transformation unserer Wirtschaft hin zu Klimaneutralität und Digitalisierung", erklärt der SPD-Finanzpolitiker Zorn und ergänzt: "Absolute Sicherheit gibt es nicht, aber ich halte auch nichts davon, ständig in Ende-der-Welt-Szenarien zu denken."
Ein Ausweg aus dem Zwiespalt ist aus Sicht der Politik eine bessere Überwachung der Banken, damit diese keine zu riskanten Geschäfte eingehen. In dieser Frage hat sich in Europa seit der Finanzkrise viel verändert. Der einheitliche Aufsichtsmechanismus ist die erste von drei Säulen der Europäischen Bankenunion, die verhindern soll, dass eine Bankenkrise in einem Mitgliedsstaat auf die anderen ausstrahlt. Federführend ist die Europäische Zentralbank (EZB). Sie wacht über die großen, systemrelevanten Banken im Euroraum, 110 an der Zahl. Die nationalen Aufseher kümmern sich vor allem um die kleineren Banken.
Kritik vom Rechnungshof
Funktioniert das System? Im Frühjahr 2023 kam Kritik von Europas Rechnungshof. "Die EZB muss mehr unternehmen, um eine höhere Sicherheit zu gewinnen, dass Kreditrisiken angemessen gesteuert und abgedeckt werden", verlangten die Prüfer.
Wie es um Säule II der Bankenunion steht, wird sich erst in einer Krise zeigen. Sie besteht aus dem einheitlichen Abwicklungsmechanismus. Europas Banken haben in den vergangenen acht Jahren mehr als 70 Milliarden Euro in einen Notfallfonds gezahlt, der in Krisenzeiten dazu dienen soll, Banken abzuwickeln, ohne dass Steuergeld benötigt wird, und ohne dass es zu einem Flächenbrand im Finanzsystem kommt.
"Mit den voll funktionsfähigen ersten beiden Säulen der Bankenunion lässt sich eine Situation wie in der Schweiz mit der Credit Suisse für die EU ausschließen", sagt der EU-Parlamentarier Markus Ferber und ergänzt: "Bei uns in Europa müssen zuerst die Eigentümer haften. Die Credit Suisse hätten wir anders abgewickelt."
Ist das Bankensystem in der Europäischen Union damit sicher? Zumindest einen bevorstehenden Kollaps des Finanzsystems fürchtet SPD-Politiker Armand Zorn nicht, wenn er an die Bankentürme seines Wahlkreises denkt.